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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 1 - No. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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Heidelberger Kamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

N. 5.

Mittwoch, den 19. Januar

1876.

Der Rabbi von Stefanesci.
Novelle von Marco Brociner-Brodin.
Fortſetzung. ö

Die Fürſtin erhob ſich raſch. Sie trat ans Fenſter,
um den ſtechend funkelnden Blicken des Juden zu ent-
gehen, den ſie als ihren unerbittlichen, harten Gläubiger
nun doppelt haßte. Er ſollte nicht über ihre weibliche
Schwäche lächeln, die ſie bei ſeinen Worten übermannte
und ihr Thränen in die Augen trieb.
Sie ſchaute ſinnend hinaus. Es war ſo hell, tag-
hell. Das Haus im Städtchen brannte lichterloh. Luſtig
praſſelnd ſchlängelten ſich die Flammen wie rothe Züng-
lein ins Gebälk, während vom hohen Strohgiebel eine
düſterrothe Lohe hoch und mächtig flackerte. Ein Funken-
meer ſprühte empor zum dunkeln Nachthimmel, an deſſen
weſtlichem Ende gewitterſchwarze, drohende Wolken ſich
zuſammenballten. In chaotiſchem Gewirre blitzten die
Gedanken dem jungen, ſinnenden Weibe durch den Kopf;
ſie preßte die Hand an ihre fieberheiße Stirn und nach
und nach legte ſich der Sturm, der in ihrem Innern
tobte. In kühler Erwägung überdachte ſie Alles, was
ihr der Jude geſagt. Eines ſtand klar und feſt vor
ihrem Geiſte. Der Rabbi war für ſie verloren, für im-
mer verloren. Sie fühlte bei dieſem Gedanken einen leiſen
Stich im Herzen, und wieder traten ihr die Thränen in
die Augen. Doch ſie faßte ſich bald und diesmal flog
ein leichtes Lächeln um ihr bleiches Geſicht. Ja, ſie
lächelte. Sie dachte an die Worte, die ihr die Gattin
ihres Bruders oft zugeflüſtert, wenn ſie kopfhängeriſch,
trüben Gedanken ſich überließ. „Nur keine Sentimenta-
litäten, liebe Helene“, ſo lautete der ſtereotype Spruch
ihrer Schwägerin, „friſch und frei das Leben genießen!“
— Und was war es, dachte ſie, das mich dieſen ſonder-
baren Schritt zu unternehmen antrieb, — übertriebene
Sentimentalität für den unglücklichen bleichen Rabbi
und der Gedanke, durch ihn meine Vermögenslage wieder
zu verbeſſern? „Und wenn mir das letztere nun auf
eine andere Weiſe gelänge,“ ſprach ſie leiſe vor ſich,
„wenn mir der Vorfall ſelbſt, wie er bis jetzt gediehen,
als Handhabe dienen könnte, mich aus meiner mißlichen
Vermögenslage herauszuziehen, ohne jenen Schritt zu

vollenden, dem doch von einer Seite betrachtet ein gewiſſer

ridicüler Heroismus anklebt? — „Sie ſind reich, un-
ermeßlich reich, dieſe jüdiſchen Wucherer,“ flüſterte ſie
weiter, „ſie haben mich oft ausgebeutet. Warum ſoll

ich ihnen gegenüber auch nicht einmal den Juden ſpielen

und mein Vortheil, den mir ein unglücklich⸗glücklicher
Zufall in den Schooß wirft, gründlich ausbeuten ?“ Sie
ſchaute dann eine Weile tiefſinnend vor ſich; ihre Augen

leuchteten auf. Ihr Entſchluß war gefaßt. Sie wendete

ſich um und trat lächelnd an die Juden heran, die leiſe
unter einander flüſterten.

„Herr Daniel,“ begann ſie mit faſt fröhlich klingen-

der Stimme, „ich habe mir die Angelegenheit überlegt

und bin zu demſelben Reſultate wie Sie gekommen; nur

bezüglich des Preiſes dürften unſere Meinungen ein
wenig auseinander gehen. Ich habe, wie Ihnen, Herr
Daniel, auch bekannt iſt, bis jetzt in meinem Leben
ſchlechte Geſchäfte gemacht. Ich möchte nun auch einmal
ein recht profitables Geſchäft machen, bei Ehr' und Glau-
ben, ein profitables Geſchäft,“ lächelte ſie höhniſch, die
Lieblingsbetheuerung des Juden parodirend. „Da Ihnen
meine Vermögensumſtände bekannt ſind“, fuhr ſie in
demſelben nonchalanten Tone fort, „ſo werden Sie wiſſen,
daß meine Schulden ſich auf vierzigtauſend Ducaten be-
laufen. Es iſt das, Herr Daniel, eine gewaltige Schuld

für eine Frau, die nichts weiter als ein kleines, ſchlecht

geführtes Gut und ein düſteres Haus zu eigen hat.
Weniger bekannt dürfte Ihnen ſein, daß auch mein Bru-
der in Bucuresci augenblicklich zehntauſend Ducaten be-
nöthigt, deren Beſchaffung ich ihm binnen zwei Tagen
feierlichſt bei Ehr' und Glauben verſprochen habe. Sie
ſehen alſo, daß mir mit fünfzigtauſend Ducaten vollkom-
men geholfen wäre. Ich habe,“ fuhr ſie lächelnd fort,
indem ſie ſich niederließ und ihre Blicke frei über die
Juden ſtreiften, „ich habe leider keine ſolch' aufopferungs-
fähigen Freunde, die meine Schuld übernehmen wollten.
Ihnen, Herr Daniel, mein letztes Gut überlaſſen zu
müſſen, würde mir auch ſehr ſchmerzlich ſein; kurz, ich
bin in einer recht fatalen Lage. Ich muß daher,“ lachte
ſie weiter, „dem gütigen Schickſale doppelt dankbar ſein,
das mich mit einem Wurfe aus allen meinen Verlegen-
heiten heraushebt und — haha, meinen ſtrengen Gläu-
biger ſelbſt dazu zwingt, meine Schulden zu bezahlen.
Sie verſtehen noch nicht, Herr Daniel,“ ſpöttelte ſie,
„Sie merken noch nicht, wo ich hinaus will? — Alſo,
kurz und bündig: Ich will Alles thun, was Sie ver-
langen; ich gebe mich aber keineswegs mit ſechstauſend
Ducaten zufrieden, ſondern verlange als Prämie, wie
Sie, Herr Daniel, es zu nennen belieben, ich verlange,
ſage ich, fünfzigtauſend Ducaten.“
„Fü — ünf — — zigtauſend Ducaten!“ ſtammelte
das lebhafte Jüdlein Joel Grünſtein, indem er, wie von
einer Tarantel geſtochen, aufſprang und wie närriſch im
Zimmer herumrannte, während ſein Genoſſe Zwiebel
mit offenem Munde ſitzen blieb. Getzel Daniel hingegen
verzog keine Miene; nur um ſeine Lippen zuckte es ein
wenig, während er die düſter ſtarrenden Augenbrauen
noch höher über die kleinen Aeuglein herüberzog.
„Fünfzigtauſend Ducaten!“ jammerte Grünſtein ein
wenig gefaßter, indem er ſtehen blieb und ſeinen noch
immer verblüfft drein ſtarrenden Collegen durch einen
vehementen Zug am rechten Bartzipfel zum Bewußtſein
zurückrief. „Haſt Du gehört, Mendel, fünfzigtauſend
ODucaten. Gott, ſo 'ne Rieſenſumme. Unglücklich will
ſie die Juden machen,“ fügte er ſchwer ſeufzend hinzu,
indem er daran dachte, daß nach erfolgter Zahlung der
ſchlaue Jaſſyer Banquier durch eine nachträgliche Ent-
ſchädigung ſeiner — wie es der Natur der Sache nach
nicht anders ſein konnte — ausgelegten Geldſumme die
Geldbeutel aller in Mitleidenſchaft ziehen werde.
„Unglücklich!“ ſeufzte leiſe Herr Mendel Zwiebel,
 
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