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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 17 - No. 25 (1. März - 29. März)
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Heidelb

Familien

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

A 21.

Mittwoch, den 15. März

1876.

I
Zwei CTibelle.
Eine Hofgeſchichte von Georg Hiltl.
(Fortſetzung.)

Sonnenſchein und Regen, Sturm und heitrer Him-
meln wechſeln nur allzuſchnell im Leben. Der Dichter
hatte ſich kaum ein wenig von ſeinen trüben Gedanken
durch den Anblick des empfangenen Geldes befreit, als
das Schickſal in Geſtalt ſeines biederen Hauswirths
im Zimmer erſchien; dem Herrn Dreyer folgte deſſen
Tochter Carolina, welche faſt verlegen an der Thüre
tehen blieb.
„Herr Fritz,“ begann Dreyer auf einem der weni-
gzen Stühle Platz nehmend. „Ihre Lage wird unan-
genehm.“
„Ei, nicht doch,“ ſagte Heller mit erzwungener
Gleichgültigkeit. „Ich denke es ſteht Alles gut.“
„Na ja, zwiſchen Ihnen und mir, da iſt Alles beim
Alten,“ meinte Dreyer. „Aber Ihre anderen Gläubiger?
wie? Ihr ſteht mit Denen nicht zum Beſten, was die
Schulden betrifft. Eben jetzt war der Schneider Mertens
da — hier ſein Zettel: Ein Thaler für die Weſte aus-
zubeſſern — dann der Schuſter Keimling — Ein Thaler
zehn Groſchen wegen des Verſohlens Ihrer Schuhe.“ —
„Bleiben mir fünf Groſchen von dem Verdienſte,“
ſeufzte Heller auf die Börſe blickend, in deren Maſchen
die ſo eben erhaltenen dritthalb Thaler blinkten. ö
„Das wäre noch das Geringſte,“ fuhr Dreyer ein-
zönig fort. „Aber der Jude Abraham war unten —
weiter brauche ich nichts zu ſagen.“
„Nein,“ ächzte der Dichter, freilich — Ihr braucht
Richts weiter zu ſagen. Ich bin ein ruinirtes
Menſchenkind.“
Ja, leider wird es ſo ſein,“ ſeufzte Dreyer. „Wenn
ich Euch auch recht gerne helfen will — wenn ich Alles
in den Schornſtein ſchreibe, was Ihr mir ſchuldet, wenn
ich endlich ſelbſt einige Groſchen anlege, weil Ihr ein
guter Junge und immer ſo luſtig ſeid — ich beſitze doch
nur ein kleines Vermögen, habe Kinder, muß Geſellen
bezahlen und kann die zehn Thaler, die Ihr dem Juden

ſchuldet, nicht für Euch zahlen, ſo gern ich wollte,
aber ich habe Holz kaufen müſſen — Ihr könnt mir

glauben — —
„Oh! ich glaub's Euch gern,“ fiel Heller ein. r
würdet mir ſonſt helfen.“ 00 r
„Ich weiß, Ihr kennt mich. Aber was ſoll werden?
Heut hab' ich den Juden noch einmal abgewendet — er
kommt ſicher bald wieder — zehn Thaler! bedenkt.“
Hund ich habe fünf Groſchen, und wenn die von
Nicolai auch einen Thaler zahlen, ſo bleiben noch
Neune,“ ſagte Heller traurig. „Ich weiß mir nicht
mehr zu helfen.“ ö
„ „Herr Dreyer — Meiſter Dreyer,“ ſchallte es von
Außen her. „Kommt ſchnell, Kundſchaft iſt unten.“
„Alle Hagel, ich muß fort,“ rief Dreyer ſich er-
biben „Wir wollen weiter ſehen.“ Er eilte ſchnell
hinaus. ö ö

Heller ſaß, den Kopf in die Hand geſtützt, am

ö Tiſche und hatte gar nicht bemerkt, daß die Tochter des

Tiſchlers in dem kleinen Zimmer geblieben war. Caro-
line näherte ſich ihm leiſe und legte ihre Hand auf
ſeine Schulter. Der Dichter wendete ſich um.
„Ihr ſeid es, Mamſell Caroline,“ ſagte er, indem
ein mattes Lächeln ſeine Züge überflog.
„Ich bin hier geblieben, Herr Heller,“ ſagte Caro-
line ein wenig zögernd, „oum — um —“
„Nun?“ fragte Heller. „Um mir Ihr Mitleid zu

bezeugen. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Wenn
Sie helfen könnten, ich weiß es — Sie wären bereit

dazu.“ —
„Und wenn ich Ihnen helfen wollte — würden Sie
dieſe Hülfe annehmen?“ fragte Caroline.
Der Dichter blickte die Kleine betroffen und unſicher
an — ſie war ſo hübſch in ihrer Einfachheit und die
Röthe der Verlegenheit ſtand ihr ſo allerliebſt, daß Heller
ſich für beneidenswerth halten konnte, einen ſolchen Schutz-
engel vor ſich zu ſehen.
„Ich weiß in der That nicht, Mamſell, wo Sie
hinaus wollen,“ entgegnete er.
„Kurz und bündig denn,“ fiel Caroline ein. „Ich
erlaube mir, Ihnen meine Sparkaſſe anzubieten. Es
ſind freilich nur fünf Thaler darin und — es bliebe
immer noch eine Summe zu decken, aber ich denke mir
ſo: wenn Sie dem böſen, langnaſigen Abraham ein
Theilchen abzahlen — dann wird er ſich wohl auf einige
Zeit beruhigen laſſen.“ Sie zog aus ihrer Taſche eine

kleine Schachtel.

Heller ſtand gerührt und beſchämt. Noch nie war
dem jungen Mann ſeine traurige Lage ſo peinigend er-
ſchienen, und doch hob ihn wiederum der Beweis von
Theilnahme gar maächtig empor. „Nein, Carolinchen!“
ſagte er, ihre Hand faſſend, „das darf ich nicht anneh-
men — ſo innig mich auch Ihre Theilnahme erfreut —
ich muß das liebevolle Erbieten ablehnen.“
„Alſo Sie wollen Nichts von meinem kleinen Spar-
pfennige?“ ſragte Caroline traurig, den Kopf hängend.
„Das thut mir wahrlich leid.“
„O! glauben Sie nicht, daß ein lächerlicher Dünkel
mich abhält, dieſe Gabe in Empfang zu nehmen — wie
ſollte das der Fall ſein, wo Sie meine Lage ſo genau
kennen, aber ich darf nicht dieſes Darlehen empfangen,
wo ich keine Ausſicht habe, es wieder erſetzen zu können
— nein, Carolinchen — ich weiſe dieſes Geld nicht zu-
ruͤck, ich nehme es dankbar als einen Vorſchuß in dem
Augenblicke an, wo ich einen Auftrag erhalte, der mich
in den Stand ſetzt, Ihnen die geliehene Summe zurück-
zuzahlen. — Sie werden ſehen, es kommt ein ſolcher
Augenblick, ich kann doch nicht ſo verkümmern ſollen.“
Ein leiſes Pochen an der Thüre ließ Caroline in
den Hintergrund des Zimmers treten. Heller öffnete
und ſah ſich zu ſeinem Erſtaunen dem Fremden aus dem
Thiergarten gegenüber. ö
„Ich habe Sie ſchnell wieder geſunden, mein Herr
Poet,“ ſagte der Mann, artig grüßend. „Und ich komme,
um einige Minnten mit Ihnen zu verplaudern — ah —“
 
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