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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 61 - No. 69 (2. August - 30. August)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

67.

Mittwoch, den 23. Auguſt

1876.

Berborgene Aualen.
Novelle von F. L. Reimar.

(Fortſetzung.)

„Meinen Sie, ich fühle mit einemmale nichts mehr
für Sie und für Guſtav, daß mir Ihr Leben nicht theuer
ſein ſollte?“ fragte er, und fügte dann hinzu:
„Ich führe Sie jetzt bis zur Grenze des Guts, die
ich, wie Sie es ja wiſſen, nicht überſchreiten darf.“
Sie wußte nicht, was ſie ihm noch ſagen ſollte und
er ſchien auch keine weitere Rede oder Aeußerung von
ihr zu verlangen, gleichwie er ſelbſt jetzt ſchwieg, und ſo
ward kein Wort zwiſchen dem Paar mehr gewechſelt, bis
ſie jene Grenze erreicht hatten, die Silkenitz genau zu
kennen ſchien. ö
Er hielt dort an und ſagte: „Sie können jetzt Ihr
Pferd wieder beſteigen, es wird Sie ſicher heimtragen!“
„Ich kenne auch keine Furcht!“ ſagte ſie leiſe.
Er half ihr in den Sattel und reichte ihr die Zügel.
„Und nun das letzte Lebewohl, Hedwig!“ ſagte er
und bot ihr ſeine Hand.
Ergriffen faßte ſie dieſelbe. „Vergeben Sie mir!“
war Alles, was Sie zu ſprechen vermochte.
Er nickte ihr nun freundlich zu, ſah ſie noch einmal
mit klarem Blicke an und war im nächſten Augenblick
im Walde verſchwunden. — —
Erſt als ſie allein war, gelang es Hedwig, ihr
Empfinden zu ſammeln, und jauchzend und jubelnd brach
daſſelbe durch alle ausgeſtandene Angſt, allen Schrecken,
und drängte ſelbſt das Mitgefühl für den Unglücklichen,
das ihr Herz eine Weile gefangen genommen und weich
gemacht hatte, zurück. ö ö
„Er liebt mich — er liebt mich doch!“ ſie hätte es
laut hinausrufen mögen! Wo war mit einemmale aller
Zorn, alle Bitterkeit geblieben, die ſie jahrelang gegen
Guſtav gefühlt, die ſich heute noch gegen ſich ſelbſt ge-
kehrt hatte, weil ſie dem Unheil, das er über ihr Herz
gebracht, nicht zu entfliehen vermochte? Ausgelöoſcht, ge-
tilgt, vergeſſen war alles — Leid und Schuld und Groll,
und nur Liebe war übrig geblieben — Liebe und Ver-
gebung. ö ö
Sie lächelte jetzt über ihre Blindheit — ſie wun-
derte ſich, daß erſt Silkenitz hatte kommen und ſie mit
ſeinen klaren Augen hatte anblicken müͤſſen, ehe es auch
vor den ihren hell geworden war. Tauſend Zeichen,
tauſend Beweiſe fielen ihr ein, daß ſein Herz ſich dar-
nach geſehnt habe, eins mit ihr zu werden; und wie ſie
ſich ihre Härte, ihre Verſtocktheit ſelbſt vorwarf, ging ſie
zurück bis zu dem Moment, wo ſie ihn zuerſt von ſich
gewieſen, hatte ſie ihn denn nicht vielleicht damals ſchon
mißverſtanden, ihm ſchroff die Gelegenheit geraubt, ihr
ſein wahres Empfinden zu zeigen, und hatte ſie ihm je
die Möglichkeit gelaſſen, an ihre eigene Liebe zu glauben?
Sie erinnerte ſich, daß ſie ihm noch geſtern herbe begeg-
net war, als er ſich ihr herzlich zu nähern geſucht hatte,
und — ein Schrecken durchzuckte ſie, vielleicht ein Schritt,

ein Wort nur noch, und er hätte für Wahrheit genom-
men, was ſie ihm als ſolche bot und was doch nur eine
Lüͤge war!
Der Gedanke, daß ſie ihn noch einmal hätte ver-
lieren können, daß er jetzt — jetzt von ihr geſchieden
wäre, machte ſie faſt wild vor Aufregung. „Ich glaube,
ich hätte mich tödten können!“ murmelte ſie.
Der Abend war nahe, als Hedwig das Haus er-
reichte. Dem Diener warf ſie nur kurz den Zügel zu, das
Mädchen, welches zu ihrer Hilfe herbeigeeilt kam, ihr die
regentriefenden Gewänder abnehmen wollte, wies ſie zu-
rück — ſie konnte keinen Menſchen um ſich haben in
dieſer Stunde, mit keinem reden: ſie mußte allein bleiben.
Ihre Empfindungen waren, während ſie ihre Ge-
wänder ordnete und ſich für die äußere Ruhe vorbereitete,
der ſie ſich eine Weile hingeben wollte, allmälig ſanfter
geworden. Träumeriſch mit halbgeſchloſſenen Lidern lehnte
ſie in ihrem Seſſel und Bilder von dem, was nun kom-
men mußte, was das Schickſal ihr durch Silkenitz Mund
hatte verkünden laſſen, zogen vor ihrem inneren Auge
vorüber. Eine Seligkeit, wie ſie nimmer im Leben ge-
kannt hatte, erfüllte ihre Seele und ſpiegelte ſich wieder
in ihrem Antlitz, das vielleicht noch nie einen ſo weichen
Ausdruck getragen hatte. — Hingegeben wie ſie war,
hatte ſie längſt aufgehört, an ihre Umgebung zu denken
und ſo entging ihr auch das leiſe Rauſchen eines Frauen-
kleides, vernahm ſie nicht den leiſen Fuß, der nach einer
Weile über den Teppich ſchlüpfte. ö
Auf einmal fühlte ſie zwei kleine Hände über ihren
Augen und auf ihren Wangen die Berührung von weichen
Locken, die dicht an dieſelben gedrückt wurden; in ihre
Ohren aber drang das freudebebende Geflüſter von
Thekla's Stimme.
„Ich will Ihnen ſchnell ein Geheimniß ſagen, Hed-
wig,“ ſagte ſie, „denken Sie ſich, der Doctor iſt gekom-
men vor einer Stunde und er ſitzt noch in meiner Stube,
und er hat mir geſagt, daß er ohne mich nicht leben
könne, oder doch ſo etwas Aehnliches, und daß ich, es
möchte koſten, was es wolle, ſeine Frau werden müſſe
— was ſagen Sie dazu?“
Sie zog die Hände von den Augen der Freundin
und ſchaute derſelben verſchaͤmt und doch mit fröhlichem
Lachen ins Geſicht. ö
Sie lachte auch noch, als ſie durch die hereinge-
brochene Dämmerung den ſtarren Blick jener Augen ge-
wahr ward und ſagte: ö
„Nun thun Sie ſo verwundert, als wenn Sie nichts
von der ganzen Sache gewußt und geahnt hätten —
und ich laſſe es mir wahrhaftig nicht mehr ausreden,
daß Guſtav zuerſt bei Ihnen recognoscirt hat! Geſtehen
Sie, Hedwig, hat er nicht hinterliſtig mit Ihnen geſprochen,
geſtern noch?“
„Ja, er hat mit mir geſprochen — geſtern noch!“
ſagte Hedwig, mit der Dumpfheit kämpfend, die ſich ihrer
Sinne bemächtigen wollte.
„Sehen Sie?“ jubelte die junge Frau,“ und Guſtav
wollte es leugnen, daß Sie ſeine Vertraute geweſen ſind?
während Egbert Sie doch im geheimen Geſpräch über-
 
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