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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 96 - No. 104 (2. December - 30. December)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Bel4etriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 104.

Samſtag, den 30. December

1876.



Bie Erbin von Tabakow.
Von Sacher⸗Maſoch. ö
Schluß.) ö ö

Beim Speiſen ſaß der Hund mit umgebundener
Serviette auf einem weichgepolſterten Fauteuil neben ihm
am Tiſche und erhielt jedesmal den beſten Biſſen. Aß
er nicht, ſo beginn Zenobius ihm zuzureden, ihn flehent-
lich zu bitten oder nahm zur Liſt ſeine Zuflucht und rief
alle möglichen, nur in ſeiner Phantaſie exiſtirenden Hunde
Azor, Askan, Jupiter und Diana herbei und ſtrahlte von
Glück, wenn Mika endlich aus Neid und Eiferſucht die
vor ihr liegenden Bratenſtückchen gierig verſchlang. Wenn
ſie es verlangte, denn ſie hatte ihre verſtändliche Sprache,

die ihm vollkommen geläufig war, krauete er ſie mit
einer jener elfenbeinernen Hände, wie ſie einſt Mode
waren und in keinem Boudoir fehlten, und jeden Nach-

mittag fuhr er mit ihr ſpazieren, wobei ſie im Wagen
neben ihm ſaß, eine ganze Edelfrau, wie ſich Pietr der
Kutſcher ausdrückte. Zum Ausgehen war ſie ſchwer zu
bewegen, nur ſehr ſelten gelang es der Ueberredungskunſt
ihres ergebenen Dieners Zenobius, ſie zu einem Beſuch
im Pfarrhof zu verführen, in der Regel erwiderte ſie
ſeine Complimente mit Knurren und Zähnefletſchen, und
er mußte ſich be quemen, bei ihr zu Hauſe zu bleiben, da
er ein ſo koſtbares Leben den Dienſtleuten nicht anver-
trauen konnte und war froh, wenn ſie ihm geſtattete,
einen Roman zu leſen und dazu einen
rauchen.
Wie oft erwachte der arme Zenobius Nachts aus
unruhigen Träumen und wurde von der plötzlichen Furcht
befallen, Mika könne ſterben. Dann kam er nicht zur
Ruhe, ehe er ſich nicht über die Schlafende gebeugt und
überzeugt hatte, daß ſie noch athme. Bei dem geringſten
Unwohlſein, von dem ſeine vierfüßige Tyrannin befallen
wurde, begnügte ſich Zenobius nicht damit, den Hausarzt

zu nufen, ſondern ließ überdies noch einen Arzt, oder

noch beſſer, zwei Aerzte aus Kolomea kommen, und wäre
ſie ernſtlich krank geworden, er hätte ohne Zweifel die
erſten Profeſſoren aus Lemberg, ja aus Wien verſchrieben
und außerdem die mediciniſchen Fakultäten in Paris und
Berlin conſultirt.
Im Garten ſtand bereits, von der Seligen erbaut,
das Mauſoleum Mika's, ein Obelisk aus weißem Marmor,
auf einem Block aus ſchwarzem Marmor ruhend, mit
einer rührenden Inſchrift. Zenobius konnte es nie ohne
Wehmuth betrachten. ö ö
»„Wir ſind Alle ſterblich, Mika,“ pflegte er zu ſagen,
wenn er mit der Erbin von Tabakow an dieſem trau-
rigen Orte vorüberkam, „aber das Leben iſt ſo ſchön und
wir wollnn hoffen, daß Du noch lange Dich des Lichtes
erfreuen wirſt.“ j
Sermon ein paar Thränen in ſeinen Augen. ö
. Trotz aller Qualen und Entbehrungen, die ſich Ze-
nobius auferlegte, trotz nller Sorge und Pflege wurde
aber Mika doch jeden Tag fetter, kurzathmiger, träger,

launenhafter und mürriſcher. Zenobius ließ gewaltig den

Kopf hängen.

Tſchibuk zu

Nicht ſelten zerdrüͤckte er nach dieſem

„Beklagen Sie mich,“ ſagte er zu mir bei Gelegen-
heit eines Beſuchs, den ich ihm machte, „ich opfere mich
für das Thier auf und es mißhandelt mich dafür, miß-
handelt mich ſo, daß ich es von Herzen gern todtprügeln
möchte und trotzdem bedacht ſein muß, es noch bei guter
Laune zu erhalten.“ ö
Wir traten in das Empfangszimmer, wo Mika auf
dem Sopha auf einer Decke von Hermelin lag. Als ſie

Zenobius erblickte, ſprang ſie ihm nicht etwa entgegen,

um ihn zu begrüßen, ſie ſtieß auch kein freudiges Gebell
aus, ja ſie wedelte nicht einmal, ſondern gab ihm durch
einen eigenthümlichen boshaften Laut zu verſtehen, daß

ſie ihn zu ſich rufe, und er, der Menſch, gehorchte dem

Thiere, nur weil es reich war.

„Sehen Sie das verdammte Vieh“ — bemerkte er
ſeufzend — „es commandirt nur ſo mit mir.“
Miieka ſchien zu verſtehen, was er ſprach, mindeſtens
zeigte ſie ſich ſehr aufgebracht, denn ſie ſprang plötzlich
auf und bellte zornig, und als Zenobius ſie zu beſänfti-
gen ſuchte, ſchnappte ſie nach ihm und er verlor faſt ſeine
Naſe bei dieſer Gelegenheit.
Endlich verfiel Zenobius in dumpfe Melancholie,
wurde bleich, magerte ab, mied die Menſchen. Sogar
bei Cleopha ließ er ſich nur zu Zeiten blicken. Sie
ſchwieg dazu; Herr Atthanoſi, ihr Vater, konnte aber
nicht länger verſtummen.
„Wie kann ein Menſch die Gier nach Eigenthum
ſo weit treiben, der Sclave eines Thieres zu werden,“
ſagte er eines Tages zu dem unglücklichen Reichgewordenen.
„Sie haben Recht, ich verdiene, daß man mich ver-
achtet,“ gab Zenobius zur Antwort. ö
Es war genau ein Vierteljahr ſeit dem Tode der
Baronin vergangen, wir befanden uns mitten im Winter
und ich ſaß mit der ſchönen Cleopha, welche mir übel
mitſpielte, an dem Schachbrett, als Zenobius in hohen
Stiefeln mit Quaſten, ſchwarzen Koſakenhoſen und einem

ſchwarzen Schnurrock, eine ſchwarze Aſtrachonmütze auf

dem Kopf, mitten durch die Felder über den weißen
Schnee, wie eine Krähe hüpfend, daherkam, in die Stube

und ohne Weiteres zu Cleopha's Füßen ſtürzte. Er ſah

aus wie ein Verzweifelter, das Haar hing ihm wirr ins
Geſicht, in der Hand hielt er eine Doppelflinte. ö
„Iſt Mika todt?“ fragte ich, es war dies mein

erſter Gedanke.

„RNein“, rief er, „aber ich will nicht länger der
Sclave eines Thieres ſeinn7/
„Gottlob!“ ſagte der Pfarrer.
„Sagen Sie mir, daß Sie ſich meiner erbarmen,
Cleopha,“ flehte er, „daß Sie mein Weib werden wollen
und ich entſage auf der Stelle allem Reichthume. Ich
erſchieße die Beſtie und will lieber, gleich einem Goralen,
ſelbſt den Pflug ziehen, mit dem mein Weib ackert, als
noch länger meine Menſchenwürde preisgebenn.
Cleopha gab ihm zuerſt keine Antwort, ihr aus-
drucksvolles blaues Auge war ſchalkhaft auf das Brett
gerichtet und plötzlich kam ihre Hand, ſchön und weiß
wie aus Elfenbein geſchnitzt, aus dem dunklen Pelzwerk,
 
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