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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 26 - No. 34 (1. April - 29. April)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

W 31.

Mittwoch, den 19. April

1876.

——————— —— — ———

Bic Gruft von Steffendorf.
Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)

Als ſich die Kunde von dem Heimgang des Grafen
Bernhard im Dorfe verbreitete, ſteckte Alles die Köpfe
zuſammen. Manches Auge wurde naß. Er hatte, wo
er gekonnt, menſchlichem Elend abgeholfen. Dieſem ohne
Schuld verarmten Hüfner hatte er mit reichlicher Hand
aus ſeinen Verlegenheiten zu behaglichſtem Wohlſtande
aufgeholfen, jenem armen, gebrechlichen Mütterchen ein
reinliches Unterkommen und ſorgloſe Tage für ihr Alter
verſchafft; der begabte Sohn des armen Dorfſchuſters
ſtudirte auf ſeine Koſten in Leipzig und verſprach, der-
einſt ein trefflicher Lehrer zu werden. Alles das und
vieles andere Gute wurde Abends im Kruge, wo es
lebhafter herging, als ſonſt, beſprochen, und wenn dann
Einer oder der Andere von des Grafen Sonderbarkeiten
ein luſtiges Stücklein zu erzählen wußte, ſo lachte man
zwar, aber die Webmuth dämpfte den Ausbruch lauteren
Beifalls und der Erzähler ſchloß mit den kopfnickend ge-
ſprochenen Worten: „Aber das ſag' ich doch, ein guter
lieber Herr; es wird ihn Keiner ſo leicht vergeſſen.“
Graf Bernhard hatte Sommer und Winter weiße
Leinwandhoſen, weiße Weſte und ſchwarzen Frack getragen.
Der Tiſchler Held erzählte, er habe angeordnet, in dem-
ſelben Anzug begraben zu werden, weil er befürchtet,

ſonſt für einen Andern gehalten zu werden und nicht

Einlaß bei der Himmelspforte zu erlangen. Sein Leib-
pferd, daſſelbe welches ihn abgeworfen, ſolle nie wieder
geritten, aber bis zuletzt wohlgepflegt und alsdann aus-
geſtopft in einem beſonderen Stall als Mumie aufbewahrt
werden. Man ſtritt ſich darüber, ob die Wohlthaten,
welche Graf Bernhard bei Lebzeiten erwieſen, nach ſeinem
Tode fortfallen würden. Die Perſon des Erben von
Steffendorf wurde beſprochen. Niemand kannte ihn näher,
er war nur jeweilig auf wenige Tage bei ſeinem Oheim
zum Beſuch geweſen. Der Tiſchler Held, der ihn, als
er das Maß zum Sarge nahm, geſehen, verſicherte, es
ſei ein verdammt hübſcher junger, aber ſehr ſtiller und
vornehmer Herr, der mit den Bauern nicht viel Feder-
leſens machen werde.
Während dieſes Geſprächs trat ein nicht mehr ganz
jugendliches, aber noch friſch ausſehendes Weib in die
Schenkſtube ein und kaufte von dem Wirth Brod, welches
ſie in den großen braunen Handkorb ſchob, den ſie am
Arme trug. „Na, Kathrin“, ſagte der Wirth, die
Schirmmütze nach dem Hinterkopfe zu rückend, ſo daß die
heiße, rothe Stirn Kühlung erhielt, „ſeht ja ſo erhitzt
aus, hat's mit dem Liebſten wieder Streit geſetzt?“
Katharine Schmidt, davongelaufene ehemalige Kammer-
jungfer auf dem Nachbargute, jetzt nahe an vierzig Jahre
heran, galt für ein ränkevolles und jähzorniges Weſen.
Sie lebte mit dem Schneider Schubert in wilder Ehe.
„Der Teufel ſoll den Schneider und ſeinen grauen
Jungen noch heute holen!“ ſchimpfte Katharine und

drohte mit dem Zeigefinger gegen den Wirth. Mit dem
grauen Jungen bezeichnete ſie den aus rechtmäßiger Ehe
ihrem Geliebten übrig gebliebenen halberwachſenen, in
der gemeinſchaftlichen Wirthſchaft aufgenommenen Sohn.
„Nun, nun! Nicht ſo heftig, Kathrin,“ miſchte ſich
der am nächſten Tiſche ſitzende Tiſchler Held in dieſe
Unterhaltung, welche an dem in der Stube ſtehenden
Ladentiſche geführt wurde. ö
„Blau und gelb muß man ſich ärgern,“ ſagte das
erzürnte Weib. „Hab' dem faulen Kauz Jahr ein, Jahr
aus die Wirthſchaft proper geführt, ihm alle Wohlthat
erzeigt, und nun will er fort, will ſein Verſprechen mir,
ſeinem rechtſchaffenen Weibe, brechen, mich verſtoßen —
mich, ſein rechtſchaffenes und ehrliches Weib, nicht hei-
rathen und nach Berlin ſich aus dem Staube machen!“
„Wie, Schubert will fort?“
„Ja, aber ich werd' es ihnen geſegenen“, rief Ka-
tharine mit der rechten Hand giftig in die flache Linke
ſchlagend, „er ſoll nicht fort, in's Zuchthaus ſoll er,
wenn ich alle ſeine Schlechtigkeiten anzeige, er und ſein
grauer Junge!“ ö
„Was, Schlechtigkeiten!“ ſagte der Wirth, „was
wißt Ihr Schlechtigkeiten von Schubert?“
„Holla, es iſt Mancher nicht ſo fromm, als Ihr
denkt, Meiſter Schilder“, lachte die Erzürnte höhniſch
auf. „Wenn ich Alles hätte ſagen wollen, was ich weiß,
ſäße Mancher ſchon lange hinter Schloß und Riegel,
ſtatt auf dem Schneiderbock am warmen Ofen. Oder
iſt das nicht Euer Handwerkzeug, Meiſter Held?“
Mit dieſen Worten ſchlug ſie den Deckel ihres
Handkorbes zurück und holte daraus ein Stemmeiſen,
einen Hammer und einen Fuchsſchwanz hervor. Sie
Au dieſe Geräthſchaften dem Tiſchler Held unter die
ugen.
Held griff bedächtig danach, prüfte eines und das
andere Stück und legte daſſelbe während Katharina
Schmidt ihn mit triumphirendem Lächeln anblickte, vor
ſich auf den Tiſch.
Held beſah die Sachen von neuem, ſchwieg dann
eine Weile ſtill und ſagte endlich bedenklich: „Ja, ich
muß es ſagen, mein Eigenthum iſt's.“
„Nun aber fragt Eure Frau,“ fuhr Katharina

Schmidt hitzig fort, „ob nicht Schubert in eigener Per-

ſon dieſes Werkzeug von ihr geliehen hat.
braucht ein Schneider ſolche Sachen?“
Sie legte den Zeigefinger bei dieſen Worten ver-
ſtaͤndnißvoll zwiſchen beiden Augen auf die Naſenwurzel.
v„Ich begreife das Alles nicht,“ ſagte der kugelrunde
Wirth, nahm beide Hände aus dem Bruſtlatz ſeiner
ſchwarzen Schürze und ſchod mit ihnen die blaue Schirm-
mütze noch mehr in den Nacken.
„Ich auch nicht,“ fügte der Tiſchler Held achſel-
zuckend bei.
„Aber ich begreife es,“ ſchrie Katharine Schmidt
in voller Wuth, „und Ihr werdet es noch Alle erfahren,
wozu das Handwerkzeug gedient hat. Verſteht ſich, zum
Nähen von Röcken und Hoſen nicht. und wegen eines
Nadelſtich's kommt Niemand aufs Zuchthaus. Aber hei-

Und wozu
 
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