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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 9 - No. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M9.

Mittwoch, den 2. Februar

1876.

Brei Weihnachten.
Erzähtung von Ernſt Wichert.
Fortſetzung. ö

„Haſt du Kinder?“ fragte die Schweſter.
Zwei. — Aber ich weiß kaum davon,“ ſetzte er
ſeufzend hinzu. „Als ſie klein waren, hinderten ſie meine
Frau zu ſehr im Geſchäft — ſie gab ſie auf's Land;
und als ſie größer wurden, ſtimmte ich ſelbſt dafür,
ibnen eine Penſion zu ſuchen, damit ſie Aufſicht hätten
und etwas lernien. Ich ſehe ſie von Zeit zu Zeit einige
Stunden.“
Die Mutter ſchürtelte ernſt den Kopf.
das genügen 2“
„Es muß wohl!“ meinte er. „In Paris will jeder
Tag verdient ſein, und die Frau muß fleißig mit ar-
beiten, wenn man etwas vom Leben genießen will; für
die Kinderſtube und Küche behält ſie keine Zeit. Unſer-
einer gewöhnt ſich freilich ſchwer daran.“
„Das glaube ich!“ rief die ganze kleine Geſellſchaft
mie aus einem Munde. „Man ſollte ſich auch gar nicht
zaran gewöhnen,“ ſetzte der Bruder Schullehrer etwas,
pedantiſch hinzu.
Argold nickte und nahm die Hände ſeiner Schweſter
und Schwägerin in die ſeinigen. „Ihr habt gut reden;
da ſind deutſche Hausfranen. — Uebrigens geht es uns
gut; wir haben ſchon etwas beigelegt und denken unſeren
Kindern einmal eine Ausſtaltung geben zu können.
Wäre mir auch ſonſt dieſe weite Reiſe möglich geworden?
Und im Winter, wo dergleichen noch mehr Koſten macht!
Aber es war närriſch; nach nichts hab' ich mich in der
Fremde mehr gebangt und geſehnt, als nach einem deur-
ſchen Weihnachten. Das ganze Jahr über geht's leid-
lich, auch an den ſonſtigen Feſt⸗ und Feiertagen; aber
wenn dann der vierundzwanzigſte December herankommt,
und man denkt an den Weihnachtsbaum und an all die
Kindergeſchichten — — weiß Gott! wir haben nicht ge-
rade viele frohe Jugendtage verlebt, aber einen Baum
hatten wir doch allemal und ein paar Lichtchen dran
und unſern Pfefferkuchen dazu. Und an dem Abend
wenigſteus wußten wir, daß wir zu einander gehörten
und das wog viele böſe Geſichter, Scheltworte und Schläge
das ganze Jahr über auf. Bei uns in Frankreich haben
die Kinder keinen rechten Weihnachten und darum die
Großen auch nicht.“
Die alte Mutter küßte ihn und Tante Lorchen auf
der anderen Seite ſtreichelte ihm die -Schulter. Das.
war einmal ein Wort, das ihnen ans Herz ſchlug. Sie
wußten nun erſt, daß Arnold, ſo wunderlich „ausländiſch“
er auch ſprach, noch der ihre dei. „Aber warum machſt
du in deinem Hauſe nicht deutſche Weihnachten ?“ fragte
die Schweſter.
Er ſah ſie eine Weile lächelnd an. „Läßt ſich das
denn ſo machen?“ fragte er zurück. „Dazu gehört eben
vor Allem ein deutſches Mütterchen, wie ich's vor einer

„Kann dir

ſeht einmal.“

Stunde durch die Spalte jener Laden beobachtete. Ich

hab's zu Hauſe nicht einmal verſucht. Meine kleine
Frau hat's auch nicht verſtanden, weßhalb ich gerade zu
Weihnachten in die alte Heimath wollte und zuletzt hat
ſie eher an irgend einen geheimen Zauber gedacht —
das liebe Weibchen iſt ein Bischen abergläubiſch — als
an das Richtige. Jedes in ſeiner Art.“
Er wurde nun ſcharf inquirirt, wie er eingerichtet
ſei und wie er mit ſeiner Frau lebe, und ob ſie ihn auch
gern habe reiſen laſſen. „Gern?“ ſagte er auf das
Letztere, „das glaub' ich eigentlich nicht. Sie meinte,
wenn Einer ſo lange von Hauſe fort ſei und habe ſo zu
ſagen die Thüre für alle Zeit hinter ſich zugemacht und
ſei in ein fremdes Land gegangen, ſo ſollte er's dabei
bewenden laſſen und nicht ans Vergeſſene wieder an-
kaüpfen. Entweder finde er's gar nicht mehr wie ehe-
dem und dann werde ihm die Täuſchung ſchmerzlich ſein,
oder es ſei noch, wie er ſich's träume, und dann müſſe
ihm das Scheiden ſchwer werden. Wer aber mit ſchwe-
rem Herzen ſcheide, der bringe auch kein leichtes Herz
zurück, an dem habe die Frau nur Noth und Plage.
Ja, klug iſt ſie, die kleine Hexe, und ſonſt geſchieht auch
meiſt, was ſie will. Aber diesmal ſetzt' ich meinen Kopf
durch, da half kein Schmollen; und zuletzt hat ſtie ſich
auch gefügt und mir ſogar ihr ſchönſtes Stück Seiden-
band für Mutter und Schweſter eingepackt, daß ich doch
auch etwas auf den Weihnachtstiſch zu legen hätte. Da

Er zog ein Päckchen aus der Taſche und legte es
in der Mutter Hand. Auch für die Kinder hatte er
Kleinigkeiten mitgebracht, und nun gab's neuen Jubel
über die unerwartete Beſcheerung. Der Stadtſekretär
hatte eine Bowle ächten Waſſerpunſch gebraut und trug
ſie auf. Bald klangen die Gläſer und knackten die Nüſſe
und purzelten die Kinder durcheinander. Und zuletzt
faßten Alt und Jung einander bei der Hand und tanzten
um den Tannenbaum.
Spät erſt brach der Lehrer Hammer mit ſeiner Fa-
milie auf; ſie hatten noch einen weiten Weg durch die
Stadt bis zum andern Thore. Für Arnold mußte ein
Bett in die Weihnachtsſtube geſtellt werden, und das
war ihm gerade recht. Sie wünſchen ihm alle eine gute
Nacht und zogen ſich zurück, nachdem er noch hatte ver-
ſprechen müſſen, recht lange zu bleiben. Bald wurde es
ſtille nebenan und auch er verſuchte zu ſchlafen. Aber
es war im Zimmer ein ſo eigener Duft von gelöſchten
Wachslichtern und Tannen, und von Zeit zu Zeit löſte
ſich ein Blättchen Rauſchgold und huſchte durch die
Zweige, oder eine Wallnuß ſchlüpfte durch das Netz und
polterte auf den Tiſch — erſt lange nach Mitternacht
kam er zur Ruhe.
Das war doch wieder einmal eine deutſche Weihnacht!

*
*

Arnold Hammer verweilte vierzehn Tage lang in
ſeiner Vaterſtadt. Er hatte ſchon nach acht abreiſen
wollen, aber jeder Tag machie ihm die alte Heimath lie-
 
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