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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 70 - No. 78 (2. September - 30. September)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Belletriſiſch Beilage zur oeidelberger Zeitung.

75.

Mittwoch, den 20. September

Aus längſt verrauſchter eit.
Einer alten Sage nacherzählt von J. B. Jacobi.

Schluß.

Landleute, mit ihnen Piaſt, Miloslaw und ſein

Diener Sandiswoi eilten herbei zur brennenden Burg;
regungslos jedoch ſtanden ſie dem entfeſſelten Elemente
gegenüber. Sie ſahen, wie ein aus der äußeren Mauer
auf den ſteinernen Damm führendes Pförtchen aufſprang
und aus dieſem mit fliegenden Haaren und Gewändern,
Popiel und Gierda, Rettung ſuchend vor den Flammen,
herausſtürzten. Sie flohen dem in dem See ſtehenden
Thurme zu, hinter ihnen drein aber wimmelte es, o

grauenhafter Anblick, mit gellendem Pfeifen und Ziſchen,

in dichten, ſich überſtürzenden, das fliehende Paar ver-
folgenden Haufen, von Millionen und abermals Millionen
von Mäuſen.
Popiel's und Gierda's Angſtgeſchrei ſcholl gellend

über den Goplo herüber. Einen Augenblick blieb Gierda

ſtehen auf dem bereits von dem Waſſer und dem Ge-

thier überflutheten Damme, wie beſchwörend ſtreckte ſie
die Haͤnde aus gegen die brennende Burg und das näher

und näher herankommende vierbeinige Heer. Da aber

klang es durch das Toben des Sturmes und durch das
Praſſeln der Flammen wie tauſendſtimmiges Hohnlachen
hölliſcher Geiſter und eiligen Fußes ſuchte Gierda den

ſchützenden Thurm zu erreichen, deſſen Thür ſie hinter
ſich und Popiel in's Schloß warf. Aber es kroch heran
mit fortwährendem Pfeifen und Ziſchen über den Damm
trotz der brandenden Fluth, und an den Mauern des
Thurmes ſtiegen ſie empor, die unzähligen winzigen Thiere.
Umleuchtet von flammenden Blitzen aber ſtanden jetzt Po-
piel und Gierda, ſchwächer klang ſchon ihr markerſchüttern-
des Geſchrei und ſchon auch kroch das Gewürm an erſterem
herauf — er wankte und verſchwand.

Pieklos geweihte Thurm zuſammen und in die Fluthen
des See's. ö

Die Leute aber, welche am Ufer ſtehend, alles mit

angeſehen hatten, wandten ſich ſchaudernd ab von der

Stätte, an welcher Gott ſelber

Gericht gehalten hatte
über das verbrecheriſche Paar. ö
ö —

X
Wochen waren vergangen ſeit dieſem Gottesgericht,
das ſarmatiſche Volk jedoch verſammelte ſich nach dem

Untergange des lechiſchen Stammes zu neuer Fürſtenwahl
auf den Feldern zu Kruſchwiza.

Vergebens bemühte ſich Piaſt, Stimmen zu gewinnen

für ſeinen geliebten Jugendfrennd, den letzten Sproß der
Lechen. Das Volk wollte davon nichts hören. Milos-
law ſelbſt wehrte ihm; nach den Erlebniſſen in der letz-

ten Zeit trug er kein Verlangen nach dem Herrſcherſtabe,

und die Leute ſagten zu Piaſt:
„Der augenſcheinliche Wille der Götter hat dem

ſchlimmen Geſchlecht das Scepter genommen und das

Haus des Krak dem Tode geweiht.“

Noch einmal
„ſtreckte Gierda mit gellendem Schrei die Hände zum
„ Himmel empor, dann verſchwand auch ſie und im ſelben
Augenblick ſtürzte mit farchtbarem Getöſe der dem Nia-

Kaum waren dieſe Worte laut geworden, ſo
rief auch der große Haufen: ö
„Ja, ja, das Haus des Krak iſt dem Tode geweiht,
keiner ſeiner Enkel darf am Leben bleiben!“ Von die-
ſem unglückſeligen Gedanken entzündet, ſtürmte die Menge
nach der Hütte des Piaſt, der letzten Zufluchtsſtätte der
verwaiſten Geſchwiſter — ihre Mutter hatte den Verluſt
des hingemordeten Gatten nur wenige Tage überlebt —
umzingelte das Gehöft und ſchrie: „Gieb ſie heraus,
Piaſt, gieb ſie heraus, die Sprößlinge des götterverhaßten
Stammes; tödten wollen wir die jungen Schlangen, ehe
ſie neues Unheil bringen über das Land.“
Da Piaſt ſah, daßs Widerſtand der verblendeten
Menge gegenüber nichts nützen würde, ſo nahm er zur
Liſt ſeine Zuflucht, er trat vor die Thür ſeiner Hütte
und ſprach: „Wollt ihr mir die Braut ermorden u. den Bru-
der meines künftigen Weibes? Wer von euch wagt es,
mir das anzuthun, mir, dem Piaſt, deſſen Vater gekannt
und geachtet war von vielen unter euch?“
Da legte ſich die Wuth des aufgeregten Volkes.
„Wie?“ ließ ſich hier und da eine Stimme vernehmen,
„die Tochter des Fürſten iſt ſeine Braut? Iſt Wahrheit
in dem, was er ſpricht, ſo mag es genug ſein an dem
Strafgericht der Götter. Das Weib des Landmannes
gehöret nicht mehr zu jenen, und auch der Schwager mag
eine ſichere Freiſtatt finden
Schweſter walten ſoll als Hausfrau.“ Alſo beruhigt
zogen ſie von dannen, als aber draußen alles ſtill ge-
worden war, kehrte Piaſt zu dem Schepicha in den Armen
haltenden Woiewodenſohne zurükk.
„„Wirſt du es mir verzeihen, mein Fürſt“, ſprach er,
„daß ich in der Bedrängniß ein unwahres Wort ge-
ſprochen habe? Ich wußte kein anderes Mittel zu deiner
und der Herrin Rettunggl.
Miloslaw aber erwiderte hierauf: „Die Götter mö-
gen es verhüten, daß ich, von thörichtem Hochmuth ver-
blendet, dein edles Herz verkennen ſollte. Sprich, Sche-
picha, willſt du nicht, daß das Wort wahr werde, das
derjenige, der dir bereits dreimal das Leben gerettet, ge-
ſagt hat, um den Tod von uns abzuwenden 22
Da reichte Schepicha dem Piaſt die Hand, der Bru-
der aber fuhr fort: „Nimm ſie hin, Freund unſerer Ju-

gend, und möchte mit ihr das Glück in deine Hütte ein-

Pda es ſich für immer abgewendet hat von dem
daufendes Lech. Keine Fürſtentochter iſt ſie mehr, nur
eine arme Maid, die dir nichts zubringt, als ein liebe-

volles Herz.“ ö ö
So war Schepicha des Landmanns Braut geworden
und bald darauf feierte der überglückliche Piaft ſeine
Hochzeit. Das fröhliche Mahl war aber noch nicht zu
Ende, als Miloslaw ſich erhob, und, trüber Gedanken
voll, ſich mit Sandsiwoi entfernte. Da klopfte es be-
ſcheiden an die Thür der Hütte und auf den einladenden
Ruf des Gaſtgebers traten zwei Jünglinge von wunder-
barer Schönheit in das Gemach. Es waren die beiden
Griechenknaben, welche Miloslaw ſeit jenem Abende nicht

wieder geſehen und daher vermuthet hatte, ſie wären
nach ihrer Heimath zurückgekehrt. ö ö

unter dem Dache, wo die
 
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