Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1876

DOI Kapitel:
No. 35 - No. 43 (3. Mai - 31. Mai)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0177

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

A 43.

Mittwoch, den 31. Mai

1876.

Bie Gruft von Steffendorf.
Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)

In Steffendorf angelangt, hatte ſein Scharfſinn
bald entdeckt, daß nur mit der Oertlichkeit vertraute
Perſonen das Verbrechen verübt haben konnten, daß eine
ſo genaue Ortskenntniß aber auch nur von Eingeſeſſenen
des Dorfes zu erwarten ſei. Er verhörte an Ort und
Stelle den Baron Felix Vitus, den Tiſchler Held und
den Gaſtwirth Schilder. Es konnte auf dieſe Weiſe nicht
fehlen, daß die Reden, welche am Todestage des Grafen
Bernhard, vor welchem nach allgemeiner Annahme der
Einbruch verübt ſein mußte, von Katharine Schmidt ge-
führt waren, den Verdacht der Thäterſchaft auf Schubert
und deſſen Sohn lenkten. Unverkennbar war es nun,
daß die Schmidt damals bereits von dem Einbruche in
die graͤfliche Gruft Kenntniß hatte. Aus ihren Aeußerungen
ging hervor, daß Schubert zu dieſem Verbrechen von der
Ehefrau des Tiſchlers Held ſich das benöthigte Brechzeug
zu beſchaffen gewußt, und daß die Schmidt Wiſſenſchaft
über ein Verbrechen hatte, welches, nach ihrer Meinung,
zu ſchmählicher Zuchthausſtrafe für Schubert und deſſen
Sohn führen mußte. ö
Die Katharine Schmidt wurde aufgefordert. Sie
erſchien mit frecher Stirn und — läugnete Alles ab,
ſogar, daß ſie im Schilder'ſchen Gaſthauſe geweſen und
dort die von Held und Schilder beſchworenen Drohungen
gegen Schubert ausgeſtoßen.
Das Handwerkszeug des Held wurde herbeigeholt.
Es wurde in die Spuren eingepaßt. Ganz augenſchein-
lich rührten die hauptſächlichſten Beſchädigungen an der
Thür der Gruft und an den Särgen von dem Held'ſchen
Meißel her. ö
Schubert, halb angetrunken, und ſein Sohn wurden
vorgelaſſen. Schubert läugnete, die Frau Held zu ken-
nen und von ihr jemals Handwerkszeug entlehnt zu ha-
ben. Mit eifrigen Worten und den heftigſten Betheuerungen
der Wahrheit ſagte ihm das die Ehefrau des Tiſchler
Held ins Geſicht und verlachte ihn, als er ſie nicht zu
kennen vorgab. ö
Die Fußſpuren vor der Gruft wurden mit den
Stiefeln der beiden Schubert verglichen. Sie paßten.
Durch Abtrocknen des Erdreichs waren inzwiſchen die
Fußabdrücke in demſelben etwas zuſammengebröckelt.
Nun nahm der Staatsanwalt ein eingehendes Ver-
hör des alten Schubert vor. Dabei ergab ſich, daß
Schubert nicht läugnen konnte, zwei in der Gruft befind-
liche Leichen gewaſchen und dabei vielfachen Schmuck an
Ohren unb Händen derſelben bemerkt zu haben. Bezüg-

lich ſeines Aufenthalts in den Nächten der verfloſſenen

Woche konnte Schubert dagegen keine genügende Aus-
kunft ertheilen; er räumte ein, faſt in keiner Nacht ein-
heimiſch geweſen zu ſein und wollte ſeinen Aerger über
häuslichen Unfrieden in den Schänken benachbarter Dörfer
vertrunken haben. Auch der junge Schubert, ein abge-

ſtumpfter, geiſtig und körperlich verkommener Menſch

gab zu, zwei Nächte hinter einander mit einem großen

Hunde auswärts geweſen zu ſein. Er wollte in der
benachbarten Stadt nach dem Eigenthümer dieſes Hundes
Erkundigungen eingezogen haben. Unbezweifelt rührten
von dieſem Hunde die neben den Fußtapfen der Diebe
befindlichen Thierſpuren her.
Das halbe Dorf hatte, auf dem Gottesacker ver-
ſammelt, dieſen Verhandlungen beigewohnt. Alle ge-
wannen die untrügliche Ueberzeugung, daß Schubert und
deſſen Sohn und kein Anderer die That verübt. Es
war eine gerechte Befriedigung auf allen Geſichtern be-
merkbar, als am Schluſſe der Staatsanwalt die Feſſelung
der beiden Verbrecher und der Katharine Schmidt ver-
ordnete und den Befehl gab, dieſelben unverzüglich in
das Gerichtsgefängniß abzuliefern. ö
Nur bei Einem, und zwar bei Felix Vitus, welcher
den Ermittelungen mit der geſpannteſten Aufmerkſamkeit
gefolgt war, ſchienen nicht alle Bedenken gehoben. Er
ſtand dicht neben Schubert, als der trotzige, grauköpfige
Kerl ſeine Haͤnde erbleichend dem ihn feſſelnden Gensdarmen
darreichte.
„Schubert,“ fragte Felix leiſe, „rauchen Sie?“
„Tüchtig,“ erwiderte Jener, „aber jetzt wird wohl
eine Zeit lang das Feuer ausgehen.“
„Rauchen Sie Cigarren?“
„Nein, nur den Schuſterſtummel!“
„Haben Sie Streichhölzchen bei ſich?“
Schubert griff mit ſeiner pechbeklebten Hand in die
rechte Weſtentaſche und fingerte einige ſchmutzige Streich-

hölzchen hervor.

„Haben Sie nicht andere, nicht ſchwediſche?“
„Nein, die ſind zu theuer.“ ö
„Haben Sie ſchon einmal Strafe bei Gericht er-
litten?“
„O, niemals, Herr Baron,“ betheuerte der Schuh-
macher mit weinerlicher Stimme. „Immer ehrlich und
rechtſchaffen ernährt, vom Vater auf den Sohn kein
Schandfleck! Und jetzt? — An dem ganzen Unglück iſt
das verdammte Weibsbild, die Katharine, Schuld. Komm
ich wieder heraus, ſo iſt ſie die Erſte, der ich den Hals
umdrehe! Sie hat mich beſtohlen, ich habe meine guten
Sachen bei ihr gefunden, aber erſt ihren Koffer erbrechen
müſſen — das iſt der ganze Haß, die ganze Bosheit;
deshalb hat ſie bei Schilders das Held'ſche Werkzeug ge-
zeigt und mit dem Zuchthauſe gedroht. Es gelingt ihr,
ſie ſtürzt mich. Aber es lebt ein Vater im Himmel,
und — geheirathet, Kathrin, wird doch nicht!“
Die Gerichtsperſonen waren bereits in den Wagen
geſtiegen, zur Rückreiſe gerüſtet. Felix trat an den Wa-
gen. „Es ſind noch einige Umſtände, Herr Staats-
anwalt,“ ſagte er mit ſeiner ruhigen, klangvollen Stimme,
„deren Erörterung ich Ihrer Erwägung anheim geben
möchte.“
Der Staats-Anwalt warf ſein Binocle auf die
Naſe und ſah erſtaunt auf.
„Gewiß,“ ſagte er mit ſchnarrender und geläufiger
Stimme, „die Akten ſind noch nicht geſchloſſen. Es wer-
 
Annotationen