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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 70 - No. 78 (2. September - 30. September)
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Heidelberger Familienblätter.

Beletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

8 *

M 78.

Samſtag, den 30. September

1876.

Meiſter Pittro Vanucci und ſeint Geſellen.

Von Robert Avé-Lallemant.

(Fortſetzung.)

Unſer kleiner Maler aus Urbino war unterdeſſen
ſchräg über den Platz und am großen Stadtpalaſt vorbei
gegangen und lenkte in die abſteigende Gaſſe ein, die den
Palaſt von der Börſe, dem Cambio trennt, heute via dei
priori genannt. — Bei der chiesa nuova bog er links
ein, machte noch einige Wendungen und Schritte durch
das dortige kleine Straßenlabyrinth, und ging endlich
über einen engen Hof in das Haus hinein, welches heu-
tigen Tages als Nr. 18 in der via deliziosa bezeich-
net iſt.
Dort wohnte, wie das noch jetzt eine Marmortafel
anzeigt, Meiſter Pietro Vanucci, genanat il Perugino.
— Als Rafael in das Studio ſeines Lehrers eintrat,

war dieſer gerade damit beſchäftigt, in derben Umriſſen

eine Kohlenzeichnung zu entwerfen, einzelne Figuren neben

einander, welche wir ſpäter noch einmal erwähnen werden.

— Beim Herannahen des Knaben fuhr der Meiſter etwas
rauh auf:
„Junge, Junge, — wo bleibſt du denn ſo lange?
Auf dieſe Weiſe lernſt du nichts! Wo biſt du denn
geweſen?“ ö ö
Der Knabe erzählte das ihm widerfahrene Abenteuer
ſo klar und anſchaulich, als ob er ein Bild mit Worten
beſchriebe. Der Meiſter beruhigte ſich mehr und mehr
bei der Erzählung und ſetzte zuletzt wohlwollend hinzu:
„Jo, ja! Frau Atalanta iſt die edelſte Dame in
ganz Perugia.“
„Und die andere Dame gewiß die ſchönſte in der
Stadt“ — fügte der Knabe unbefangen hinzu; — „und
wie wunderſckön ſpricht ſie!“
„Nun ja, Knabe, ſie iſt ja auch aus Siena“ —
fuhr der Meiſter fort, — „eine elternloſe Edle aus Siena,
welche von Frau Atalanta aus der Taufe gehoben iſt
und ſpaͤter von ihr ganz in das Haus genommen. Nun
wird ſie ſich wohl mit dem Sohn der Frau Atalanta
verheirathen, — aber gehe an deine Arbeit, Junge, und
ſchaffe etwas ordentliches, damit aus dir eiwas wird.
Und wo bleibt der Spanier denn heute?“

„Ich habe ihn nicht geſehen,“ erwiderte Rafael und

ging an ſeine Arbeit.
Die ganze Arbeit beſtand darin, daß er die Werke
des Meiſters nach beſten Kräften und mit der aufopfernd-
ſten Gewiſſenhaftigkeit copirte, bald nur in einfachen
Zeichnungen, bald in Farben. Der Knabe glaubte an
ſeinen Lehrer, wie nur immer ein Geſchöͤpf an ſeinen
Schöpfer glauben rann. Schon Rafael's Vater, Peru-
gino's Freund, hatte immer nur mit Andacht von Pietro
Vanucci aus Pieve geſprochen, und es dem Knaben als
das größte Glück geſchildert, wenn der Perugino einmal
ſein Lehrer werden wollte. Leonardo da Vinci und Pier
della Pieve, wie er ſeinen Freund nannte, waren dem
Giovanno Santi die beiden göttlichen Meiſter; von ihnen

lingsgeiſt am leichteſten zu begreifen war.

Rafael!“

Beiden hatte der Sohn Rafael von je her eine volle,
heilige Ahnung im Herzen getragen. Perugino aber war

unbedingt derjenige von den Beiden, welcher von einem

Kindergemüth, von einer Knabenſeele, von einem Jüng-
So war es
denn kein Wunder, daß der junge Santi vollſtändig ein
zweiter Perugino ward in ſeinen früheſten Künſtlerjahren,
und vielleicht ein einſeitiger Perugino geblieben ſein

würde, wenn ihn nicht glückliche Sterne, zunächſt ſein

eigenes Genie, in herrlichere Bahnen hinausgeführt hätten.
Rafael malte damals gerade ſein ſogenanntes „erſtes
Bild“. Nach einer Skizze Perugino's, welche ſich erſt

viel ſpäter zu dem berühmten Altarbilde Perugino's in

Marſeille geſtaltete, hatte er ein anmuthiges Bildchen
geſchaffen, Chriſtus und Johannes, liebe kleine Kinder,
die ſich liebtoſend einander nähern. Sie ſind noch in
Perugia zu ſehen. In der ſchon mehrfach genannten
Baſilica von S. Pietro und zwar in deren Sakriſtei,
rechts von dem Eingang iſt das kleine Bild aufgehängt,
in demſelben Raume, in welchem fünf Heiligenbilder aus
der vollendetſten Kunſtperiode des Perugino ſelbſt Kunde
geben von der hohen Bedeutung des Meiſters.
Still ſaßen die Beiden eine Weile und arbeiteten
mit großem Ernſt neben einander. Da ging die Thüre
auf; Meiſter Pietro ſah ſich ärgerlich um, ſprang aber
unendlich vergnügt auf:
„O Freund, Luca, ſeid Ihr es? Was Teufel, wie
kommt Ihr denn einmal wieder nach Perugia 2“ rief er
ſeelenvergnügt aus, wobei wir zu ſeiner Entſchuldigung
ſagen muͤſſen, daß die Heiligenmaler jener Zeiten den
Teufel gar häufig nicht nur malten, ſondern auch im
Munde fuͤhrten. ö
„Ja, was Teufel!“ — entgegnete der Eingetretene
und Angeredete — „ja es iſt eine Teufelsgeſchichte, die
mich hier her führt. Zunächſt komme ich von Cortona.
meiner Vaterſtadt.“
„Rafael!“ — rief Perugino ſeinem Schüler zu, —
„ſiehe einmal, mein Junge, das iſt Meiſter Luca Signo-
relli von Cortona!“ ö ö
Der Knabe ſah Beide erröthend an. „Iſt das der
Meiſter Luca Signorelli, der im rechten Querſchiff von
S. Lörenzo das wundervolle Altarbild gemalt hat?“
fragte er mit beſcheidenem Ton.
Die beiden Meiſter lachten. — „Ja, der Junge iſt
kaum einige Zeit hier in Perugig und er kennt wahr-
haftig ſo genau wie ich ſelbſt all' unſere Meiſterwerke,“
bemerkte Perugino nicht ohne einen kleinen Stolz auf
ſeinen Schüler.
„Aber wer iſt denn der Knabe?“ fragte Luca Sig-
norelli. ö
„Nun, er iſt das Kleinod aus dem Nachlaß unſeres
edlen Genoſſen Giovanno Santi von Urbino“ — ſagte
Vanucei mit feierlichem Ausdrucke, — „ſein Sohn

„Rafael Santi,“ — ſprach nun Luca Signorelli
mit tiefer Bewegung und legte dem Knaben die Hand
auf das Haupt, — „von ſolchem Vater entſproſſen, von
ſolchem Meiſter gebildet, mußt du ein großer Maler
 
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