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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 96 - No. 104 (2. December - 30. December)
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Hei

delberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 103.

Mittwoch, den 27. December

1876.

Die Erbin von Tabakow.
Von Sacher⸗Maſoch.
Die alte Frau war geſtorben, das Begraͤbniß war
ſehr feierlich. Geweint hat um die geizige Herrin von
Tabakow Niemand als Zenobius, ein entfernter ſehr
armer Verwandter von ihr, den ſie ſeltſämer Weiſe trotz
ihres Geizes in das Haus genommen hatte, und der, als
er hinter ihrem Sarg ging, überlegte, ob er ſich jetzt auf-
henken, ertränken oder mit dem reichlich vorhandenen
Inſektenpulver vergiften ſollte. Für ihn ſchien Alles zu
Ende zu ſein. ö
Sofort nach der Beerdigung kam der Notar, Herr

Batſchkorek, mit den Beamten, um das Teſtament zu er-

öffnen.
„Ein närriſches Teſtament,“ rief der Notar aus,
als er ſich etwas gefaßt hatte, „noch nie hat ein Menſch,
der doch von Gott erſchaffen und ſozuſagen mit Vernunft
begabt iſt, ein ſo närriſches Teſtament gemacht. Es iſt
zum Lachen, ſo einen Erben einzuſetzen.“
„Wer iſt denn der Erbe?“ fragten zugleich zehn
Stimmen.
„Der Erbe iſt — ein Hund,“ ſagte der Notar.
In der That erbte Mika, ein kleiner weißer Spitz,
das geſammte Vermögen der Baronin. Zenobius war
damit betraut, daſſelbe zu verwaften und den Hund treu
zu pflegen, dafür fielen ihm, ſo lange er lebte, die ge-
ſammten Einkünfte zu.
füßigen Erbin ſollte das ganze Vermögen an das Kloſter
der Carmeliterinnen in Lemberg übergehen, welche ver-
bfigien wurden, für das Seelenheil der Verſtorbenen
zu beten. ö
Als Zenobins mit dem Inhalte des Teſtaments be-
kannt gemacht wurde, rief er: „Da muß ich mich nieder-
ſetzen!“ und ſetzte ſich wirklich auf einen Stuhl, um aber
im nächſten Augenblicke aufzuſpringen, Mika dei den
Pfoten zu erwiſchen und mit ihr im Zimmer herum-
zutanzen. „
Geld iſt der Probirſtein für Menſchen, ſagt Chilon.
Von dem Tage an, wo Zenobius ein reicher Mann war,
veränderte ſich ſein ganzes Weſen, nichts ſchien mehr von
ſeiner ſonſt ſo guten, ſorgloſen, fröhlichen Natur übrig,
als die ſchwärmeriſche Liebe für die blonde Cleopha, die
Tochter des unirten Pfarrers, dieſe auszurotten, gelang
nicht einmal dem Gelde. ö ö
Vor Allem empfand es der neue Herr von Tabakow
und ſo vielen anderen Gütern und Capitalien bitter, daß

ſein Eigenthum, ſein Reichthum, ja ſein ganzes Glück an

einem dünnen Faden, an dem Leben eines alten, kränk-
lichen, boshaften Hundes hing. Dieſe Erwägung nahm
ihm vor Allem den Muth, um Cleopha's Hand anzu-
halten. Ich will ſie nicht heute zur Dame und morgen
zur Bettlerin machen, dachte er, und dieſer Gedanke war
ohne Zweifel ein ehrlicher. Es galt alſo, die vierfüßige
Erbin ſo lange am Leben zu erhalten, bis Zenobius von
den Einkünften, welche ihm ohne Einſchränkung zur Ver-
fügung ſtanden, ſo viel erſpart hatte, daß er in jedem
Falle mit einer Frau und etwa auch mit einigen Kindern,

Nach dem Ableben der vier-

wenn auch nicht glänzend, ſo doch ſorgenlos leben könnte
Die reinen Einkünfte beliefen ſich auf faſt 28,000 Gulden
jährlich. Ein Jahr genügte alſo, um ſein Daſein zu
ſichern, ein zweites, um ihn wohlhabend, ein drittes, um
ihn reich zu machen.
Er beſchloß alſo jährlich mit nicht ganz tauſend
Gulden auszukommen und die übrigen 27,000 Gulden
zurückzulegen. Die Folge war, daß mehrere Dienſtleute
entlaſſen, daß in jeder Richtung Erſparungen durchgeführt
wurden und die Wirthſchaft in Tabakow ein noch gei-
zigeres und verzweifelteres Anſehen annahm, als zur Zeit
der Baronin. Der Geiſt der Baronin ſchien ihren Neffen
unabläſſig zu umſchweben.
„Kein Hund lebt ewig,“ pflegte Zenobius zu ſagen,
„er lebt aber leider nicht einmal ſo lange wie der Menſch.
Ich habe alle erdenklichen Werke zu Rathe gezogen, das
höchſte Alter, das der Huod erreicht, ſind zwanzig Jahre
und Mika zaͤhlt bereits neun. Man muß alſo Alles
aufbieten, ſie am Leben und ſogar bei guter Laune zu
erhalten.“ ö
Und ſo bot er denn in der That Alles auf. Kein
Troubadour hat je ſeiner ſtolzen Gebteterin eifriger den
Hof gemacht, kein Cariſten⸗Sclave der ſchönſten Sultanin
demüthiger gedient, wie er der kleinen mürriſchen Mika,
welche ſich für ſeine Zärtlichkeit und Pflege nicht einmal
dankbar zeigte, ſondern Alles als ſchuldigen Tribut ent-
gegen nahm.
Am Morgen war das Erſte, daß er ſie kämmte und
ihr dann, wie es die Baronin in ihrem Teſtament aus-
drücklich angeordnet hatte, mit einer Zahnburſte die Zähne
putzte. Jeden Sonnabend badete er ſie ſelbſt, trocknete
ſie mit gewärmien Tüchern und trug ſie auf ſeinen Armen
zu dem Divan, wo er ſie, ſorgſam wie ein Kind, in
einen alten Zobelpelz wickelte und auf Eiderdunnen

bettete.
(Schluß folgt.)

Amerikaniſche Gtheimpolii.
Zu dem hier in Rede ſtehenden Capitel bringt die

Newyorker „Deutſché Allgemeine Zeitung“ in einer Local-

correſpodenz folgende intereſſante Beiträge: ö
„Die Entwickelung Newyorks zu einer Handelsſtadt
erſter Claſſe und deren Charakter als Geldeentrum der
Union haben in unſerer Mitte einen Geſchäftszweig er-
ſtehen und erblühen laſſen, deſſen Verzweigungen ſich
nach allen Theilen der Welt erſtrecken. Das Syſtem der
Detectivagenturen iſt mit unſerem Geſchäftsleben, ja man
darf wohl behaupten, ſelbſt mit vielen Phaſen unſeres
geſellſchaftlichen Lebens auf das Innigſte liirt. Vor etwa
fünfundzwanzig Jahren litt das Bank⸗Liquidationshaus
(Clearing Houſe) unter einer Reihe von Betrügereien,
deren Entdeckung allen Nachforſchungen der Directoren
und Beamten des Inſtituts ſpottete. Die ſtädtiſche Ge-
heimpolizei, welche damals ſchlecht organiſirt war und
ſich auch gerade nicht vor der jetzigen durch Scharffinn
 
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