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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 96 - No. 104 (2. December - 30. December)
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Heidelberger Familienblätter.

Beletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

1876.

98. Samſtag, den 9. Detember
— ů — ů ů ——
ö Baleska Adolph jubelte, weil Alles ſo zu gelingen ſchien und
am anderen Tage laſen die Lübecker wieder: „Ich be-
Rovelle von S. v. d. Horſt. gleite dich und wir verlaſſen uns nie mehr.“

(Jortſetzung.)

Die Roſen auf ihren Wangen erblühten in ver-
jüngter Schöne, die ſchwarzen Augen verloren den Aus-
druck unrettbarer Melancholie und die vergeſſene ver-
nachläſſigte Eitelkeit der dreiundzwanzigjährigen Frau
regte auf's Neue ihre Schwingen.
ſchön ſein, wollte dem Augenblick leben und nicht wiſſen,
daß es eine verhüllte Zukunft gibt; ſie nahm, wie das
in derartigen Fallen zu geſchehen pflegt, die Vernunft
des jungen Mannes gefangen in einen völligen Zauber-
bann, ſie zeigte ihm ohne Rückhalt, daß ihr neben ſeiner
Liebe Nichts und Niemand etwas galt. Das inſtinktive
Bewußtſein, nur für eine kurze Zeit dies Glück ihr eigen
nennen zu dürfen, ließ ſie jene Zurückhaltung vergeſſen,
welche dem Mädchen einem noch ſo geliebten Manne ge-
genüber immer als oberſte Richtſchnur gilt, von Frauen
aber meiſtens total bei Seite geſetzt wird.
Als Adolph, um ſeine frühere Gewiſſenhaftigkeit ge-
bracht, durch die ſchöne leidenſchaftliche Frau, welche ihn
ſo gänzlich beherrſchte, ihr zögernd, auf eine Abweiſung
gefaßt, von jener, jetzt nach wenigen Wochen bevorſtehen-

den Abreiſe ſprach und von dem Gedanken, mit ihr aus-

zuwandern nach dem Weſten Amerika's — da lächelte
Valeska.
„Und du glaubſt, ich hätte dich ziehen laſſen?“
flüſterte ſie, „du glaubſt, ich könnte leben ohne dich? —
Thor, was weißt du von Frauenliebe!“ —
Solche Worte aber, obgleich wahnſinnig und ſünd-
haft, verfehlen ihre momentane Wirkung bei keinem
Manne; ſie umnebeln ſein Urtheil und ſchmeicheln dem

Grundelemente ſeines Weſens, der Eitelkeit, von einer

ſchönen Frau angebetet zu werden, ihr unentbehrlich zu
ſein. Wo die äußeren Verhältniſſe oder die Schuld eines
Mannes dem Weibe eine zweite oder gar unerlaubte
Liebe gewiſſermaßen aufdrängen, da ſcheint ſolche Unglück-
liche den böſen Mächten verfallen. Adolph erſchrack vor
der Leichtigkeit, mit welcher Valeska einen ſo verhängniß-

ſchweren Schritt zu unternehmen ſchien, aber dennoch
glaubte er, reicher zu ſein als Kröſus, weil er es war,

dem dieſe glühende Leidenſchaft galt.

„So gebe ich alle früheren Geſchäftsverbindungen

mit meinem Chef auf,“ antwortete er, „und wir gehen
nach einem anderen Welttheil, um dort das Leben neu
zu beginnen. In dieſer Weiſe wird es mir auch ermög-
licht, meinen Bruder im Auge zu behalten und ihn zu
überwachen — noch wenige kurze Wochen, Valeska, und
wir ſind am Ziel, nichts mehr zwiſchen uns! —“ ö
„Mein Alles — meine Welt!“ flüſterte ſie. ö
Und ihre Küſſe erſtickten in ſeiner Seele jeden Vor-
wurf, jede Anklagae. ö
Abermals ließ er die Frage: „du bleibſt doch bei
deinem Vorſatz?“ in den Tageblättern inſeriren und
abermals erfolgte prompt die Antwort: „Nichts kann ihn
erſchüttern; Mitte Nooember.“ ö

Valeska wollte jetzt

mehrte ſich von Tag zu Tag.

;wartet hatten, ließ ſich nicht bezweifeln.

Das hielt alle Welt für eine Liebesaffaire und die
Beſonnenen lächelten über den letzten Satz. In Trave-
münde aber las ihn der bleiche ſcheublickende Jüngling
und ſtreckte verlangend die Arme aus, als könne er den
Retter, den einzigen Verwandten und Freund, welchen
er ſein eigen nannte, von hier aus erfaſſen und an
ſeiner Bruſt Schutz ſuchen gegen die Dämonen des eige-
nen Herzens. Auch er flüſterte: „Dann beginnen wir
ein neues Daſein, Adolph, mein Bruder, mein theurer
Bruder!“ —
Und die vergrabenen Summen in jenem Uferſand,
da wo die Trave mit zwei Nebenarmen ein kleines grünes
Fleckchen faſt ganz einzuſchließen ſchien, jener Schatz, der
auch für Georg das Thor der Freiheit werden ſollte,
Adolph ging nicht mehr
am Abend aus, weil ihn ſüße beſtrickende Bande daheim
feſthielten, ſonſt würde er noch manchesmal die nächt-
lichen Schiffer geſehen haben und das Klirren der Silber-
münzen gehört. ö ö
Dann kam eine Zeit, in welcher Poliziſten überall
nachforſchten und auf die Spur zu kommen ſuchten, wer

falſches Geld reichlich unter die Leute gebracht; wo die

Zeitungen verkündeten, daß in Altona und Hamburg
Falſchmünzer entdeckt ſeien. Auch Adolph hörte mit inner-
lichem Grauen, bebend vor unabweislicher Furcht, dieſe
Gerüchte und ging wieder mehrere Abende hinaus nach
jener Stelle, wo er Valeska gerettet, immer in der Hoff-
nung, den verirrten Bruder zu treffen. Zuverläſſige
Freunde hatten ihm vor längerer Zeit geſagt, daß er in
Travemünde ſei und ohne Beſchäftigung lebe; dann ſah
er ihn ſelbſt in unfehlbar ſchlechter Geſellſchaft, hörte
Worte, welche auf falſches Spiel und falſches Geld mit
Sicherheit ſchließen ließen — jetzt alſo ſchwebte der Be-
thörte in höchſter Gefahr und mußte dringend gewarnt
werden, irgend welchen Verdacht auf ſich zu lenken.
Adolph ſuchte ein durch die Dunkelheit des Herbſt-
abends begünſtigtes Verſteck unter den Gebüſchen und-
hatte ſehr bald die Genugthuung, ein⸗herannaheudes Boot
zu hören. Zugleich aber bemerkte er, daß in einiger Ent-
fernung ein Mann wartend am Ufer ſtand und zuweilen
ein halblautes Selbſtgeſpräch begann; auch dieſer ſchien
hier mit den Inſaſſen des Bootes ein verabredetes Stell-
dichein zu haben. ö ö ö ö
Adolph konnte nicht näher an ihn herantreten, weil
er dazu die freie Fläche überſchreiten mußte und alſo
jedenfalls gefehen werden würde; aber daß dieſer Fremde
derſelde ſei, welchen damals die Genoſſen Georg's er-
Er mochie nun
ſein, wer er wollte, zu den Spitzbuben gehörte er ſicher;
außerdem aber kam ſeine Figur dem Verſteckten ſeltſam
bekannt vor — irgendwo mußte er dieſen Mann ſchon

geſehen haben! — Jetzt mochten ihn die im Boote be-

merken, denn der taktmäßige Schlag der Ruder verſtummte

plötzlich und ein Mövenſchrei ſchrillte über die einſame
Gegend. ö
 
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