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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 35 - No. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

MAI.

Mittwoch, den 24. Mai

1876.

Die Gruft von Steffendorf.

Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)

Durch das Geſpräch in der Laube aufmerkſam ge-
macht, war ſie dem Fenſter näher getreten. Sie unter-
ſchied die rauhe Stimme des Wirths — ſie unterſchied
aber auch eine andere, welche wie ein Echo aus alter,
glücklicher Zeit an ihr Ohr ſchlug, die ſüßeſten Erinnerungen
und Träume wach rief und in jedem Nerv klangvoll
wiederzitterte. Wie mit Zaubergewalt zog es ſie immer
näher dem Fenſter. Sie beugte ſich herab, noch mehr
dieſer ſüßen Laute in ſich aufzunehmen. Aber es war
nur der Gaſtwirth, deſſen Auseinanderſetzungen ſie ver-
nahm. Ihr Herz klopfte, ſie lauſchte mit zurückgehaltenem
Athem, ſie ſuchte die Geſtalten der Sprechenden zu er-
kennen. Das dichte Gitterwerk der Laube hinderte jede
Wahrnehmung. ö
„Thörin!“ ſeufzte Celine, die weiße Hand auf das
Herz preſſend, „wie wäre es möglich, daß du ihn wieder-
fändeſt hier an dieſem Ort!“
Als aber Felix hervortrat und ſeine tiefe Stimme
abermals erklang, in kurzen ſchlichten Worten Dank dem
Wirthe ſagend, als ſeine volle hohe Geſtalt, glanzumfloſſen,
in den Bereich ihres Auges kam, da durchfuhr ein feu-
riger Strahl des Entzückens ihr Herz. Der Jubelruf:
Er iſt's! klang leiſe und unbewußt, wie der Schlag der
Lerche, die aus ihren Träumen am frühen Morgen auf-
ſchreckt und zum Himmel aufzuſteigen ſich rüſtet, über
ihre Lippen. Dann ſank ſie neben dem Fenſter in den
dort ſtehenden Lehnſtuhl nieder.
Aber nur einen Augenblick bedurfte ſie Ruhe. Dann
flog ſie wie ein behendes Reh die Treppe hinab. Ja,
er war es, der Johanniter, der die Verwaiſte auf dem
Schlachtfelde von Sedan aufgehoben, der ſie ohne Ab-
ſchied verlaſſen — ihr Wohlthäter, ihr Freund, der
Mann, dem ſie für's Leben ſich geeignet hatte. —
An der Treppe kam ihr ein kleiner beweglicher
Menſch, derſelbe, welchen Loſa Georgewitſch als ihren
Begleiter Franneck bezeichnet hatte, entgegen.
Franneck vertrat ihr den Weg. ö

4*
*

„Warum dieſe Eile, und weshalb noch nicht reiſe-
fertig?“ Dieſe von Franneck in franzöſiſcher Sprache
haſtig und vorwurfsvoll hervorgeſtoßenen Worte hemmten
Celinens Schritte. Sie ſah ihn mit ihren großen blauen
Augen ſtolz, faſt verächtlich an. Dieſer Blick war ihre
ganze Antwort auf die Frage des Zudringlichen.
Franneck, deſſen Obhut und Fürſorge Celine anver-
traut war, trug einen braunen, an den Spitzen in die
Höhe gekräuſelten Schnurrbart und einen mächtigen ſpitzen

Kinnbart. Beide verliehen ſeinem ſcharf geſchnittenen

Geſicht mit vorſpringender Adlernaſe etwas Juͤdiſches.
Seine Haut war dunkelbraun, faſt olivenfarbig. Er war

in fortwährender Aufregung, ſprach lebhaft und heftig,

mit energiſchen Arm⸗ und Handbewegungen ſeine Worte
begleitend. Die kleine, dünne und ebenmäßige Geſtalt
ſchien nur aus Muskel und Knochen zuſammengeſetzt
zu ſein. ö
Celine drängte den Ungeſtümen bei Seite und be-
trat die Dorfſtraße. ö
Felix Vitus war längſt ihrem Geſichtskreiſe ent-
ſchwunden. Sie ſtarrte eine Weile der Richtung nach,
in welcher er ſich entfernt hatte. Dann kehrte ſie lang-
ſam und nachdenklich in das Wirthshaus zurück. Franneck

verfolgte mit Unruhe verrathenden Mienen jede ihrer

Bewegungen.
Hinter der Dorfſchenke dehnte ſich ein weiter, mit
Obſtbäumen beſtandener Grasplan hin, der durch eine
Mauer von dem daran grenzenden Parke des Herren-
gutes geſchieden war. Nahe dieſer Mauer ragte ein
prächtiger, ſtämmiger wilder Birnbaum, an deſſen Wurzeln
vorbei ein Quell mit ſilbernen Wellen rauſchte. Unter
dem Birnbaum ſtand eine einfache Holzbank. Dieſem
einſamen und anmuthigen, wenn auch noch nicht be-
ſchatteten Plätzchen lenkte Celine ihre Schritte zu.
Franneck war ihr, ohne daß ſie es bemerkt, gefolgt.

Er ſtand vor ihr mit verſchränkten Armen und beobach-

tete mit blitzenden Augen und zuſammengebiſſenen weißen
Zähnen den traumhaften Wechſel in den Mienen Ce-
line's. Er ſah, wie bald tiefe Trauer, bald hellleuch-
tende Freude, bald ein raſcher und beſtimmter Entſchluß
ſich auf dem zarten Antlitz der verlorenen Träumerin
ausprägte. Dann ſtampfte er mit dem Fuße und ſchreckte
ſeine anmuthige Reiſegefährtin hierdurch auf.
„O,“ ſagte er parteiiſch mit verzweiflungsvoller Ge-
berde, „ich täuſche mich nicht. Mademoiſelle Poirot iſt
des abentheuerlichen Lebens müde. Ihr gereuet das den
Heimathloſen gegebene Verſprechen. Sie will fliehen und
ihre braunen Gefährten verlaſſen!“ ö
„Niemand hat ein Recht, meine Freiheit zu be-
ſchränken,“ erwiderte Celine, mit der Spitze ihres zier-
lichen Fußes über das aufkeimende Gras hinſtreichend.
„Niemand darf der auserwählten Königin des Stammes
Feſſeln anlegen. Ich habe mich erniedrigt zu Schmach
und Untergang, mein Leben, meine Jugend und meine
Hoffnung weggeworfen, um Eure Führerin zu ſein. Wer
will mich hindern, wenn ich es nicht mehr ſein will,
wenn ich meine Freiheit zurückverlange? Ja, ich fange
in der That an, unſer Leben als ein abenteuerliches
und thörigtes, Eure Täuſchung und meinen Verrath an
dem, was ich einem Andern als Loſa Georgewitſch früher
gelobt, zu erkennen!“ ö
„Das war es, was ich fürchtete,“ rief Franneck,
händeringend vor dem jungen Mädchen auf- und ab-
ſchreitend. „Loſa wird mich für den Schuldigen an-
ſehen. Sie werden mich vernichten, meine Brüder ver-
kaufen und ſie in die Hände der deutſchen Polizei
liefern!“ ö
„Sie ſchwärmen, Franneck,“ ſagte Celine.
„Nun gut,“ rief Jener, „meine Sendung hier im
Orte iſt erfüllt, jede Stunde weiteren Aufenthalts —
 
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