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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 26 - No. 34 (1. April - 29. April)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 28.

Samſtag, den 8. April

1876.

Bwei Tibelle.
Eine Hofgeſchichte von Georg Hiltl.
Schluß.)

„Ha —“ flüſterte Heller. „Sie iſt es. Es iſt die
Beſtellerin des Gedichtes. Die Wartenberg war ſelbſt
bei mir — das iſt eine herrliche Entdeckung.“ Er huſchte

ſchnell in das Zimmer zurück und befand ſich dort ſchon

einige Minuten als der Graf eintrat. Heller merkte es
ihm an, daß er verſtört war.
„Er wird vor dem Könige erſcheinen,“ ſagte er.
„Daraus kann Er ſchließen, wie wichtig Seine Sudeleien
geworden ſind. Es wird ein Gluck für ihn ſein,“ fuhr
der Graf mit drohenden Blicken fort, „wenn er wirklich
nicht der Verfaſſer des zweiten Gedichtes iſt — ich rathe
Ihm jedenfalls die Autorſchaft abzuläugnen.“
„Er fürchtet für die Gräfin,“ ſagte ſich Heller.
„Folge Er mir,“ befahl Wartenberg. Heller wurde
nun über den Platz, dann in einen kleinen Garten und
durch dieſen in das Schloß geführt. Er befand ſich bald
im Vorzimmer des Königs. Dem Dichter war bei all'
ſeiner Keckheit doch ängſtlich zu Muthe — er kämpfte
mühſam die Furcht nieder — die Thür öffnete ſich —
der König erſchien von Wartenberg begleitet. Heller
neigte ſich zitternd.

„Er iſt der Verfaſſer des Libells: die Begegnung?“

fragte der König.
Heller bejahte.
„Wie kommt Er zu ſolchem dreiſten Stücke?“ fuhr
der König fort. Heller berichtete nun Alles, es lag in
ſeinem eigenen Intereſſe, keine Unwahrheiten zu ſagen —
als er geendet hatte, nahm der Graf das Wort. Er be-
wies nun, daß keine andere Partei, als die des Herrn
von Wenſen das Gedicht veranlaßt habe, der König bebte

vor Zorn. Er befahl dem Grafen, den Dichter bei Seite

zu führen, dann ging er zum Tiſche und ſchrieb haſtig
einige Zeilen. Als Wartenberg wieder eintrat, reichte
der König ihm den Zettel hin.
„Hier, nehmen Sie. Es iſt der Befehl, Wenſen zu
verhaften — ich werde ihm zeigen, wie ich ſeine Frech-
heit beſtrafe.“ Wartenberg nahm das Papier mit freude-
ſtrahlenden Blicken.
„Lottum und Döhnhoff werde ich ebenfalls ſehr hart
ſtrafen — ah — c'est trop — dieſer Affront fällt auf
mich. Aber,‚“ fuhr er fort, „das zweite Gedicht? wer
verfaßte es?“ ö
Wartenberg zuckte die Achſel.
„Ich kann es nicht ausfindig machen,“ entgegnete
er mit erzwungener Ruhe. „Der junge Menſch ſtellt
ſeine Autorſchaft in Abrede — ich ſehe nicht ein, welchen
Grund er haben ſollte zu leugnen.“
Der Graf ſtand übrigens wie auf Kohlen. Er
konnte die Zeit kaum erwarten, den Hofmarſchall ver-
haften zu laſſen — er fürchtete einen Zwiſchenfall, denn
der Kammerdiener mußte bereits erfahren haben, daß ſich
mit ſeinem Schützlinge, dem Dichter, etwas Beſonderes
zugetragen hatte. ö

„Ich beurlaube mich bei Euer Majeſtät,“ ſagte er
daher. „Dero Befehle ſollen vollzogen werden.“
Der König war noch zu gereizt, als daß er milderen
Regungen Gehör gegeben hätte und der gewandte Graf
benutzte die ungnädige Laune des Herrn.
„Den Burſchen will ich noch einmal ſprechen,“ be-
fahl der König. Wartenberg verneigte ſich und trat mit
aller Eile ſeinen Rückzug an. Er hatte kaum das Zim-
mer verlaſſen, als von der entgegengeſetzten Seite her die
Königin eintrat. Was der Graf beſorgte, war ein-
getroffen. Hartwig hatte ſogleich das Verſchwinden Hellers
bemerkt, nach ihm gerufen, geſucht — und die Kunde

erhalten, daß ein Offizier den Dichter zu Wartenberg ge-

führt habe — dies genügte, um Unheil zu wittern.
Wenſen ward benachrichtigt; er eilte zur Königin —
entdeckte ihr die drohende Gefahr und bewog ſie, ſofort
den König zu ſprechen.
„Schöne und curioſe Neuigkeiten,“ rief der König
ihr entgegen. „Ich bin von einer abſcheulichen Clique
umlagert — hier dieſes infame Libell iſt auf Beſtellung
des Herrn von Wenſen und ſeiner Complicen gefertigt,
der freche Dichter iſt hier — ah — ich bin außer mir,
aber der dreiſte Wenſen wird ſeine Strafe erhalten.“
Die Königin bewahrte ihre Ruhe. Sie kreuzte die
Arme und blickte den König feſt an.
„Und das zweite Libell 2“ fragte ſie. „Euer Maje-
ſtät werden doch den Verfaſſer oder vielmehr noch die
Anſtifter nicht minder hart beſtrafen, als Herrn von
Wenſen ?“ ö
„Freilich — sans doute“, ſagte der König ein we-
nig verlegen. „Wenn wir nur erſt wiſſen, wer das
Libell fertigte.“
„Ich bin nicht im Zweifel darüber,“ entgegnete die
Königin. „Beide Gedichte ſind von demſelben Verfaſſer
— dieſer Menſch iſt in der Nähe, wie Euer Majeſtät
ſagen? Wohlan, ich will ihn ſehen.“
Der König vermochte nicht, dieſem Verlangen ent-
gegen zu ſein. Er ſchellte dem dienſthabenden Kammer-
herrn und befahl Heller einzuführen. Der unglückliche
Dichter erſchien vor dem Herrſcherpaare. ö
Die Königin betrachtete ihn mit lauernden Blicken.
„Ein intelligentes Geſicht,“ ſagte ſie leiſe. Dann
trat ſie ploͤtzlich auf den jungen Mann zu und ohne
weitere Fragen an denſelben zu richten, rief ſie im ge-
bieteriſchen Tone: „Wer hat das zweite Libell bei Ihnen
beſtellt?“
Heller war betroffen, er trat einen Schritt zurück
— er ſtotterte einige Worte. ö
„Leugnen Sie nicht, mein Herr,“ fuhr die Königin
fort. „Wir wiſſen bereits Alles — heraus mit der
Sprache — Sie ſind der Verfaſſer der beiden Libelle —
nur wollen wir erfahren, wer der Beſteller des letzten
Gedichtes — hier dieſes Poems — war.“ Sie hielt
Heller ein Blatt entgegen.
Der Dichter war nicht im Stande zu lügen. Er
mußte außerdem ſeine Perſon zu decken ſuchen.
„Majeſtät,“ ſtammelte er, „ſtrafen Sie mich nicht
zu hart — ich bin unſchuldig, meine bedrängte Lage be-
 
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