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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 70 - No. 78 (2. September - 30. September)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

73.

Mittwoch, den 13. September

1876.

Aus längſt verranſchter Zeit.
Einer alten Sage nacherzählt von J. B. Jacobi.
CGortſetzung.)

Trompetenklang, der draußen vor dem Burgthore
erſcholl, unterbrach den Streit der Fürſten und bald
darauf trat der Sohn des Gneſner Woiewoden in die
Halle. —
Nachdem er im Vorüberſchreiten den Vater und die
Oheime begrüßt hatte, verneigte er ſich mit edlem An-
ſtande vor Popiel; dieſer aber, anſtatt ſeinen Gruß zu
erwidern, ſagte ſtreng: „Erſt ſpät gehorcheſt du meinem
Gebote, Sohn des Woiewoden von Gniesno; was hat
dich, ſprich, ſo lange aufgehalten?“ꝰ ö
„Dort, wohin dein Wille und der Beſchluß der
Oheime mich hingeſandt, verweilte ich,“ erwiderte mit
ſichtbarem Unwillen der Krieger, „die Götter waren mir
günſtig, nicht ohne Ruhm und Beute kehre ich zurück,
und ich bringe dir, meinem Lehnsherrn, den Hauptſchmuck
des von mir in der Schlacht getödteten Latomierſch.“
Popiel nahm den von Miloslaw ihm dargebotenen
Reif und legte ihn hinter ſich auf den Seſſel, kein Wort
des Dankes aber kam über ſeine Lippen. Da durchflog
ein unwilliges Murren die Halle.
„Nimmer noch iſt es geſchehen,“ riefen mehrere
Stimmen, „daß ein Fürſt der Lechen alſo einen ſieg-
reichen Krieger empfangen habe!“ und Dobrogaſt, der
Sohn des Fürſten Mietſchislav, Gebieters der unteren
Weichſel, nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu dem
ſeiner ungeduldig harrenden Vater. Im Geſpräch mit
dem jungen Helden vergaß dieſer die Sorge um die
Tochter; die Oheime und Vettern ſcharten ſich um Vater
und Sohn, und lebendiger wurde die Unterhaltung, wo-
dei auch zum Willkommen die Trinkhörner fleißiger
kreiſten. Plötzlich flog die Thür der Falle auf, und
herein ſtürzten zwei in dunkle Gewänder gehüllte Männer,
welche die Kränze von wildem Eſchenlaub und Pfriem-
kraut, die ſie im ſtruppigen Haare trugen, als Prieſter
des Nia⸗Pieklos erkennen ließen.
„Entſetzliches iſt geſchehn!“ ſchrien ſie, „auf, Fürſt
Popiel, das Schwert der Rache nimm zur Hand. Eine
Schaar Gewappneter iſt eingedrungen in den heiligen
Hain, entweiht haben ſie das Haus unſeres Gottes und
uns entriſſen das ihm beſtimmte Opfer!“
‚„Weh! es iſt entkommen ?!“ ſchrie Gierda er-
bleichend, doch gleich wieder gefaßt, fügte ſie ruhiger
hinzu: „und wißt Ihr, wo diejenigen zu finden, die alſo
gefrevelt?“
„Dort ſitzt ihr Anführer!“ riefen die Götzendiener
auf Miloslaw zeigend, „Rache und Erſatz heiſcht unſer
Gott; wir aber rufen wehe, wehe, wehe über Miloslaw,
den Sohn des Woiewoden von Gneſen.“
„Ruhig jedoch erhob ſich der junge Fürſt und ſagte
mit feſtem Tone: „Durch den dunklen Hain, in den ich,
ohne es zu wollen, hineingerathen war, bin ich zwar ge-
kommen, doch weder ich noch einer meiner Leute hat das

Haus des Höllengottes betreten. Wie hätten wir es alſo
entweihen oder gar Euch ein Opfer entführen können?“

Die Jeſſa verehrenden Woiewoden nickten Miloslaw

beifällig zu. Popiel aber zog die Brauen finſter zuſam-

men und ſprach: „Du geſtehſt, den heiligen Hain betreten
zu haben, das genügt. Verfallen iſt dein Haupt dem
Nia⸗Pieklos, ſoll er, deſſen Grimm du erweckteſt, nicht
unſer ganzes Geſchlecht verderben.“
„Gemach!“ riefen die Fürſten und wiederum klirr-
ten die Schwerter. „Du biſt gar eilig im Verdammen,
Popiel, doch nicht dein Wort allein gilt hier. Nimmer-
mehr aber gilt für Vorſatz der bloße Zufall, der den
Enkel des Lech in den finſtern Hain geführt.“
„Fort mit den Mordinechten! Niemand wage es,
dieſen Helden anzutaſten! Wir ſtehen hier Alle für
Einen und Einer für Alle!“ und mit gezogenen Schwer-
tern umgaben die Oheime und Vettern Miloslaw und
ſeinen Vater. ö ö
Die Sache nahm eine ſchlimme Wendung für Po-
piel und ſeine Gemahlin, daher entſchloß ſich die letztere,
durch ſcheinbare Nachgiebigkeit den Zorn der Woiewoden
zu beſänftigen; ſie ſagte mit dem ſüßeſten Lächeln, nach-
dem ſie mit gebieteriſcher Handbewegung die Götzenprieſter
aus der Halle gewieſen, zu den mit gezückten Schwertern
daſtehenden Fürſten: „Senket die Waffen, ihr Fürſten
und Vettern. Jener Wahnbefangenen Begehren ſoll uns
nicht entzweien, heiſchet wirklich der Nia⸗Pieklos ein
Opfer, ſo wird es anderswo zu finden ſein. Das Blut
des jungen Helden ſoll er nicht trinken, ſo Mancher, der
ihm längſt verfallen iſt, kann den Frevel ſühnen. Des-
halb beruhigt euch, liebe Oheime, nehmet die Trinkhörner
zur Hand, auf daß ſich hier alles beſſer und zu Aller
Zufriedenheit geſtalten möge, wollen wir ſie leeren.“
Sö ſprechend, kredenzte ſie ſelbſt dem ihr zunächſt
ſtehenden Fürſten den Wein, worauf die Anderen, ob-
gleich ſie ſich Gierda's plötzliche Freundlichkeit eben ſo
wenig als ihre glatte Rede zu deuten wußten, die
Schwerter ſinken ließen und, den von ihr ausgebrachten
Spruch wiederholend, die Trinkgefäße zur Hand nahmen.
Bald darauf nahm das Mahl ein Ende und jeder der
Gäſte ſuchte die Ruhe.

** 1

Auf dem Söller der Burg ſtand Miloslaw am an-
deren Morgen. Sinnend blickte er hinaus auf die Land-
ſchaft und auf den im Frühroth erglänzenden See, deſſen
Wellen die Burg von Kruſchwiza beſpülten. Da ſiel
ſein Blick zufällig auf einen ſeitwärts aus dem Waſſer
ſich erhebenden Thurm, den ein ſchmaler ſteinerner Damm
mit der Burg verband.
Zum Dienſt des finſtern Gottes war dieſer Thurm
einſt erbaut worden, ſeitdem aber das Geſchlecht des Krat
Sarmatien beherrſchte, hatte er bis auf Popiel II., der
dem Glauben der Väter abtrünnig geworden und ſich dem
von Gierda aus dem Wendenlande herübergebrachten zu-
gewandt hatte, leer geſtanden.
 
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