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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 1 - No. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

. 7 *

Mittwoch, den 26. Januar

1876.

Drei Weihnachten.
Erzählung von Ern ſt Wichert.
Nachdruck verboten. Geſ. v. 11. VI. 70.

Es war an einem vierundzwanzigſten Dezember vor
mehreren Jahren. Jedes Jahr hat ſeinen vierundzwanzig-
ſten Dezember, ſeinen Weihnachtsheiligenabend, aber nir-
gends auf der Welt iſt er Alt und Jung ein ſo lieber
erſehnter Tag als in Deutſchland.
Wind und Wetter kehren ſich nicht daran, ob es
ein Feſt gibt oder nich. So lag auch diesmal der
Himmel recht ſchwarz über der Stadt und kein Stern
ließ ſich blicken; tiefer aber vor den Kirchthürmen und
an den Dächern der Häuſer herunter flimmerte es weiß-
lich, wie fallender Nebel und durch den Lichtſchein der
Straßenlaternen ſanken ſchwere Schneeflocken, feucht
glitzernd und funkelnd, auf die naſſen Pflaſterſteine nie-

der, wo ſie ſich bald in Waſſer auflöſten, denn es war

nicht kalt. Manchmal ſtieß der Wind von oben her in
die Gaſſe hinein, daß die Flocken wirbelnd vor ihm her-
jagten und an die Fenſterſcheiben anklatſchten oder auf
den Thürſchwellen Schutz ſuchten. Es war ein Wetter,
bei dem man gern den Mantelkragen hoch aufſchlägt und
den Kopf möglichſt tief zwiſchen die Schultern zieht.
Jetzt, in der ſechſten Abendſtunde, wurde es ſelbſt
in den Hauptſtraßen, durch die ſonſt bis in die Nacht
hinein der Verkehr fluthet, ſtiller.
Läden hatten ſich geleert, die in Tücher vermummten
Kinder mit ihrem kleinen Weihnachtskram von Schnarren,
Schäfchen und Schornſteinfegern ermatteten in ihren An-
ſtrengungen, einzelnen Vorübergehenden ihre Waare an-
zupreiſen. Wer jetzt ſeinen Einkauf noch nicht beſorgt
hatte, der gehörte gewiß zu den Einſamen, die Niemand
zu beſchenken hatten. Wem aber irgendwo der Tannen-
baum brennen ſollte, der beeilte ſeinen Schritt, um ſich
nicht zu verſpäten. Wie ſtill war's erſt in den abgele-
genen Gäßchen nach den Stadtwällen zu.
In einem derſelben ſtand dicht vor einem kleinen
einſtöckigen Hauſe ein Mann in langem Pelz. Er hatte
ſich vor das eine der beiden niedrigen Fenſter geſtellt,
den Hut aus der Stirn geſchoben und mit der rechten
Hand die nicht feſt ſchließende Fenſterlade ein wenig an
ſich gezogen, ſo daß er durch die Spalte in das Zimmer
blicken konnte, während die linke Hand einen naſſen
Schirm und eine kleine Reiſetaſche hielt. Mehrere Mi-
nuten lang ſtand er ſo, ohne ſich zu bewegen. Dann
trat er einen Schritt zurück, ſtampfte den Schnee ab,
der ſich auf ſeinen Galoſchen geſammelt hatte, ſah nach
der Hausthür und blieb doch unſchlüſſig ſtehen. „Ich
ſtöre den Kindern jetzt die Freude,“ murmelte er vor
ſich hin; „ſie ſollen erſt ihren Baum haben. Kinder
müſſen doch da wohl ſein — das Weihnachtsmütterchen
trägt ja allerhand Spielzeug herum — als wir uns zu-
letzt ſahen, warſt du ſelbſt noch halb und halb ein Kind.“
— Er griff unter den Pelz und zog eine Taſchenuhr
vor, hielt ſie gegen die helle Spalte in der Lade und

Die hellerleuchteten

beugte das Geſicht darüber. „Gleich ſechs — es kann
nicht mehr lange dauern!! — darauf öffnete er den
Schirm und ſchritt langſam die Straße aufwärts.
In dem warmen Stübchen ſtand ſchon auf dem mit
einem weißen Linnen gedeckten großen Klapptiſch der

Tannenbaum mit kleinen Wachslichten beſteckt und mit

Sternen von buntem Papier, goldenen Fähnchen, Netzen,
blanken Aepfeln und Nüſſen beflickert und beputzt. In
der Spitze ganz oben ſaß ein altes Männchen mit grauem
Rock und weißem Bart von gezupfter Watte, in der einen
Hand hielt er einen Sack, aus dem Flittergold heraus-
ſchaute und in der andern eine kleine Ruthe von Beſen-
reis. An einigen der ſtärkeren Aeſte ſchwebten Engel
mit faltigen Goldpapierröcken und blanken Schmetter-
lingsflügeln. Um den Baum herum ſtanden Teller und
die hübſche junge Frau ging, eine Schale mit Pfeffer-
kuchen, Aepfeln, Nüſſen und allerhand Süßigkeiten im
Arm um den Tiſch und legte von jeder Art etwas in
jeden Teller, das beſte immer oben darauf, ſo daß es
gleich in die Augen fallen mußte. Und dann ſchien's
überall genug zu ſein, ſie umkreiſte nur noch muſternd
und prüfend den Tiſch und richtete hier und dort ein
Lichtchen auf, das ſich geſenkt hatte und ſagte halblaut:
„nun könnte er doch kommen.“
Sie meinte ihren Mann, den Stadtſekretär Hans
Hopf, der ſeine Bureauſtunden aushalten mußte, aber
verſprochen hatte, an dieſem Tage die Feder einige Mi-
nuten vor ſechs Uhr auszuwiſchen und ſich recht nach
Hauſe zu ſputen. Er hatte freilich einen weiten Weg
vom alten Markt bis in dieſe entfernte Stadtgegend,
aber draußen hatte es doch ſchon von den Thürmen ge-
ſchlagen. „Nun könnte er doch kommen!“ wiederholte

ſie, als ſie aus der Hinterſtube Kinderſtimmen ver-
nahm — die armen Kleinen.

Dort ſtanden zwiſchen Ofen und Thüre zwei Mäd-
chen im Alter von ſieben oder acht Jahren und zwei
jüngere Knaben und ſchauten unverwandt zu einer Kukuks-
uhr hinauf. Sie hatte eben das Schlagen gemeldet und
dieſem frohen Ereigniß galt der Jubelruf. Nun hatte
der Zeiger noch drei Minuten zurückzulegen, bis er ganz
oben auf der Zahl anlangte, und es ging ſo langſam,
er ſchien ſich gar nicht von der Stelle zu rühren. Dieſe
drei Minuten ſchienen den Kindern eine Ewigkeit, und
mit dem Schlage ſechs ſollte ſich ja die Thüre öffnen.
Die Uhr war ſchon vorſorglich zurückgeſtellt, um das
Warten zu erleichtern, vielleicht doch nicht genug. „Nun
könnte er aber doch kommen!“ ſagte auch die alte Frau,
die auf dem Sorgenſtuhl am Ofen ſaß und ein kleines
Mädchen von drei Jahren auf dem Schooß hatte, das
ſchon gähnte; und die Frau, die mit einem Kinde auf
dem Arme auf⸗ und abging, nickte beſtätigend; und der
junge Mann auf dem Sopha klappte das Buch zu. in
dem er geleſen hatte, und ſah ebenfalls nach der Uhr.
Er war der Sohn der alten Regiſtratorwittwe Hammer
und Lehrer an einer ſtädtiſchen Schule; die Frau mit
dem Kinde auf dem Arme war ſeine Frau und zwei von
den Kleinen vor der Kukuksuhr gehörten auch zu ihm,
 
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