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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 79 - No. 86 (4. October - 28. October)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Beleetriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 79.

Mittwoch, den 4. October

1876.

Meiſter Pittro Vanucci und ſeine Geſellen.
Von Robert Avé-Lallem ant.
(Fortſetzung.)

Für Beide war dazu Perugia eine ganze Welt; die
Stadt war die größte und bedeutendſte, die Beide bis
dahin geſehen hatten und mit ruhiger Muße genießen
durften. Sie war vornehm, ſie war belebt und vor
Allem: ſie floß ſchon damals von herrlicher Malerei über.
Denn wenn auch manches Bild im heutigen Perugia
nach jener Zeit entſtanden iſt, in welcher Rafael und
Giovanni lo Spagna als befreundete Jünglinge in der-
ſelben umherwanderten, ſo waren doch damals ſo viele
bereits wieder verſchwundene Kirchen mit ſchönen ernſten
Bildern aus Peruginos und ſelbſt ſeiner Vorgänger Zeit
geſchmückt, und es mußten dieſe Bilder an ihren heiligen
Stätten einen ganz anderen Eindruck machen, als vielleicht
heute, wo ſie aus den alten und zum Theil nicht mehr
beſtehenden Kirchen in eine zwar wunderbar glänzende,
aber doch immer zu dicht zuſammengedrängte Bildergallerie
die pinacoteca Vanucci bei der Univerſität vereinigt
worden ſind. — So durften die beiden Kunſtdioskuren
an Ort und Stelle ſo manches Werk ſehen, welches Pe-
rugino ſelbſt oder ſeine edlen Meiſter und Vorgänger in
der Umbriſchen Malerei, ein Benedetto Buonfiglio, ein
Fiorenzo di Lorenzo, ein Niccolo Alunno gemalt hatten,
Meiſter und Vorgänger Peruginos, welche durch Peru-

gino nun wieder Rafael's und lo Spagna's Muſter

wurden. — Ja felbſt ein Banozzo Gozzali, der berühmte
Maler des Campo ſanto in Piſa, ſelbſt ein Fra Ange-
lico 10 Fieſole hatten ihre Kunſt auch in Perugia ver-
ewigt. — ö
Zwiſchen allen dieſen Kunſtheiligthümern wollen wir
die beiden jungen Genoſſen einherwandern laſſen und
uns wieder zu den drei Meiſtern wenden.
„Nun, Leute“ — rief Luca Signorelli, als die bei-
den Jünglinge fortgegangen waren, den Kunſtgenoſſen
zu, — „nun was ſchafft Ihr, was thut Ihr jetzt und
verdient Ihr auch gutes Geld 2“
ö „Ja, das Handwerk geht ganz gut“ — erwiderte
Pinturicchio — „Pietro und ich haben gute Beſtellungen
und taugen eigentlich im gemeinſamen Malen prächtig zu
einander. Was ich nicht habe, hat er voraus; manches,
was er nicht ſo recht kann, das mache ich vortrefflich.
Er malt viel edler, frommer, ſtrenger als ich; er ſchafft
gerne das, was er will, aber nicht immer das, was die
Leute wollen und ſelbſt beſtellen. Da komme ich ihm

denn zu Hilfe und ergänze das, was er nicht hat und

mag. — Kommt mir ſo ein reiches Kloſter oder ein
vornehmer Herr vom Adel oder ein begüterter Kaufherr
in das Studio und möchte Dieſes und Das gemalt ha-
ben, da laſſe ich ihn recht genau beſtellen, komme ihm

noch zu Hilfe mit einigen hübſchen Angaben, bemerke

noch das und das, als ob das aus dem Beſtelltalent des
Auftraggebers hervorgegangen wäre. Und dann, wenn

mein Mann recht zufrieden iſt und wir unter uns einig

ſind, ſo fordere ich gleich ohne Verlegenheit einen ordent-
lichen Preis, was unſer Freund Pietro nie gerne thut,
— denn das Handwerk will auch leben und die Beſteller
haben alle Geld genug — und wir ſetzen unſern Kontrakt
gleich ſchriftlich auf. Und wenn wir dann hübſch, nett,
ſauber malen, ſo wiſſen wir doch, warum wir es thun.
— Haha, Freund Pietro, glaubt Ihr, die Herren vom
Cambio würden Eurer Beſcheidenheit mit ſo freundlichen
Bedingungen zuvorgekommen ſein, wenn ich den Handel
nicht nachdrücklich gemacht hätte?“
„Freilich, mein wackerer Pinturicchio, habt Ihr viel
beſſer, als ich es verſtanden hätte, unſer Geſchäft im
Cambio gemacht“ — redete Vanucci weiter; — „aber
wenn Luca Signorelli Euch nicht kennte, müſſe er Euch
für einen Handel treibenden Maler halten. Ich billige
vollkommen Eure Anſicht und Euer Verfahren. Auch ich
verlange, daß man unſerer Kunſt reichlichen Lohn zahle,
wenn mir auch das Fordern oft gar ſchwer wird. Aber
darin thut Ihr mir Unrecht, wenn Ihr behauptet, daß
ich den Beſtellungen gegenüber nur male wie ich will
und nicht wie die Beſteller wollen. Oder meint Ihr
wirklich, ich hätte den Entwurf zum Cambio ganz ſo ge-
macht, wie wir ihn ausführen? Meint Ihr wirklich,
ich wäre zum Beiſpiel mit unſerer Anordnung zufrieden,
fände die Zuſammenſtellung unſerer Figuren natürlich
oder gar harmoniſch? Ach Freund Luca, die Arbeit-
kennt Ihr noch nicht! Wir haben noch Zeit bis zum
Mittag — kommt und laßt uns doch unſere letzte Arbeit
im Cambio beſehen. Die Malerei iſt, ſo Gott will, gut;
die Zuſammenſtellung aber ſchlecht, das weiß Gott. Ihr
ſollt ſelbſt entſcheiden.“ ö
Und damit gingen die drei Freunde aus der engen
Straße und ſtanden bald vor dem Cambio neben dem
Communalpalaſt.
Als Handel und Wandel im fünfzehnten Jahrhun-
dert auch in Perugia ganz beſonders blühte, hatte die
Kaufmannſchaft der Stadt, beſonders die Geldwechsler
ſich eine neue Börſe, Geſchäftsräume und Verſammlungs-
locale bauen laſſen, wie wir dieſelben noch heute bewun-
dern. Denn wenn auch die Räumlichkeiten, ein Ein-
trittsraum, links ein Verſammlungszimmer, rechts eine
Kapelle, nicht groß ſind, ſo enthalten ſie dennoch wahre
Kleinodien der Kunſt, Ausmalungen der herrlichſten Art,
die gegen das Ende des Jahrhunderts unſerem Perugino
aufgetragen worden waren und von ihm mit Hilfe Pin-

turicchios und Anderer, ſelbſt ſchon des jungen Rafael,

gemalt wurden. ö
„Nun ſeht, Meiſter Luca, unſere Geſchichten, wenn
auch noch nicht Alles fertig iſt“ — redete Vanucci, als
ſie eingetreten waren — „und entſcheidet, ob nicht Vieles
in der Anlage mißrathen iſt. Aber was war zu machen?

Dieſe gelehrten Herren von Perugia dringen ſo leicht in

die Kunſt ein und verlangen, daß unſere Arbeiten nicht
nur gut gemalt ſeien, ſondern auch allerlei Nutzanwen-
dung, allerlei Belehrung enthalten. Wahrhaftig, es ging
uns, wie es vor zweihundert Jahren den edlen Form-
bildnern Niccolo und Giovanni von Piſa ging mit un-
ſerem Brunnen da draußen vor der Kirche. Da muß-
 
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