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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 79 - No. 86 (4. October - 28. October)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M85.

Mittwoch, den 25. October

1876.

Meiſter Pietro Banucci und ſeine Geſellen.

Von Robert Avé-Lallemant.
(Fortſetzung.)

Mit furchtbarer Wuth fielen nun die Reiter aus
Urbino, nachdem Aſtorra's Braut von acht Berittenen
fortgeführt worden war, um ſie nach Aſſiſi zu retten,
über Griffone und ſeine Haufen her. Und wirklich
mußte dieſer mit ſeinen Anhängern aus der Stadt
weichen.
Die Leichen der gefallenen Brüder wurden aufgeho-
ben und hinunter getragen in das S. Franciscokloſter.
Das war die Hochzeit Aſtorra's.
Um Mitternacht lag ein zu weißem Marmor erſtarr-
tes Frauenbild am Becken neben beiden Bruderleichen.
Es war Frau Atalanta. Den letzten überlebenden Sohn
hatte ſie verflucht. Was wollte ſie nun noch im Leben?
— Niemand wußte, wie ſie in der Nacht nach der Kloſter-
kirche gekommen war. — Ohnmächtig trug man ſie nach
Mitternacht zurüͤck in den Palaſt der Baglioni und über-
ließ die beiden Frauen, Atalanta und Zenobia, ſich ſelbſt.
Gott allein hat geſehen, was in jener Nacht in der Bruſt
der beiden Unglücklichen yorgegangen iſt.
Mit dem anbrechenden Tage vrach neues Getümmel
aus auf der Piazza!

großen Platze.
von Urbino an. Sie mußten weichen. Aber der wüthend
nachſetzende Griffone erhielt einen argen Degenſtoß durch
den Leib. Der letzte Baglione fiel. Der Kampf war
zu Ende.
Weithin hallte ein jammernder Hülferuf. Früh
aufgeſtandene Bürger kamen hinzu; mehr und mehr
Menſchen füllten den Platz. Da öffnete ſich das Thor
im Palaſte der Baglioni und Frau Atalanta wankte
heraus mit der Tochter. ö
„Vergib, Mutter, vergieb! Du haſt mich verflucht!“
— rief der ſterbende Sohn der Mutter zu — „aber ich
ſchwöre zu Gott, nicht durch meine Hand ſind die Brü-
der gefallen.“ ö ö
„Allmächtiger!“ — ſchrie die Mutter und ſank
neben dem Sterbenden nieder. —„Griffone, Unglück⸗-
licher! — Aber ſo du nicht meineidig Gott eben an-
gerufen haſt, ſoll mein Fluch dich nicht treffen und ich
vergebe dir, wie mir Gott meine Sünden vergeben möge.“
Da klingelte das Glöckchen des Meßners vom Dom
her. Ein Prieſter kam mit dem Leib des Herrn. Mur-
melnd im Gebet beugte er ſich über den todtesbleichen
Griffone, während alle Umſtehenden auf das Knie ſanken.
So empfing der Sterbende noch mit vollem Bewußtſein
die heiligen Sterbſacramente. Noch einmal ſtreckte er
zitternd die Hände aus nach der Mutter und nach ſeinem

ſchluchzenden Weibe. — „Vergib mir, vergebt mir noch

einmal,“ — hauchte leiſe ſeine blaſſe Lippe.
„O mio Griffone“ — rief jammernd die Sieneſerin
mit wunderbarem Ton, ſich leiſe über ihn hin lehnend

Griffone kam mit neuen Haufen
herein geſtürmt in die Stadt und drang vor bis zum
Führerlos und planlos griffen ihn die

nannte „Villa des Grafen Baglioni“.

und ihren heißen Mund auf die Lippen des Gemahls
drückend. Dann ſah ſie ihn durch Thränen hindurch
lächelnd an und noch einmal lächelte Griffone ihr zu.
„Adio, mio caro, mio carissimo“ — und die heilige
Magdalena führte eine im Tode und durch den Tod
das Leben büßende Seele vor des vergebenden Gottes
Thron. —
In tiefer Bewegung hoben die Umſtehenden den
Leib des Todten auf und trugen ihn in das Haus der
Mutter. — Die Frauen gingen neben her. Es war
das ganze erſchütternde Bild zu einer Grabelegung.
Die drei Baglioni ruhen unter einem Stein in
einem Seitengange von S. Francisco, drei Söhne einer
Mutter in einem engen Grabe, denen doch die ganze
Stadt Perugia nicht groß genug geweſen war zu einem
friedlichen Zuſammenleben. Der Grabſtein erhielt keine
Inſchrift; aber ſo lange die Kunde von den Baglioni
lebte, kannte Jeder den Stein, und die älteren Leute
zeigten ihn warnend den jüngeren Geſchlechtern. Heute
iſt er nicht mehr aufzufinden.
Denn der Name Baglioni ſollte verſchwinden aus
der Geſchichte. Noch verſchiedene Male kam Gioanpagolo
nach Perugia zurück, um mit roher Tyrannei ſeine Vater-
ſtadt heimzuſuchen. Aber immer wieder ward der tapfere
Condottiere, deſſen Heldenthaten vielfach von den Chroniſten
erzählt werden, verbannt. Ein ſchändliches Verbrechen,
wofür man ihm in Rom den Tod ſchwur, wird nur ein-
mal vom Chroniſten ſarkaſtiſch erwähnt. Erſt im Jahr
1520 gelang es, den wilden Geſellen nach Rom zu
locken, wo ihn der Papſt hinrichten licß. Einige Jahre
vorher hatte er ſich verheirathet. Ein Sohn von ihm
aus früherer Zeit, Malateſta, tapfer und ſchlecht wie ſein
Vater, ſtarb ſchon 1533. Der letzte dagegen, ebenfalls
Aſtorra genannt, diente der Republik Venedig bis 1571.
Er war Commandant von Famaguſta auf Cypern, als
es von den Türken belagert wurde. Nach der muthigſten
Vertheidigung ward er vom Hunger gezwungen, ehren-
voll zu capituliren. Niederträchtiger Weiſe aber ward
er mit allen ſeinen Officieren von den Siegern zuſammen-
gehauen. „Die Sünden der Väter werden heimgeſucht
an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied“, hatte
einſt Frau Atalanta geſagt. ö
Hinter Perugia, nach der Tiber hinwärts, iſt noch
hentigen Tages romantiſch auf der Höhe gelegen die ſoge-
Dem Reiſenden
iſt ſie deswegen wichtig und unvermeidlich, weil dort oben

der Cuſtode wohnt, welcher den Schlüſſel zu dem höchſt

merkwürdigen Etruskergrabe der Volumnier hat.
Niemand aber hat das Andenken an den Namen
der Baglioni zunächſt den beiden Frauen Atalanta und
Zenobia ſo herrlich verewigt wie Rafael. — Was Meiſter
Pietro Vanucci und ſeine Geſellen in treuer, ſtiller Kunſt-
verehrung in Perugia angefangen hatten, es ſollte zur
wundervollſten Glorie gelangen in Florenz und am meiſten
in Rom. Nirgends ſo wie in Rom zeigt ſich der ganze
Seelenzuſammenhang zwiſchen Perugino und Rafael,
zwiſchen dem Alten und dem Jünger, wenn auch hier
der Meiſter den herben Schmerz hatte, ſeinen beſten Ge-
 
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