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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 26 - No. 34 (1. April - 29. April)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 30.

Samſtag, den 15. April

1876.

Die Gruft von Steffendorf.
Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)

NUeber den Friedhof bewegte ſich mit ſtarken Schritten
eine hohe Männergeſtalt der breiten, nach dem Felde
führenden Ausgangspforte zu. Offenbar gehörte dieſer
Mann nicht nur zu der außerhalb der Mauer lagernden
Bande, ſondern er war auch unverkennbar der oberſte
Führer derſelben. Ein kleiner runder Hut ſaß auf der
Fülle rabenſchwarzer Locken, welche bis über die Schulter
herabfielen. Der Kopf dieſes rieſigen Menſchen, von
einem dichten und langen Vollbart umſäumt, ſchien klein
und zu der breiten Bruſt kaum in dem richtigen Ver-
hältniß zu ſtehen. Ein paar ſtechend blitzende Augen
waren es hauptſächlich, welche dieſem finſtern und von
tiefen Furchen durchſchnittenen, aber feſt und in eiſerner
Ruhe ausgeprägten Antlitz Geiſt verliehen. Um den
Hals, der bis zur Bruſt hinunter offen und nackt war
trug er eine breite aus ſilbernen Schauſtücken zuſammen-
geſetzte Kette. Hohe Reiterſtiefeln umſchloſſen die Schenkel
und den kräftigen hochgebauten Fuß. In der linken Hand
ſchwang der Gewaltige einen dicken Eichenſtock mit ſil-
bernem Knopf, das Zeichen ſeiner Würde.
Als er an dem äußeren Gitter der herrſchaftlichen
Gruft vorüberkam, blieb er vor demſelben einige Augen-
blicke unbeweglich ſtehen. Ein paar haſtige Dampfwolken
entſchwebten dem Pfeifenſtummel, den er zwiſchen den
bärtigen Lippen hielt. Seine Augen blitzten hinüber nach
der eiſernen Gewölbethür und ſchienen das Schloß der-
ſelben abſchmelzen zu ſollen. „Ein ſchlechter Schloſſer,
der das Ding gemacht!“ murmelte er leiſe vor ſich hin.
Ein höhniſches kurzes Lachen aus ſeinem Munde folgte
dieſer Bemerkung. Dann ſchwenkte er den Eichenſtock
und verließ den Gottesacker durch das feldwärts gele-
gene Thor. ö
Bei ſeiner Annäherung verſtummte das Lärmen der
herumziehenden Bande. Die kleineren Kinder verkrochen
ſich ſcheu, die größeren eilten auf ihn zu, ſeine Hend zu
haſchen. Die Erwachſenen grüßten zwar nicht, aber ihre
Mienen verriethen Ehrerbietung und zurückhaltende Furcht.
Die beiden Keſſelflicker ſahen nicht von der Arbeit auf.
„Füttert die Mähren,“ gebot er mit rauher überall
vernehmbarer Stimme. „Mit der Sonne geht Alles zur
Raſt. Denn früh, zwei Stunden vor Aufgang müſſen
wir ſchon eine Meile weit von hier ſein.“
Er ſtieß den Eichenſtock vor ſich in den lockeren
Boden und ließ ſich auf einen großen Stein nieder, der
dicht an der Friedhofsmauer lag. Er ſtemmte die Ellen-
bogen auf die Knie, ſtreichelte ſeinen Bart und ſchien —
während die Kinder in die Fuhrwerke kletterten, zwei
junge Burſchen dort verſteckt geweſene Heubündel her-
vorbrachten und den gierigen Kleppern vorhielten —
eine Zeit lang in Gedanken verſunken. Dann rief er
den jungen blaſſen Geigenſpieler herbei.
„Stoyan Kaſolka“, ſagte er zu dem Gerufenen, der
in läſſiger Haltung vor ihm ſtand. „Du wirſt den

Bären beſonders zu pflegen haben; denn wir Beide brechen
mit Petz noch in der Nacht auf, den Unſerigen auswärts
eine Stätte zu bereiten. So will es die Königin. Leihe
Dir von Elkjen Hammer und Eiſen.“
Stoyan ſah den Meiſter fragend an. Da derſelbe
aber keine weitere Bemerkung that, ſo wußte Stoyan,
daß er nicht um beſſere Auskunft anhalten durfte. Er
verſtand, daß alles Andere ihm ſeiner Zeit mitgetheilt
werden und daß Pan Loſa Georgewitſch das Nöthige
ſelbſt vorbereitet haben würde. Er begab ſich nach einem
der Fuhrwerke, hinter welchem ein zottiger Tanzbär an-
gebunden lag, kauerte zu dieſem nieder, ſtreichelte ihm
die ſpitze Schnauze und nahm ihm den Maulkorb ab.
Petz brummte behaglich, reckte ſeinen runden braunen
Kopf in die Höhe und empfing dankbar aus der Hand
ſeines Herrn das karge Mahl, welches dieſer für ihn zu-
ſammengebettelt und zuſammengeſtohlen hatte.
„Loſa Georgewitſch,“ ſagte das älteſte der beiden
Weiber, die geflickte grüne ſilberbeſetzte Jacke weglegend
und die Brille in dem Futteral bergend — „Loſa George-
min v es iſt hier gut, warum raſten wir nicht länger
hier?“ —
Eine hohe Zornesröthe flammte über Loſa's dunkles
Geſicht. „So will es die Königin!“ entgegnete er ab-
wehrend. Da die Alte aber hiermit ſich nicht genügen
ließ, vielmehr fortfuhr, den Hauptmann mißtrauiſch an-
zublicken, ſo nahm Loſa nach einigen raſchen Zügen ſeine
Pfeife aus dem Munde, brannte, da die verglimmende
Aſche derſelben verſagte, mit einem an der Schachtel an-
geſtrichenen ſchwediſchen Zündhölzchen eine Cigarre an
und entgegnete dann auf die Frage der Alten:
„Der Herr des Dorfes iſt todt. Die Polizei will
unſere Spiele nicht dulden. Auch hat ein Bauer da
hinten aus dem Walddorfe wegen Hühner und Eier und
Wahrſagens aus der glatten Hand Anzeige gemacht.“
Loſa ſagte nicht, daß Hühner und Eier geſtohlen
ſeien; aber die Alte verſtand ihn; ſie konnte ſeinen
höhniſchen Blick nicht länger ertragen und ſagte indem
ſie ſeitwärts ſchielte: „Im Weiberthurm iſt ſchmale Koſt
und die Hand des Wächters iſt nicht leicht. Draußen
die Haide und die Luft thun wohl. Die Königin hat
Recht; es iſt beſſer, wir ziehen weiter.“
Loſa's Steinſitz an der Rückmauer des Erbbegräb-
niſſes lag zwiſchen zwei eirunden, mit Eiſengittern ver-
ſehenen Luftlöchern, welche einen Einblick in das Innere
des Grabgewölbes verſtattete. Die Uuriſſe verſchiedener
darin aufgeſteklter Särge waren im Zwielichte, welches
durch die Oeffnungen eindrang, ſchwach erkennbar.
Loſa, der ſich aufgerichtet, einen Blick in das Grab-
gewölbe geworfen, ſich dann aber wieder auf ſeinen Stein
geſetzt hatte, war abermals in Schweigen und Nach-
denken verſunken.
Als Stoyan von der Fütterung des Bären zurück-
kam, ſagte Loſa: „Moderluft ſteigt durch dieſe Fenſter
heraus; nimm Gras und Moos, ſie zu verſtopfen.“
Der krankhaft aber verſchmitzt ausſehende Geigen-
ſpieler reckte ſeine hagere Geſtalt empor, um ebenfalls
einen Einblick in das Erbbegräbniß zu gewinnen.
 
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