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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 17 - No. 25 (1. März - 29. März)
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Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 24.

Samſtag, den 25. März

1876.

Zwei Tibelle.

Eine Hofgeſchichte von Georg Hiltl.
(Fortſetzung.)

Er hatte bei der Heimkehr Caroline geſprochen und
ſie davon in Kenntniß geſetzt, daß heute der Herr und
die Dame erſcheinen würden, um die Gedichte in Em-
pfang zu nehmen, daß er noch ein wenig an den Verſen
feilen wolle und aus dieſem Grunde allein und ungeſtört
auf dem Zimmer bleiben müſſe. In Wahrheit aber be-
fand der Dichter ſich in einiger Unruhe, er hatte das
Fieber der Erwartung und zählte die Minuten. Der
Tag begann ſich ſeinem Ende zuzuneigen, die Schatten
wurden länger — noch immer erſchien keine der erwar-
teten Perſoneu. Heller hatte wohl ſchon zehn Mal eines
der wenigen in ſeinem Beſitze befindlichen Bücher ergriffen,
hatte aus dem Fenſter geſchaut, ſein Zimmer durch-
ſchritten — ah — da pochte es. Der fremde Herr
erſchien.
„Nun? Alles fertig?“ fragte er ohne den üblichen
Tagesgruß zu bringen mit einer Art von Haſt.
„Hier, mein werther Herr,“ ſagte Heller, ein be-
ſchriebenes Blatt hinhaltend. Die Dämmerung nöthigte
Hartwig dicht an das Fenſter zu treten, um genau leſen
zu können, er durchlief ſchnell die Zeilen. „Ganz nach
Wunſch,“ ſagte er. „Das iſt Ihnen gelungen.“ Er
falzte das Blatt zuſammen und ſchob es dann ſorgfältig
in ſeine Bruſttaſche. „Wie die Arbeit — ſo der Lohn
— hier ſind die fünf Dukaten, mein Freund, und neh-
men Sie meinen Dank. Wenn Sie nun noch ſchweigen,
dann könnte dieſes Gedicht den Anfang einer guten Zeit
für Sie bedeuten.“
„Ich ſtehe Ihnen für meine Verſchwiegenheit mit
Kopf und Kragen ein,“ entgegnete Heller, der ſeine Lampe
in Ordnung bracht, denn ſchon begann das Zimmer ſich
in Dunkel zu hüllen. Hartwig ergriff ſeinen Hut, drückte
noch einmal die Hand des Dichters und trat mit ihm in
den kleinen Vorflur. „St,“ machte Heller. „Ich höre
Jemaͤnden die Treppe herauf kommen — ja — man
naht. Ich möchte nicht, daß ein Unberufener Sie hier
erblickte.“ Auch Hartwig horchte auf. Das Rauſchen
eines Kleides ſchallte von der Treppe her.
„Gehen Sie hier links ab,“ flüͤſterte Heller, „über
die Hintertreppe, welche in den Hof führt.“
Hartwig ſchlich nach der bezeichneten Richtung. Er
war kaum an der Biegung der Treppe verſchwunden,
als auf dem Abſatze der Vorderſtiege die verſchleierte
Dame erſchien. ö
„Ah — Sie erwarten mich hier,“ ſagte ſie. t
die Arbeit fertig?“ ber, ſagke ſe. .I
„Ja, Madame. Ich bitte einzutreten,“ und der
Student führte ſie in ſein Zimmer. —
Herr Hartwig hatte den Entſchluß gefaßt, ſofort
mit dem Gedichte nach Charlottenburg zu eilen. Er
wollte nicht durch die Grünſtraße ſeinen Weg nehmen,
ſondern längs der Wallgaſſe bis zum Spreegäßchen gehen

und von da in die Brüderſtraße gelangen, wo er ſeinen
Wagen eingeſtellt hatte. Hartwig ging alſo den einſamen
Weg, indem er ſogleich, aus dem Hauſe kommend, um
die Ecke bog. Er blickte nach dem Fenſter des Dichters
empor. Es war erleuchtet und ward plötzlich geöffnet.
Heller bog ſich hinaus — er ſchien die Gaſſe zu obſer-
viren. „Es iſt Niemand zu ſehen,“ hörte Hartwig ihn
deutlich ſagen. ö
Der Kammerdiener wurde durch dieſes Wort auf-

merkſam. Die ganze Angelegenheit, in welche er ver-

wickelt war, mahnte zu größter Vorſicht und ſorgfältiger
Beobachtung. Hartwig ſchloß, daß der Student einen
Beſuch erhalten habe, der gerade in dem Augenblick an-
gekommen ſein mußte, als der Kammerdiener den Dichter
verließ — vielleicht war es ein Stelldichein, welches der
junge Mann verabredet hatte — aber es ſchien ſehr
ſchnell vorüber, denn offenbar deuteten die eben gehörten
Worte darauf hin, daß der Beſuch ſich wieder aus dem
Hauſe entfernen — daß er aber auch ungeſehen bleiben
wolle. —
ö Hartwig hielt es für gerathen, ſich ein wenig auf
die Lauer zu legen und womöglich die Perſönlichkeit zu
muſtern, welche zu ſo ſpäter Stunde bei einem Manne
vorſprach, der immerhin für Herrn Hartwig eine wich-
tige Perſon geworden war. ö
Der Kammerdiener lenkte daher ſeine Schritte zurück
in die Grünſtraße und ging auf die dem Dreyer'ſchen
Hauſe gegenüber liegende Seite. Er war kaum dort
angekommen, als er eine tiefverſchleierte Dame aus der
Thür des Gebäudes treten ſah, welche eiligſt die Straße
hinabſchritt. „Dieſe muß es geweſen ſein,“ ſagte ſich
dol Lauſcher, der ſofort begann, die Verſchleierte zu ver-
folgen.
Dieſe ſah weder rechts noch links, kümmerte ſich
nicht um die Bemerkungen, welche einige dreiſte Burſche
ihr nachriefen, ſchritt — während Hartwig nur wenige
Fuß hinter ihr blieb — über den Kirchplatz, bog in die
breite Straße und nahm den Weg zum Schloſſe hinab.
Hartwig ließ ſie nicht aus den Augen, er blieb auf der
Fährte ſeines Wildes. Die Dame ſchritt über die lange
Brücke in die Königsſtraße — Hartwig ward immer un-
ruhiger, er hatte wähend der Verfolgung die Geſtalt
der Verſchleierten ſorgfältig gemuſtert, ſie ſchien ihm be-
kannt, obwohl der Schleier den Oberkörper bedeckte —
jetzt bog ſte in die Heilige Geiſtſtraße ein — ſie ſtand
vor dem Hotel Warienberg ſtill — der Verfolger zitterte
— er mußte aber Alles, das Aeußerſte wagen. Den
Hut tief in ſein Geſicht drückend, kam er der Dame
ganz nahe. Dieſe hatte die Glocke gezogen — die Thüre
oͤffnete ſich — ein Schweizer trat heraus, er hielt ein
Windlicht in der Hand und gerade in dem Augenblicke,
als Hartwig die Geſtalt der Verfolgten faſt ſtreifte,
ſchlug dieſe den Schleier zurück, das Licht in der Hand
des Schweizers fiel ſcharf auf das entblößte Geſicht —
Hartwig fuhr erſchreckt zuſammen. „Es iſt die Gräfin
Wartenberg,“ flüſterte er entſetzt. „Sie war bei dem
Dichter — wenn nicht Alles mich täuſcht, ſo ſind wir
verrathen.“
 
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