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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 70 - No. 78 (2. September - 30. September)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

W 72.

Samſtag, den 9. September

1876.

Aus längſt verrauſchter Beit.

Einer alten Sage nacherzählt von J. B. Jacobi.
(Fortſetzung.)

Wenige Stunden vorher war der mit ſeinen Krie-
gern heimkehrende Sohn des Woiewoden von Gneſen in
dem gewaltigen Forſt angelangt, der ſich in jener längſt
verrauſchten Zeit zwiſchen Kruſchwiza und Gneſen, längs
der Ufer des mehrere Meilen großen Goploſee's, dahin-
zog. Die reiſige Schaar war etwas hinter dem jungen
Fürſtenſohne zurückgeblieben, welcher auf einer, augen-
ſcheinlich von Menſchenhand gemachten Lichtung im Walde
Halt machte und, ermüdet vom langen Ritt, von ſeinem
Roſſe herabſtieg, um am Fuße einer ihre Aeſte lang
herabſenkenden Fichte ein wenig zu raſten. Der länglich
runde Platz, umgeben von uralten Tannen und Fichten,
hatte kein freundliches Ausſehen. Tiefe Stille herrſchte
überdies an dem öden Ort, der, unberührt von dem be-
lebenden Strahl der Sonne, in düſterm Schweigen dalag.
Faulende Stechäpfel und gleißendes Bilſenkraut be-
deckten den feuchten Boden, unzählige kleine Erhöhungen
halb verbergend, welche in abgemeſſener Entfernung von
einander, ſich reihenweiſe, doch mehr oder minder ein-
geſunken, kaum merklich erhoben. Inmitten des Platzes
aber lag zwiſchen denſelben ein roh behauener, mächtiger
Felsblock, deſſen obere, geſchwärzte Fläche unlängſt er-
loſchenes Feuer deutlich erkennen ließ. Von dieſem Fels-
block führten kleinere Steine in gerader Richtung auf
einen ſchmalen Pfad, an deſſen Ende, zwiſchen düſtern
Fichten und dichtem Geſträuch, die Umriſſe eines unförm-
lichen Bauwerks ſichtbar wurden.
Ein leiſes Grauen beſchlich den jungen Fürſtenſohn
bei dem Anblick des alten Gemäuers; ſein greiſer Waffen-
träger aber, der ihm in einiger Entfernung gefolgt war,
ſagte an ihn heran tretend:
„Laß uns dieſen Ort meiden, Enkel des Lech; das
Grauen, das um dieſen öden Waldplatz ſchleicht, bedrückt
den menſchlichen Geiſt,‚ denn der finſtere Gott, dem er

geweiht iſt, iſt alles Lebendigen Feind, beſonders aber der

Feind deines Geſchlechts, das zu Dsiedsilia und zu Jeſſa,
dem Gott des Lichtes und des Himmels betet, nicht aber
zu dem blutige Opfer heiſchenden Nia⸗Pieklos, dem Gott
der Finſterniß und der Hölle.“
„Ich fürchte ihn nicht,“ erwiderte Miloslaw, „obgleich
ich wohl weiß, wo ich bin; das dort in tiefem Waldes-
ſchatten ſtehende düſtere Haus iſt ſein fluchwürdiger Tem-
pel, und auf dieſem Steine hier fließt das Blut der
Opfer, deren Gebeine unter dieſen Huͤgeln modern.“
„So iſt es, Herr, deshalb laß mich hier allein un-
ſere Reiſigen erwarten, reite voraus nach der Burg und
eile, das Gebiet des Nia⸗Pieklos zu verlaſſen, der jedem
mit Verderben droht, der ihn nicht verehrt.“ Miloslaw
ſchüttelte traurig den Kopf.
„Hier wie dort kann das Verderben mich ereilen.
Der Popiel auf Kruſchwiza betet nicht zum Piorein —

) Gott des Donners.

und zum Jeſſa; er windet ſich in Staub und Blut vor
dem Höllengott, und wie dieſer iſt er nicht hold den Le-
ſcheks, daher treibt mich nichts, zu ihm hin zu eilen.“
Luſtiger Hörnerklang unterbrach das ernſte Geſpräch
der beiden Maͤnner und das Stampfen vieler Roſſes-
hufe verkündete das Herannahen der zurückgebliebenen
Schaar. Bald auch hatte dieſe die Lichtung erreicht und
ſich um den Führer geſammelt. Zu Sendsiwoi, ſeinem
Waffenträger aber traten zwei Jünglinge, welche vom
Hofe der Fürſtin Chrobatien Miloslaw in ſeine Heimath
gefolgt waren. Sie ſchienen kaum dem Knabenalter ent-
wachſen, waren gar lieblich von Geſtalt und, wie ſte
ſagten, griechiſcher Abkunft. Der eine hellbraunen Haares
mit feurigem Blick und heiteren Weſens. Goldige Locken
umflatterten des andern zartes, faſt mädchenhaftes Antlitz,
dem die himmelblauen Augen einen wunderbaren Reiz
verliehen. Sinnend blickten die Jünglinge auf den wüſten
Platz and das im Hintergrunde halb verborgene Gemäuer,
als ſie aber den geſchwärzten Felsblock gewahrten, wandten
ſie ſich ſchauernd ab.
„Der Himmel lächelt hier allerdings nicht ſo freund-
lich, als bei Euch am ſchwarzen Meere,“ ſagte Miloslaw
zu den Knaben, „daher ſind auch die Menſchen hier und
ihre Sitten rauher als in Eurer Heimath, dem ſchönen
Byzanz.“ ö ö ö ö
Der eine der Jünglinge aber erwiderte
überaus klangvoller Stimme:
V„Nicht Byzanz iſt unſere Heimath, Fürſtenſohn, an-
derwärts müßteſt Du fie ſuchen.“
„Doch wo wir auch wandeln,“ fügte der Andere
hinzu, uns führet ein höherer Wille und vertraut ſind
wir mit des Lebens Ernſt, wie mit dem Sonnenſchein
und dem Licht.“
„Wir ſind an einen düſteren Ort gerathen,“ hob
Miloslaw wieder an, „ſo Grauenhaftes kennt man nicht
in dem Lande, dem Ihr entſtammt ſeid.“

Da leuchtete es auf in dem Antlitz der griechiſchen
Jünglinge und lächelnd erwiderte der eine, welcher ſich
Rafael nannte: „Ja dort iſt Alles hell und licht, von
Nacht und Grauen nirgend eine Spur.“

„Wohl weiß ich,“ ſprach Miloslaw hierauf, „daß
Ihr Griechen zu dem Gott der Chriſten betet, und daß
Euch fremd ſind die Gebräuche der finſtern Götter, wel-
chen der Boden geweiht iſt, auf dem wir ſtehen. Dieſer
Stein hat unzähliger Opfer Blut getrunken, doch fürchtet
nichts, Ihr ſteht unter meinem Schutze.“
„Ein Höherer als Du, Fürſt Miloslaw, beſchützet
uns,“ ſagten beide Jünglinge zu gleicher Zeit, „wo wir
auch weilen, wir fürchten uns nicht, denn über uns wacht
der Herr des Himmels. Ueberall leuchten uns ſeine
Sterne, wenn auch, wie eben jetzt, das Dunkel der heran-
nahenden Nacht und die Rieſen des Waldes ſie den
Blicken verbergen.“ ö
„Nein,“ fuhr der andere Griechenjüngling, Michael
mit Ramen, fort, „uns nahet kein Bangen, bei uns iſt
immerdar der Herr, vom Aufgang bis zum Untergang
der Sonne.“ ö

hierauf mit
 
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