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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 9 - No. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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elberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. II.

Mittwoch, den 9. Febrnar

Drei Weihnachten.
Erzählung von Eruſt Wichert.
(Fortſetzung.)

Aruold erfuhr nichts von all dieſen Vorbereitungen.
Erſt als er Abends, noch ſchwermüthiger als ſonſt, nach
Hauſe kam, ging ihm Madelaine, wie zum Ball gekleidet,
entgegen und ſagte ihm: „warte noch einen Augenblick,
lieber Freund, ich habe dir eine Ueberraſchung zugedacht.
Es ſoll heute Weihnachten bei uns ſein. Dann aber habe
mich auch wieder lieb!“ Sie huſchte durch die Thür,
und er ſchüttelte hinter ihr verwundert den Kopf. Was
konnte Sie meinen? Nun wurde innen ein luſtiges
Stück auf der Harmonika angeſtimmt und zugleich öff-
nete ſich die Thür. Da ſtrahlte nun auf dem Tiſch die
Baum gruppe im Glanz der Lampen und Lichter rundum
und die Kinder in ihren Feſikleidern waren dahinter auf
Stühlen und Schemeln poſtirt, als gehörten ſie aug zu
der Ausſtellung, und Madelaine faßte ihn bei der Hand,
zog ihn hinein und ſagte: „Das iſt für dich!“—
„Aber was ſoll das nur ſein?“ fragte er erſchreckt
und ſchon halb verſtehend. ö ö
„Ein deutſcher Weihnachten!“ ö
„Ein deutſcher Weihnachten —“ wiederholte er mit

bem ſchmerzlichſten Ausdruck. „Madelaine, des — —

ein deutſcher — — —“. Die Stimme verſagte ihm;
er wandte ſich ab und deckte die Hand über die Augen.
„Iſt das mein Dank?“ fragte ſie, und die Worte trafen
ſein Ohr wie Nadelſtiche. „Du haſi's ja gut gemeint,
Madelaine,“ antwortete er beſchwichtigend, „was kannſt
du auch dafür, daß du den deutſchen Weihnachten nicht
verſtehſt? dazu gehört das deutſche Gemüth — ich kann
dirs nicht erklären.“ ö ö
Er bezwang ſich, begrüßte die Kinder, die ungedul-

dig ihre künſtliche Stellung aufgegeben hatten und nicht

recht begreifen konnten, was das eigentlich bedeuten ſolle,
und trat an den Tiſch.

„Iſ's nicht hübſch?“ wisperte die kleine Frau wie-
der in verſöhnlicher Stimmung. ö ö
„Hübſch, ſehr hübſch —“ bekannte er, — „aber

Weihnachten iſt's doch nicht.“
„Nicht?“ Madelaine hatte Mühe, ihren Aerger
niederzukämpfen. Sie theilte ihr Zuckerwerk unter die
Kinder aus und ließ ſie dann um den Tiſch tanzen.
Sie faßte ſelbſt eins nach dem andern unter die Arme
und kreiſelte mit ihm durch's Zimmer, bis ſie erſchöpft

auf einen Seſſel niederſank. Sie meinte, ihr Herz müſſe

ihr ſpringen. Arnold abex ſtand in einer Ecke, hatte
die Arme über der Bruſt gekreuzt und ſah mit ſo eige-
nem Lächeln auf das tolle Spiel herab. Eine Stunde
ſpäter kam der Nachbar zum Beſuch, ein junger Optikus
mit Namen Pierre Leblanc, der ſich immer ſo gern ge-
fällig zeigte und ſchon für einen Hausfreund gelten
konnte. Madelaine hatte ihn benachrichtigt, und er brachte
nun eine Flaſche Schaumwein mit zu dem ſplendiden
Souper, das von ihr bei dem Garkoch beſtellt war. Man
aß und ſpielte Karten.

Für Madelaine ſtand es nun feſt, daß Arnold ſie
nicht mehr liebe. Sie gab den Verſuch auf, ihn ſich
wiederzugewinnen und überlegte, wie ſie ihr Leben ein-
richten ſolle, ohne demſelben eine unerträgliche Laſt auf-
zubürden. Verheirathet war ſie freilich, aber es gab ſo
viele junge Frauen, ihrer Bekanntſchaft, die es nicht
glückticher getroffen hatten und ſich doch zu tröſten wuß-
ten. Sollte ſie ihre Tage vertrauern, weil ihr Mann
ſie nicht mehr hübſch und liebenswürdig finden wollte?
Es fehlte ja nicht an Leuten, die aufrichtiger waren, und
einer ganz in der Nähe, der freilich nicht ſo ſtattlich
ausſah, wie Arnold, aber die gefälligſten Manieren hatte
und ſich glücklich ſchätzte, ſie ins Concert oder ins Thea-
ter begleiten zu dürfen. Vielleicht regte ſich in ihm die'
Eiferſucht, und dann war ſchon viel gewonnen.
Arnold blieb zu lange blind gegen die Gefahr, die
ſeiner Hausehre drohte; er wollte ſie nicht ſehen oder
nicht abwenden. Pierre Leblanc ging bei ihm aus und
ein, immer von Madeleine mit oſtenſibler Freundlichkeit
empfangen und oft zꝛ längerem Bleiben aufgefordert.
Er holte die junge Frau Abends ab, wenn ſie ihren
Laden ſchloß und führte ſie nach ihrer Wohnung, oder
promenirte mit ihr Arm in Arm durch die lebhaften

Straßen. Madelaine liebte leidenſchaftlich den Tanz, aber

Arnold weigerte ſich, öffentliche Bälle zu beſuchen. „Dann
werde ich ohne Dich gehen,“ drohte ſie. Neunmal blieb
es bei der Drohung, und das zehnte Mal putzte ſie ſich
doch vor dem Spiegel, ſteckte die Camelien in's Haar,

die ihr Leblane brachte, und folgte ihm nach dem ge-

ſchloſſenen Wagen, der unten vor der Thüre wartete.
„Du willſt es ſo!“ ſagte ſie ihrem Manne beim Ab-
ſchied, und es war, als ob ſie dabei zögernd eine Se-
kunde ſtehen blieb, als müſſe ſie ihm Zeit laſſen, ſie zu
umarmen und zurückzuhalten. Das geſchah nicht, Arnold
fühlte, daß er kein Recht habe, ihr das Vergnügen zu
verkümmern, an dem nun einmal ihr Herz hing und das
er ja ſonſt mit ihr getheilt hatte. Aber er preßte doch
die Lippen zuſammen, als er vom Fenſter aus Zuſchauer-
war, wie jener die leichte Geſtalt in den Wagen hob und
ſelbſt hinter ihr einſtieg und das Glasfenſter aufzo g ehe
noch die Prierde angezogen hatten. Es war ein anderes
Mißbehagen als das gewöhnlich ſeine Stimmung be-
herrſchte. „Nur zu — nur zu!“ ſprach er halblaut vor
ſich hin, „du machſt mir das Scheiden leicht.“
Bisher war er gegen ſich ſelbſt ganz ehrlich geweſen.
Er hatte ſich geſagt, daß er Madelcline kränke und daß
er ſie auf ſolche Weiſe mit der Zeit verlieren müſſe, er
hatte nur gleichſam zu ſeiner Entſchuldigung hinzugefuͤgt,
daß ſein Zuſtand erträglicher ſei, wenn er ſie verliere,
als wenn er ſie ſo beſize. Nun konnte er ſich ſelbſt für
gekränkt halten und merkte bald, daß mit der Selbſt-
anklage leichter ferrig zu werden war, wenn ein Theil
der Schuld ſich auf den andern abwälzen ließ. Und
wenn die Schuld auf jener Seite endlich überwog? Er
wünſchte es nicht, aber er dachte auch nicht daran, es zu
hindern. Wenn ſie ſich ſelbſt entſchädigte, ehe ſie ihn
noch ganz verloren hätte, würde er mit leichtem Herzen
ziehen köanen. Und das ſtand nun feſt: er könne nicht
 
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