Heidelberger Lamilienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
. 32.
Samſtag, den 1. Juli
1876.
Das Familienleben in der Türkei.)
Möge der Leſer mit mir ein türkiſches Haus in
Konſtantinopel in der frühen Morgenſtunde betreten.
Man vernimmt einige dumpfe Schläge am Dolab, einem
runden Drehkaſten, durch deſſen Ton die Diener und
vornämlich jene Mitglieder des Hauſes, denen das Ueber-
treten der Haremsſchwelle nicht geſtattet iſt, Signale er-
halten. Die Schläge wiederholen ſich immer heftiger;
bald darauf hört man die ſchweren Tritte eines Dieners,
dem eine Sclavin die wichtige Mittheilung macht, der
Herr des Hauſes habe ſein Bett verlaſſen, ſein Bad ge-
nommen und werde nun das Selamlik mit ſeiner Ge-
genwart beglücken, um ſeinen Morgentſchibuk zu rauchen.
Es tritt eine kleine Pauſe ein. Bald verbreitet ſich die
Nachricht, der Paſcha, Bey oder Efendi ſei „herausgekom-
men“, womit man auf ſeine Ueberſiedelung aus der
Frauenabtheilung des Hauſes in die Männerabtheilung
hindeutet.
Der Ruf: „Er iſt herausgekommen!“ bringt die
Dienerwelt auf die Beine. Ein Tſchibuk- oder Nargile-
wärter ſchleppt ſich ſchwerfällig durch den Gang dem
Gemache ſeines Herrn zu, bald mit den Händen die halb-
verſchloſſenen Augen reibend, bald aus voller Bruſt das
Feuer anblaſend, welches das narkotiſche Gift beleben
ſoll. Ihm folgt der Kaffee⸗ oder Theetragende Diener,
denn obſchon der Hausherr im Harem an dieſen Genüſſen
ſich regalirt hat, ſo muß er es doch im Selamlik noch
einmal. Das dort Geſchehene wird hier als nicht ge-
ſchehen betrachtet; dort ſchon einmal erwacht, muß er
hier ſo zu ſagen noch einmal erwachen. Ohne gegrüßt
zu werden oder ſelbſt zu grüßen — denn der eigene
Diener grüßt im Oſten nie ſeinen Herrn, wird auch von
dieſem nicht gegrüßt, ſo verlangt es die orientaliſche
Etiquette — muß er nun mit langen Zügen dem Pfeifen-
rohr und Getränke zuſprechen. Kaum aber hat er ſich
dieſer Pflicht entledigt, nähert ſich ihm ſchon der Wekil
Chardſch (Majordomus) oder Chazinedar (Schatzmeiſter),
auf ellenlanges Papier geſchriebene Rechnungen dem
Herrn vorlegend, um Genehmigung für dieſe oder jene
Hausangelegenheiten oder deſſen Unterſchrift, d. h. deſſen
Siegelabdruck, zur Hebung einer Geldſumme beim Fa-
milienbanquier zu erlangen. Denn, wohlverſtanden, die
Pflichten der Hausfrau liegen bei den Mohamedanern
immer dem Hausherrn ob. Mit ſchläfriger, verdrießlicher
Miene durchläuft der Gebieter die langen Colonnen der
Poſten für Hausausgaben und mit Widerwillen greift
er nach dem auf der nackten Bruſt befindlichen, die ver-
ſchiedenen Siegel enthaltenden ſeidenen Säckchen, das
ſelbſt vor den eigenen Kindern verborgen gehalten, auch
bei Nacht nicht vom Leibe entfernt wird. Die Rechnung
wird richtig befunden, Anmeiſungen auf Geld werden
ausgefolgt, wobei der orientaliſche Hausherr ſtets Stoß-
ſeufzer hören läßt. Er weiß ſehr wohl, daß die Hälfte
Heraus Hegehen ouden aus Uaen u6o Henann ber H. Vambery.
en von dem allgemeinen Verein für deut
Berlin 1876. A. Hofmann u. Comp. für deutſche Literatur.
wie es im Hauſe zugeht.
oder ein Drittheil der Rechnungspoſten erlogen iſt, weiß,
daß der Mann, den er ſchon 10—45 Jahre im Hauſe
hat, ihn frech beſtiehlt und ferner beſtehlen wird; das
Alles iſt ihm kein Geheimniß, da der betreffende Diener
einen Monatsgehalt von 240 -250 Piaſter bezieht, wäh-
rend er 500, ja manchmal 1000 Piaſter verausgabt.
Nebengeſchäfte betreibt er nicht, alſo woher genommen,
wenn er nicht geſtohlen? Der Türke ſeufzt darüber,
doch kann er es nicht ändern Er tröſtet ſich damit,
daß verheimlichter Diebſtahl nicht wehe thue und hält
es nach ſeiner Anſicht für beſſer, „die Fliege, welche ſich
an ſeinem Blute ſattgetrunken, weiter trinken zu laſſen,
als durch Forttreiben oder Todtſchlagen einer neuen,
hungerigeren Platz zu bereiten.n.“
Dieſelben Zuſtände herrſchen im Staatsleben. Be-
amte mit 500 Piaſtern Monatsgehalt verbrauchen 1000
u. ſ. w. Der Sultan oder Schah ſieht, wie dieſer oder
jener, ohne Handel zu treiben, ohne Induſtrie, einzig und
allein auf ſein karges Gehalt angewieſen, ſtupende Reich-
thümer anhäuft. Hie und da, namentlich im fernen
Oſten, wird ſo manche Fliege, die ſich vollgeſogen hat,
gepackt und ihr das tropfenweiſe angeſammelte Blut auf
einmal wieder abgezapft, doch am Bosporus ſchämt man
ſich, ſo barbariſch zu ſein, und ein türkiſches Sprüchwort
ſagt: „Padischahin mali dentz, Jemejen domuz.“
(Des Padiſchah's Reichthum iſt ein Meer, wer nicht da-
von trinkt, iſt ein Schwein.) Doch genug von dieſer
eigenartigen Staatsökonomie. — Sehen wir nun weiter,
Nach Verrichtung des mühe-
ſeligen Geſchäfts des Zählens und Schuldenmachens
wird zur Erholung eine zweite Pfeife geraucht. Der
Dolab läßt ſeine Schläge von Neuem hören. Eine
gellende, jugendliche Stimme ruft einen der Diener, ge-
wöhnlich den älteſten und vertrauteſten, herbei, damit er
dem jungen Bey, der nun auch den Harem verlaſſen
will, die Hände reiche und ihn zu ſeinem Vater führe.
Der Diener begibt ſich vor den vor der Haremthür herab-
hängenden Vorhang, ſtreckt die Hände hinter denſelben
und zieht den Knaben oder auch mehrere Kinder auf
einmal hervor, die nun im friſchen Anzug dem Papa
vorgeſtellt werden und obwohl erſt im Alter von 4 bis
5 Jahren doch mehrere Male aufgefordert werden müſſen,
ſich niederzuſetzen, denn das Kind ſoll aus Achtung vor
ſeinem Vater ſtehen bleiben — aus Achtung, die oft die
Liebe verdrängt und dennoch ſchon früh eingeſchärft wird.
Haben ſich die Kinder zurückgezogen, ſo beginnt die
eigentliche Arbeitszeit, welche bis 14 Uhr, d. h. bis zum
Frühſtück oder Mittagsmahle, wie man es eben nennen
will, währt. Es iſt dies die belebteſte Periode des Tages
im Hauſe der Orientalen, der von der geringſten Arbeit
bald ermüdet und nur in den erſten Morgenſtunden mit
einem gewiſſen Grade von Lebendigkeit und Behendigkeit
die Geſchäfte zu verrichten vermag. Ob in Konſtantinopel,
Teheran oder anderswo, überall findet man zu dieſer
Zeit den Herrn am ſicherſten zu Hauſe. Iſt er Beamter,
wozu übrigens jeder Orientale höherer Klaſſe zählt, ſo
empfängt er zu dieſer Zeit ſeine Subalternen. Die Vor-
halle des Selamlik iſt von Dienerhaufen der kommenden
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
. 32.
Samſtag, den 1. Juli
1876.
Das Familienleben in der Türkei.)
Möge der Leſer mit mir ein türkiſches Haus in
Konſtantinopel in der frühen Morgenſtunde betreten.
Man vernimmt einige dumpfe Schläge am Dolab, einem
runden Drehkaſten, durch deſſen Ton die Diener und
vornämlich jene Mitglieder des Hauſes, denen das Ueber-
treten der Haremsſchwelle nicht geſtattet iſt, Signale er-
halten. Die Schläge wiederholen ſich immer heftiger;
bald darauf hört man die ſchweren Tritte eines Dieners,
dem eine Sclavin die wichtige Mittheilung macht, der
Herr des Hauſes habe ſein Bett verlaſſen, ſein Bad ge-
nommen und werde nun das Selamlik mit ſeiner Ge-
genwart beglücken, um ſeinen Morgentſchibuk zu rauchen.
Es tritt eine kleine Pauſe ein. Bald verbreitet ſich die
Nachricht, der Paſcha, Bey oder Efendi ſei „herausgekom-
men“, womit man auf ſeine Ueberſiedelung aus der
Frauenabtheilung des Hauſes in die Männerabtheilung
hindeutet.
Der Ruf: „Er iſt herausgekommen!“ bringt die
Dienerwelt auf die Beine. Ein Tſchibuk- oder Nargile-
wärter ſchleppt ſich ſchwerfällig durch den Gang dem
Gemache ſeines Herrn zu, bald mit den Händen die halb-
verſchloſſenen Augen reibend, bald aus voller Bruſt das
Feuer anblaſend, welches das narkotiſche Gift beleben
ſoll. Ihm folgt der Kaffee⸗ oder Theetragende Diener,
denn obſchon der Hausherr im Harem an dieſen Genüſſen
ſich regalirt hat, ſo muß er es doch im Selamlik noch
einmal. Das dort Geſchehene wird hier als nicht ge-
ſchehen betrachtet; dort ſchon einmal erwacht, muß er
hier ſo zu ſagen noch einmal erwachen. Ohne gegrüßt
zu werden oder ſelbſt zu grüßen — denn der eigene
Diener grüßt im Oſten nie ſeinen Herrn, wird auch von
dieſem nicht gegrüßt, ſo verlangt es die orientaliſche
Etiquette — muß er nun mit langen Zügen dem Pfeifen-
rohr und Getränke zuſprechen. Kaum aber hat er ſich
dieſer Pflicht entledigt, nähert ſich ihm ſchon der Wekil
Chardſch (Majordomus) oder Chazinedar (Schatzmeiſter),
auf ellenlanges Papier geſchriebene Rechnungen dem
Herrn vorlegend, um Genehmigung für dieſe oder jene
Hausangelegenheiten oder deſſen Unterſchrift, d. h. deſſen
Siegelabdruck, zur Hebung einer Geldſumme beim Fa-
milienbanquier zu erlangen. Denn, wohlverſtanden, die
Pflichten der Hausfrau liegen bei den Mohamedanern
immer dem Hausherrn ob. Mit ſchläfriger, verdrießlicher
Miene durchläuft der Gebieter die langen Colonnen der
Poſten für Hausausgaben und mit Widerwillen greift
er nach dem auf der nackten Bruſt befindlichen, die ver-
ſchiedenen Siegel enthaltenden ſeidenen Säckchen, das
ſelbſt vor den eigenen Kindern verborgen gehalten, auch
bei Nacht nicht vom Leibe entfernt wird. Die Rechnung
wird richtig befunden, Anmeiſungen auf Geld werden
ausgefolgt, wobei der orientaliſche Hausherr ſtets Stoß-
ſeufzer hören läßt. Er weiß ſehr wohl, daß die Hälfte
Heraus Hegehen ouden aus Uaen u6o Henann ber H. Vambery.
en von dem allgemeinen Verein für deut
Berlin 1876. A. Hofmann u. Comp. für deutſche Literatur.
wie es im Hauſe zugeht.
oder ein Drittheil der Rechnungspoſten erlogen iſt, weiß,
daß der Mann, den er ſchon 10—45 Jahre im Hauſe
hat, ihn frech beſtiehlt und ferner beſtehlen wird; das
Alles iſt ihm kein Geheimniß, da der betreffende Diener
einen Monatsgehalt von 240 -250 Piaſter bezieht, wäh-
rend er 500, ja manchmal 1000 Piaſter verausgabt.
Nebengeſchäfte betreibt er nicht, alſo woher genommen,
wenn er nicht geſtohlen? Der Türke ſeufzt darüber,
doch kann er es nicht ändern Er tröſtet ſich damit,
daß verheimlichter Diebſtahl nicht wehe thue und hält
es nach ſeiner Anſicht für beſſer, „die Fliege, welche ſich
an ſeinem Blute ſattgetrunken, weiter trinken zu laſſen,
als durch Forttreiben oder Todtſchlagen einer neuen,
hungerigeren Platz zu bereiten.n.“
Dieſelben Zuſtände herrſchen im Staatsleben. Be-
amte mit 500 Piaſtern Monatsgehalt verbrauchen 1000
u. ſ. w. Der Sultan oder Schah ſieht, wie dieſer oder
jener, ohne Handel zu treiben, ohne Induſtrie, einzig und
allein auf ſein karges Gehalt angewieſen, ſtupende Reich-
thümer anhäuft. Hie und da, namentlich im fernen
Oſten, wird ſo manche Fliege, die ſich vollgeſogen hat,
gepackt und ihr das tropfenweiſe angeſammelte Blut auf
einmal wieder abgezapft, doch am Bosporus ſchämt man
ſich, ſo barbariſch zu ſein, und ein türkiſches Sprüchwort
ſagt: „Padischahin mali dentz, Jemejen domuz.“
(Des Padiſchah's Reichthum iſt ein Meer, wer nicht da-
von trinkt, iſt ein Schwein.) Doch genug von dieſer
eigenartigen Staatsökonomie. — Sehen wir nun weiter,
Nach Verrichtung des mühe-
ſeligen Geſchäfts des Zählens und Schuldenmachens
wird zur Erholung eine zweite Pfeife geraucht. Der
Dolab läßt ſeine Schläge von Neuem hören. Eine
gellende, jugendliche Stimme ruft einen der Diener, ge-
wöhnlich den älteſten und vertrauteſten, herbei, damit er
dem jungen Bey, der nun auch den Harem verlaſſen
will, die Hände reiche und ihn zu ſeinem Vater führe.
Der Diener begibt ſich vor den vor der Haremthür herab-
hängenden Vorhang, ſtreckt die Hände hinter denſelben
und zieht den Knaben oder auch mehrere Kinder auf
einmal hervor, die nun im friſchen Anzug dem Papa
vorgeſtellt werden und obwohl erſt im Alter von 4 bis
5 Jahren doch mehrere Male aufgefordert werden müſſen,
ſich niederzuſetzen, denn das Kind ſoll aus Achtung vor
ſeinem Vater ſtehen bleiben — aus Achtung, die oft die
Liebe verdrängt und dennoch ſchon früh eingeſchärft wird.
Haben ſich die Kinder zurückgezogen, ſo beginnt die
eigentliche Arbeitszeit, welche bis 14 Uhr, d. h. bis zum
Frühſtück oder Mittagsmahle, wie man es eben nennen
will, währt. Es iſt dies die belebteſte Periode des Tages
im Hauſe der Orientalen, der von der geringſten Arbeit
bald ermüdet und nur in den erſten Morgenſtunden mit
einem gewiſſen Grade von Lebendigkeit und Behendigkeit
die Geſchäfte zu verrichten vermag. Ob in Konſtantinopel,
Teheran oder anderswo, überall findet man zu dieſer
Zeit den Herrn am ſicherſten zu Hauſe. Iſt er Beamter,
wozu übrigens jeder Orientale höherer Klaſſe zählt, ſo
empfängt er zu dieſer Zeit ſeine Subalternen. Die Vor-
halle des Selamlik iſt von Dienerhaufen der kommenden