Familienk
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
uter.
10.
Samſtag, den 5. Febrnar
1876.
Drei Weihnachten.
Erzäh'ung von Ernſt Wichert.
(Fortſetzung.)
Endlich mußte aber doch Abſchied genommen werden
und er war beweglich genug. Mutter und Sohn konnten
nicht aufhören, einander zu umarmen und noch einmal
ins Auge zu blicken. „Ich weiß es, wir ſehen uns nicht
wieder“, ſagte die alte Frau bedrückt, und „Nun erſt
recht!“ verſicherte er immer darauf mit aller Zuverſicht-
lichkeit. Er glaubte auch feſt daran, daß ſich ſein Beſuch
in der Heimath würde wiederholen müſſen, wenn ihm die
Fremde nicht unleidlich werden ſollte.
Während der langen Eiſenbahnfahrt hatte er Zeit, alle
dieſe Eindrücke nachwirken zu laſſen. Ihn beſchäftigte
allen Ernſtes die Frage, ob wohl an eine Ueberſiedelung
in die Vaterſtadt zu denken ſei, oder ob nicht wenigſtens
die Kinder der Mutter zugeſchickt werden ſollten, damit
ſie eine deutſche Erziehung erhielten. Die erſten franzö-
ſiſchen Worte drüben klangen ihm rauh ins Ohr; es
war ihm, als hätte er nie die Sprache lernen ſollen, als
dürfe er ſie nicht gebrauchen, außer zu den nothdürftigſten
Mittheilungen geſchäftlicher Art.
Die kluge Madelaine mußte ſich bald überzeugen,
daß ſie nicht umſonſt gewarnt hatte. Sie fand ihren
Mann ganz verändert und hatte Veranlaſſung, ſich mit
dieſer Umwandlung ſehr unzufrieden zu bezeigen. Er
war träumeriſch, ſchweigſam, mürriſch und leicht zum
heftigſten Widerſpruch gereizt, fand die Wohnung unbe-
haglich, die Gaſthauskoſt ungenießbar, die ganze Lebens-
einrichtung widerwärtig. Statt ſie Abends nach Schluß
ver Geſchäfte zu einem Spaziergange auf den Boulevards
aufzufordern, wie er ſonſt zu thun pflegte, las er nun
bei der Lampe in deutſchen Büchern, die er mitgebracht
hatte, manchmal bis in die Nacht binein. Ja, er machte
ihr allen Ernſtes den Vorſchlag, ſie ſollte deutſch lernen
— ſie, die behauptete einen Zungenkrampf zu bekommen,
wenn ſie einmal zum Spaß ein barbariſches Wort nach-
zuſprechen verſuchte. Darüber hatte Arnold ſonſt berzlich
gelacht, jetzt ärgerte es ihn, wenn ſie Grimmaſſen ſchnitt,
als könne ſie die Silben nicht ohne Schmerzen durch die
Kehle bringen. Ihr luſtiges Geplauder nöthigte ihm
kein Lächeln ab; ſie konnte ſich noch ſo hübſch am Sonn-
tag ausputzen, er ſah kaum nach ihr hin, oder hatte zu
tadeln. Sie ſollte ſich durchaus einfach und bürgerlich
tragen, die Flittern fortlaſſen, die Perrücke von falſchen
Haaren nicht aufſetzen; da werde ſie albern ausſehen,
meinte ſie, und ihre beſten Kunden verlieren. Es ſei
gar nicht nöthig, wendete er ein, daß ſie im Putzladen
ſtehe, er verdiene genug, um eine Familie bei billigen
Anſprüchen unterhalten zu können, und ſie ſollte lieber
die Küche ſelbſt beſorgen und ſich ihrer Kinder annehmen,
die ja kaum wüßten, daß ſie eine Mutter hätten. Das
war ihr ganz unverſtändlich, ſie glaubte gerade ſo am
beſten für ſie zu ſorgen. Und nun das fortwährende
Vergleichen: das ſei in Deutſchland ganz anders, und
das, und das — und ſie ſollte ſich gar einreden laſſen,‚
daß es vorzüglicher ſei und Nachahmung verdiene! Ge-
gen ſeine Schweſter, die ihr bei jeder Gelegenheit als
das Muſter einer braven Frau vorgehalten wurde, em-
pfand ſie etwas wie Haß. Sie verbot ihm, von ihr zu
ſprechen, weng es nur immer mit einer tadelnden Seiten-
bemerkung auf ſie ſelbſt geſchehen könne, und darin ſah
er nun wieder eine ſchwere Kränkung. Die beiden Men-
ſchen, die ihr Schickſal zuſammengekettet hatten, erkannten
zu ſpät, daß ihnen zu einer wahren Gemeinſamkeit des
Lebens die Uebereinſtimmung der Neigungen und Be-
dürfniſſe fehle.
Vorläufig hatte kein Theil dem andern etwas vor-
zuwerfen, als dieſes Allgemeinſte und Unabänderliche, daß
jeder nicht ſei, wie ihn der andere wünſche und brauche.
War dabei ein Unrecht, ſo war es allerdings mehr auf
ſeiner als auf ihrer Seite, denn Madelaine hatte ſich
ihm ganz offen gegeben und war noch immer bereit, ihm
ſo viel zu ſein, als ſie ihm je ſein konnte, ſogar groß-
müthig zu verzeihen, daß er nicht als Franzoſe geboren
worden, er aber war ein anderer Menſch ſeit ſeiner Rück-
kehr und verlangte, daß ſie ſich ihm zu Gefallen ändern
jollte. Sie hatte auch das richtige Geſühl, daß ihr das
gar nicht gelingen könne, ohne ihr ganzes Weſen zu zer-
ſtören und darum widerſetzte ſie ſich ſelbſt bei gleich-
gültigeren Dingen mit Hartnäckigkeit. Nun glaubte er
zu wiſſen, daß böſer Wille im Spiel ſei und zeigte ſich
noch unfreundlicher.
Es kann in einer Ehe viel Uneinigkeit und Streit
geben, bis zum feſten Entſchluß, ſie zu trennen, iſt's ein
weiter Weg. Es hatte doch immer ſeinen guten Grund
gehabt, daß dieſe Zwei einander die Hand reichten und
Jahre lang ganz glücklich beiſammen lebten — das übte
auch weiter ſeine Macht. Es gab lichte Zwiſchenzeiten,
in denen der Himmel ihres Eheglücks wieder ganz wolken-
frei ſchien. Madelaine war in ihrer Art ein reizendes
Weibchen und es mußte ſchon arg kommen, wenn ihre
gute Laune länger als ein paar Stunden getrübt werden
konnte. Was ihm jetzt nach ſeiner Rückkehr gerade ſo
viel zu denken gab, dieſe angeborene Leichtfertigkeit und
Geſchicklichkeit jede Sorge fortzulachen und ſich mit dem
Ernſt des Lebens möglichſt bequem abzufinden, kam ihm
doch wieder zu Statten. Und er mußte ja auch merken,
daß ſie ihn noch immer liebte, wie ſie die Liebe verſtand.
Es konnte ihr kein größeres Vergnügen ſein, als ſich
dem ſtattlichen Mann mit dem prächtigen Vollbart an
den Arm hängen und ihren Beſitz aller Welt zeigen zu
dürfen; und er ſelbſt hätte von Eitelkeit gar nichts
wiſſen müſſen, wenn ihn ſo viel zärtliche Hingabe un-
gerührt laſſen konnte. ö ö
So verging ein Jahr ſchlecht und gut, und wieder
kam die Weihnachtszeit. Madelaine meinte, lieber gar
nicht daran erinnern zu ſollen, ſie wollte es ihm gar
nicht verargen, wenn ſeine Gedanken mehr als ſonſt bei
den Seinigen zu Hauſe wären und die ſchlimmen Tage
vorübergehen laſſen. Er aber faßte ihr Schweigen ganz
anders auf: ſo viel Gleichgültigkeit hätte er ihr doch
nicht zugetraut. Als der heilige Abend herankam und
Madelaine ihm vorſchlug, in die Oper zu gehen, um ein
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
uter.
10.
Samſtag, den 5. Febrnar
1876.
Drei Weihnachten.
Erzäh'ung von Ernſt Wichert.
(Fortſetzung.)
Endlich mußte aber doch Abſchied genommen werden
und er war beweglich genug. Mutter und Sohn konnten
nicht aufhören, einander zu umarmen und noch einmal
ins Auge zu blicken. „Ich weiß es, wir ſehen uns nicht
wieder“, ſagte die alte Frau bedrückt, und „Nun erſt
recht!“ verſicherte er immer darauf mit aller Zuverſicht-
lichkeit. Er glaubte auch feſt daran, daß ſich ſein Beſuch
in der Heimath würde wiederholen müſſen, wenn ihm die
Fremde nicht unleidlich werden ſollte.
Während der langen Eiſenbahnfahrt hatte er Zeit, alle
dieſe Eindrücke nachwirken zu laſſen. Ihn beſchäftigte
allen Ernſtes die Frage, ob wohl an eine Ueberſiedelung
in die Vaterſtadt zu denken ſei, oder ob nicht wenigſtens
die Kinder der Mutter zugeſchickt werden ſollten, damit
ſie eine deutſche Erziehung erhielten. Die erſten franzö-
ſiſchen Worte drüben klangen ihm rauh ins Ohr; es
war ihm, als hätte er nie die Sprache lernen ſollen, als
dürfe er ſie nicht gebrauchen, außer zu den nothdürftigſten
Mittheilungen geſchäftlicher Art.
Die kluge Madelaine mußte ſich bald überzeugen,
daß ſie nicht umſonſt gewarnt hatte. Sie fand ihren
Mann ganz verändert und hatte Veranlaſſung, ſich mit
dieſer Umwandlung ſehr unzufrieden zu bezeigen. Er
war träumeriſch, ſchweigſam, mürriſch und leicht zum
heftigſten Widerſpruch gereizt, fand die Wohnung unbe-
haglich, die Gaſthauskoſt ungenießbar, die ganze Lebens-
einrichtung widerwärtig. Statt ſie Abends nach Schluß
ver Geſchäfte zu einem Spaziergange auf den Boulevards
aufzufordern, wie er ſonſt zu thun pflegte, las er nun
bei der Lampe in deutſchen Büchern, die er mitgebracht
hatte, manchmal bis in die Nacht binein. Ja, er machte
ihr allen Ernſtes den Vorſchlag, ſie ſollte deutſch lernen
— ſie, die behauptete einen Zungenkrampf zu bekommen,
wenn ſie einmal zum Spaß ein barbariſches Wort nach-
zuſprechen verſuchte. Darüber hatte Arnold ſonſt berzlich
gelacht, jetzt ärgerte es ihn, wenn ſie Grimmaſſen ſchnitt,
als könne ſie die Silben nicht ohne Schmerzen durch die
Kehle bringen. Ihr luſtiges Geplauder nöthigte ihm
kein Lächeln ab; ſie konnte ſich noch ſo hübſch am Sonn-
tag ausputzen, er ſah kaum nach ihr hin, oder hatte zu
tadeln. Sie ſollte ſich durchaus einfach und bürgerlich
tragen, die Flittern fortlaſſen, die Perrücke von falſchen
Haaren nicht aufſetzen; da werde ſie albern ausſehen,
meinte ſie, und ihre beſten Kunden verlieren. Es ſei
gar nicht nöthig, wendete er ein, daß ſie im Putzladen
ſtehe, er verdiene genug, um eine Familie bei billigen
Anſprüchen unterhalten zu können, und ſie ſollte lieber
die Küche ſelbſt beſorgen und ſich ihrer Kinder annehmen,
die ja kaum wüßten, daß ſie eine Mutter hätten. Das
war ihr ganz unverſtändlich, ſie glaubte gerade ſo am
beſten für ſie zu ſorgen. Und nun das fortwährende
Vergleichen: das ſei in Deutſchland ganz anders, und
das, und das — und ſie ſollte ſich gar einreden laſſen,‚
daß es vorzüglicher ſei und Nachahmung verdiene! Ge-
gen ſeine Schweſter, die ihr bei jeder Gelegenheit als
das Muſter einer braven Frau vorgehalten wurde, em-
pfand ſie etwas wie Haß. Sie verbot ihm, von ihr zu
ſprechen, weng es nur immer mit einer tadelnden Seiten-
bemerkung auf ſie ſelbſt geſchehen könne, und darin ſah
er nun wieder eine ſchwere Kränkung. Die beiden Men-
ſchen, die ihr Schickſal zuſammengekettet hatten, erkannten
zu ſpät, daß ihnen zu einer wahren Gemeinſamkeit des
Lebens die Uebereinſtimmung der Neigungen und Be-
dürfniſſe fehle.
Vorläufig hatte kein Theil dem andern etwas vor-
zuwerfen, als dieſes Allgemeinſte und Unabänderliche, daß
jeder nicht ſei, wie ihn der andere wünſche und brauche.
War dabei ein Unrecht, ſo war es allerdings mehr auf
ſeiner als auf ihrer Seite, denn Madelaine hatte ſich
ihm ganz offen gegeben und war noch immer bereit, ihm
ſo viel zu ſein, als ſie ihm je ſein konnte, ſogar groß-
müthig zu verzeihen, daß er nicht als Franzoſe geboren
worden, er aber war ein anderer Menſch ſeit ſeiner Rück-
kehr und verlangte, daß ſie ſich ihm zu Gefallen ändern
jollte. Sie hatte auch das richtige Geſühl, daß ihr das
gar nicht gelingen könne, ohne ihr ganzes Weſen zu zer-
ſtören und darum widerſetzte ſie ſich ſelbſt bei gleich-
gültigeren Dingen mit Hartnäckigkeit. Nun glaubte er
zu wiſſen, daß böſer Wille im Spiel ſei und zeigte ſich
noch unfreundlicher.
Es kann in einer Ehe viel Uneinigkeit und Streit
geben, bis zum feſten Entſchluß, ſie zu trennen, iſt's ein
weiter Weg. Es hatte doch immer ſeinen guten Grund
gehabt, daß dieſe Zwei einander die Hand reichten und
Jahre lang ganz glücklich beiſammen lebten — das übte
auch weiter ſeine Macht. Es gab lichte Zwiſchenzeiten,
in denen der Himmel ihres Eheglücks wieder ganz wolken-
frei ſchien. Madelaine war in ihrer Art ein reizendes
Weibchen und es mußte ſchon arg kommen, wenn ihre
gute Laune länger als ein paar Stunden getrübt werden
konnte. Was ihm jetzt nach ſeiner Rückkehr gerade ſo
viel zu denken gab, dieſe angeborene Leichtfertigkeit und
Geſchicklichkeit jede Sorge fortzulachen und ſich mit dem
Ernſt des Lebens möglichſt bequem abzufinden, kam ihm
doch wieder zu Statten. Und er mußte ja auch merken,
daß ſie ihn noch immer liebte, wie ſie die Liebe verſtand.
Es konnte ihr kein größeres Vergnügen ſein, als ſich
dem ſtattlichen Mann mit dem prächtigen Vollbart an
den Arm hängen und ihren Beſitz aller Welt zeigen zu
dürfen; und er ſelbſt hätte von Eitelkeit gar nichts
wiſſen müſſen, wenn ihn ſo viel zärtliche Hingabe un-
gerührt laſſen konnte. ö ö
So verging ein Jahr ſchlecht und gut, und wieder
kam die Weihnachtszeit. Madelaine meinte, lieber gar
nicht daran erinnern zu ſollen, ſie wollte es ihm gar
nicht verargen, wenn ſeine Gedanken mehr als ſonſt bei
den Seinigen zu Hauſe wären und die ſchlimmen Tage
vorübergehen laſſen. Er aber faßte ihr Schweigen ganz
anders auf: ſo viel Gleichgültigkeit hätte er ihr doch
nicht zugetraut. Als der heilige Abend herankam und
Madelaine ihm vorſchlug, in die Oper zu gehen, um ein