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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 61 - No. 69 (2. August - 30. August)
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I kidelber

er Familienblät

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 65.

Mittwoch, den 16. Auguſt

1876.

Berborgene Aualen.
Novelle von F. L. Reimar.

(Fortſetzung.)

„Wie ich zuerſt auf die Spur eines Verdachts, daß
ſie eine Maske trug, geleitet wurde, wie ſich dieſer Ver-
dacht beſtätigte, gehört nicht hierher, genug — als Wahr-
heit blieb mir zuletzt nur übrig, daß ſie mich nicht liebte,
daß ſie aber trotzdem mit einem Anderen um meinetwillen
gebrochen hatte, weil in der Verbindung mit mir größere
Vortheile lagen, — alles das aber, weil ihre Eltern,
was mir ſorgfaltig verſchwiegen worden war, an der
Grenze des Bankerotts, und noch dazu eines ſchimpflichen
ſtanden, und weil es ihr gelegen kam, dieſem und der
Schande, die ihrem Namen drohte, entfliehen zu können.“
„Ich brauche Ihnen wohl nicht erſt zu ſagen, was
die Folge dieſer Entdeckung war; — ich ſtand wieder
allein und — und ja, Fräulein Hedwig, es bedurfte
meines kräftigen Willens, dem vielleicht ein angeborenes
Vertrauen auf das überwiegende Edle der Menſchennatur
zu Hülfe kam, daß ich mich nicht auf immer von Welt
und Menſchen zurückzog. „Ich will nicht glauben, daß
alle Menſchen falſch ſind, weil Eine es geweſen iſt!“ —
— mit dem Wort eroberte ich mich ſelbſt wieder, Fräu-
lein Hedwig, an das Wort habe ich mich gehalten bis
zu dieſer Stunde.“
Er machte eine Pauſe und durch ihre geſchloſſenen
Augenlider — ſte wagte nicht, dieſelben vor ihm zu er-
heben — fühlte Hedwig, daß ſeine Blicke auf ihr ruhten.
Er fuhr endlich fort:
„Meine Neigung iſt in jüngſter Zeit noch einmal
gefeſſelt worden — von einem Weſen, ſchön wie die erſte
Geliebte meines Herzens, aber geformt aus anderem Stoff
und anderem Geiſt. — Es war wohl gerade dieſe extreme
Verſchiedenheit, die mich zuerſt zu Ihnen zog, Hedwig,“
ſagte er ruhig, als verſtände es ſich von ſelbſt, daß jetzt
von ihr, die er nannte, die Rede ſein müſſe, „denn in
derſelben Richtung, das fühlte ich, konnte mein Herz nicht
wieder wählen. — Aus ihrem Weſen habe ich die Ge-
wißheit geſchöpft, daß ich Wahrheit empfangen werde, wo
ich ſie fordere.“ ö ö ö
„Nein, ſprechen Sie noch nicht!“ unterbrach er ſich
ſelbſt, als er ſah, daß ſie trotz der Ueberraſchung, der
Betäubung, die über ſie gekommen war, den Mund öff-
nen wollte.
„Mißverſtehen Sie mich nicht; zu fordern habe ich
jene Antwort nur für eine einzige Frage — und dieſe
Frage iſt: hindert Sie etwas, Hedwig, Ihre Hand in
die meine zu legen?“ ö
Er war aufgeſtanden und blickte auf ſie nieder, die
bleich und bebend vor ihm ſaß.
Wie ein Strom fluthete das Erinnern durch ihr
Herz, das Erinnern an die Schmach, die ſie ſo mühſam
verhüllt hatte und die zu geſtehen, ihm in dieſer Minute
zu geſtehen, ſie eine Unmöglichkeit dünkte!
Und mit Blitzesſchnelle bemächtigte ſich ihrer noch
ein anderes Gefühl: ſie wußte mit einem Male — ob

es ſie auch mit brennender Scham, mit Zorn gegen ſich
ſelbſt erfüllte — daß all ihr Ringen und Kämpfen ver-
gebens geweſen war — in ihrem Herzen war nicht zur
Gleichgültigkeit oder gar Haß geworden, was ſie einſt
als Liebe gefühlt hatte.
Es ſtand feſt — ſie durfte ihre Lippen nicht durch
eine Lüge entweihen, durfte ſie dem Manne nicht ſagen,
der im edelſten Vertrauen eine wahrhafte Antwort von
ihr forderte, ob ſie würdig ſei, ſeine Liebe zu theilen.
„Nein, ich kann es nicht!“ war Alles, was ſich aus
ihrer Bruſt rang. ö
Ohne daß ſie es ſah, war er blaß geworden.
„Ich fürchtete es!“ ſagten ſeine Lippen leiſe.
Sie ſah betroffen zu ihm auf. Hatte er eine Ahnung
davon gehabt, daß ſie ihn lange getäuſcht? hatte ihr eigenes
Wort dieſelbe jetzt zJur Gewißheit gemacht und ſie der
Achtung beraubt, von der ſie ſich bis zu dieſem Augen-
blick getragen wußte, und ſtieß er die vielleicht nun mit
Hohn von ſich, die er eben noch an ſeine Seite erheben
wollte?
„Ich bitte nur, verurtheilen Sie mich nicht um
meines Schweigens willen!“ ſtammelte ſie.
„Waren Sie mir denn bis auf dieſe Stunde Offen-
heit ſchuldig?“ entgegnete er mit dem Anflug eines trü-
ben Lächeln. „Ihr Weſen, ihr Charakter hatte ich ſelbſt
zu durchdringen — und was ſonſt Ihr Leben umſchloß,
ſeine Geheimniſſe, ſie waren ihr freies Eigenthum, ich
wußte, ſie würden mir zufallen, wenn — nun wenn
nichts Sie gehindert hätte, meine Hand anzunehmen.“
„Und nun,“ ſagte er, indem er ſich zu einem freieren
Tone zwang, „verſuchen Sie, wie ich, das, was zwiſchen
uns in dieſer Stunde geſprochen worden iſt, zu vergeſſen,
und laſſen Sie uns, da der Zweck unſeres heutigen
Spaziergangs erfüllt iſt,“ — es klang jetzt doch wieder
ein leiſes Zittern durch ſeine Stimme — „an unſeren
Rückweg denken, meine Schweſter wird uns bereits er-
warten.“ ö
Er war ihr behilflich, das Tuch, das ſie getraͤgen
hatte und welches ihr entglitten war, wieder um ihre
Schultern zu legen, er war bemüht, ſie, die verſtört an
ſeiner Seite dahin ſchritt, auf leichtere Gedanken zu
bringen, indem er ſie von fern liegenden Gegenſtänden
unterhielt, gerade ſo, als wenn nie ein Moment, wie der
eben vorübergegangene, in ihrem Leben geweſen wäre.
Hedwig dagegen antwortete mechaniſch — ſie trug
ein Gefühl in ſich, das ihr die Bruſt zu zerſprengen
drohte, und doch erkannte ſie durch all das Schmerzens-
volle hindurch mit einer Art von Rührung, daß er ver-
ſuchte, ein äußerliches Verhältniß zwiſchen ſich und ihr
aufrecht zu erhalten, während ſie doch wußte, daß ſie
jetzt durch eine tiefe Kluft für immer von einander ge-
trennt waren.
Zu Hauſe angekommen, flüchtete ſie ſich auf ihr
Zimmer, Herr von Fergent aber ging zu ſeiner Schweſter,
um ihr zu ſagen, daß er ſich zu einer kleinen Reiſe ent-
ſchloſſen habe. Er nannte ihr auch den Zweck derſelben,
der mit ihr bekannten Familienverhältniſſen, in die er
thätig eingreifen wollte, zuſammenhing. ö
 
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