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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 79 - No. 86 (4. October - 28. October)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

A 80.

Samſtag, den 7. Octaber

1876.

Meiſter Pietro Banucci und ſeine Geſellen.

Von Robert Avé-Lallemant.

(Fortſetzung.)

Ein wilder Tumult tobte am folgenden Tage durch
Perugia. „Feinde, Feinde!“ So ſcholl tauſendfach der
Ruf durch die Gaſſen. Die Bürger bewaffneten ſich und
rannten zuſammen. Alles ſtürzte nach dem großen Platz
am Dom. „Wo iſt Gioanpagolo? Wo iſt Griffone?
Wo bleibt heute Aſtorra?“ So ſchrieen verwirrte
Stimmen.
Ein Haufe Stratioten, griechiſche Söldlinge, wie
deren viele nach dem Fall von Conſtantinopel nach Italien
gegangen waren und ſich dort für Geld vermietheten
oder auch auf eigene Rechnung Krieg führten und plün-
derten, hatten es erkundſchaftet, daß Gioanpagolo Baglione,
der Hauptmann von Perugia, fortgegangen und der junge
Griffone, deſſen Stellvertreter, in Siena abweſend war.
— So hatten ſie denn in der Nacht auf der Straße von
Aſſiſſi her ſich an Perugia heran geſchlichen, und die
argloſe Stadt von verſchiedenen Seiten her überfallen.
Der Ueberfall war gelungen und auf dem großen Platz
ſammelten ſich ſchon die Haufen des niederträchtigen Ge-
ſindels, um von dort aus die Stadt Perugia der Mord-
brennerei Preis zu geben. ö
Sie hatten ſich aber geirrt! Aus allen Häuſern,

aus allen engen Gaſſen ſtürzten, wenn auch führerlos,

dennoch bewaffnet, die Bürger zuſammen. Ein wüthendes
Handgemenge begann. Man ſchrie griechiſch und italieniſch
durcheinander. Schon deckten an manchen Stellen ganze
Haufen von Stratioten den Platz.
Da mit einem Male erſcholl ein Jubelruf: „Hoch
Simonetto! Simonetto Baglione hoch!“ Aus dem Pa-
laſt der Frau Atalanta war ihr dritter Sohn Simonetto,
eben achtzehn Jahre alt, hervorgeſtürzt, mit unendlichem
Muth ſich werfend auf die eingedrungenen griechiſchen
Banditen. Alles drängte ſich zu ihm, um ihn. Sein
toller Muth führte ihn zu weit. Mit zwanzig Wunden
bedeckt, ſank er nieder; die Feinde ſtürzten ſich auf ihn;
er ſchien verloren. ö ö ö
Faſt wunderbar ſollte er gerettet werden. Hinter
dem Dom hervor kam ein Ritter hervorgeſprengt, der
dem Kriegsgott vergleichbar war. Mit wehendem Helm-
buſch, in glänzender Rüſtung, hochgeſchwungen das blanke
Schwert, kam auf ſchnaubendem Streithengſt Aſtorra
Baglione, wenig älter als Simonetto. Auseinander
ſtäubte die Rotte.
laut auf. Dieſes Jauchzen war zugleich ein Sieges-
jauchzen. Von allen Seiten wurden die Stratioten um-
geben und zuſammengehauen. RNur wenige entkamen;
die Meiſten wurden gefangen genommen; eine große
Menge Verwundeter und Todter deckte den Platz.
Aſtorra und Simonetto Baglione! Das war die
Parole von ganz Perugia. Dem Kampfeswirrwarr folgte
Siegesjubel. Niemand wollte weichen vor dem Palaſt
der Frau Atalanta. Immer ſchrie man wieder nach den

Simonetto erhob ſich. Alles jauchzte

hielt.

Helden des Tages, den Befreiern von Perugia. Mit
Mühe nur konnte man allmälig den Platz ſäubern und
die Verwundeten und Todten fortſchaffen. Und als nun
endlich noch gar Frau Atalanta zwiſchen ihren beiden
Söhnen, Aſtorra und dem übel zugerichteten Simonetto,
am Fenſter erſchien, da war des Jauchzens und Zu-
rufens kein Ende. ö
Nur langſam und erſt ſpät verliefen ſich die Maſſen
der Bewaffneten und der Zuſchauenden; denn auch an
Zuſchauenden hatte es nicht gefehlt bei dem Scharmützel.
Unter ihnen war auch Rafael geweſen. Die ganze Scene
hatte den Jüngling furchtbar erregt. Faſt wäre er nie-
dergeſtürzt vor Entſetzen. Darum hatte er aber auch
mit unendlicher Begeiſterung dem Erſcheinen des Aſtorra
zugeſchaut, des Erlöſers in der Noth, des Erlöſers der
ganzen Kataſtrophe. Ein wirklicher Gott war der Held
dem Jüngling erſchienen. Der Anblick iſt nie wieder
aus ſeiner Seele geſchwunden. Wirklich iſt Aſtorra
Baglione's Heldentag von Perugia ſpäter vom Maler
verewigt worden. In der berühmten Stanze Heliodor's
im Vatikan zu Rom hat Rafael den jungen göttlichen
Helden dargeſtellt in jenem himmliſchen Reiter, der den

Tempel reinigt von dem frechen Räuber. Das wenigſtens

iſt di« Anſicht genauerer Kenner jener Zeiten und jenes
herrlichen Kunſtwerkes im Vatikan.
Die Kunde von dem Vorfall verbreitete ſich raſch
über die Umgegend. So gelangte ſie auch bald nach
Siena und zu den Ohren des tapferen und ehrgeizigen
Griffone Baglione, des jungen Hauptes der Baglioni in
Perugia nach dem Fortgang des wilden Gioanpagolo. —
Griffone's ſchleunige Rückkehr nach ſeiner Vaterſtadt war
nunmehr dringend nothwendig, wenn er nicht ſein An-
ſehen daſelbſt, was durch die Waffenthat ſeines muthigen
Bruders Aſtorra ohnehin ſchon geſchmälert war, einbüßen
wollte. — Das aber kreuzte gewaltig ſeine Pläne. —
Nicht ohne Abſicht war er nach Siena geritten. Der
Vorwand, daſelbſt mit Verwandten ſeiner Braut Zenobia
Verhandlungen halten zu müſſen, war nur eine Ausrede.
Ihm lag daran, ſich heimlich mit Siena und dann mit
Piſa zu verbünden, um die mehr und mehr um ſich
greifende Macht von Florenz zu brechen. Piſa und
Florenz waren ja damals ſchon längſt in ihrem Kampfe
auf Tod und Leben mit einander begriffen. Nur eine
Herrſchaft war möglich am Arno. Entweder mußte Piſa,
am unteren Arno nahe am Meer gelegen, eine Vaſallin
von Florenz werden, oder Florenz ward den in ihrer
Nähe liegenden und auf die wundervoll erblühende Me-
dicäerſtadt neidiſchen Ortſchaften zur Beute, die dann
ganz beſtimmt nicht ſo klug und ſchonend mit der Er-
oberang umgegangen ſein würden, wie die umſichtige
Florentiner Politik das mit denjenigen Städten zu thun
verſtand, welche von ihr durch Vertrag oder mit Waffen-
gewalt gewonnen wurden. Dieſer Umſicht verdankte es
Piſa, daß es, als es im Jahre 1509 nach heldenmüthiger
Gegenwehr ſich endlich und für immer an Florenz erge-
ben mußte, nach der vom gewandten Macchiavelli durch-
geführten Kapitulation die ehrenvollſten Bedingungen er-
So gewann Florenz damals eine der herrlichſten
 
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