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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 44 - No. 51 (3. Juni - 28. Juni)
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Heidelberger Familie nblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

MAI.

Samſtag, den 3. Juni

1876.

Die Gruft von Steffendorf.

Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)

Während Melchior Lamark dieſe Worte hervor-
ſtotterte, zeigte auf dem Geſichte ſeines blaſſen Gefährten
Bach ſich ein Zug der Beſorgniß und des Verdruſſes.
Er wendete ſein ſtarkknochiges Profil, abgekehrt von Felix
Vitus, dem Fenſter zu. Man ſah ihm an, daß er fürch-
tete, die Unterredung könne einen peinlichen Verlauf neh-

men und Herr Melchior Lamark wohl gar etwas Un-

ſchickliches geſagt haben.
„Ich verſichere dagegen,“ erwiderte Felix mit ruhiger
volltönender Stimme, „der Wille der Tante Irene iſt
mir heilig und wird von mir gewiſſenhaft erfüllt werden.
Für meine Lebensſtellung braucht ſich Niemand zu be-
mühen. Mir iſt eine kleine Jahresrente und der Rück-
tritt in meine militäriſche Laufbahn geſichert. Das Zeichen
der Johanniter hier auf meiner Bruſt lehrt mich Demuth
und Entſagung, das eiſerne Kreuz daneben ſichert mir
bei dem geſtatteten Wiedereintritt in die Armee zunächſt
den Hauptmannsrang. Wir alle hatten zwar den Mann
der unglücklichen Tante Agnes längſt vergeſſen. Sie
haben ſich bisher, Herr von Lamark, auch nie um die
Angelegenheiten der Familie Steffendorf gekümmert. In-
deß, das Alles entbindet uns nicht, Ihren Anſprüchen
volle Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, vorausgeſetzt,
daß Sie dieſelben durch Vorlegung der betreffenden Do-
kumente nachweislich machen werden.“
„Selbſtverſtändlich, ſelbſtverſtändlich!“ ſagte Herr
Lamark, unruhig in dem Lehnſtuhl hin- und herrückend.
Das Dokument iſt in beſter Ordnung, Alles ehrlich und
Recht — kann auch ſogleich vorgelegt werden.
„Bitte ſehr, Herr von Lamark,“ entgegnete Felix
ruhig abwehrend, „das dürfte bis Morgen Zeit haben.
Morgen wird auch mein Rechtsbeiſtand anweſend ſein,
der von der Urkunde, an deren Richtigkeit ich keinen
Zweifel ausgeſprochen habe, Kenntniß nehmen kann.“
„Sehr gut, Herr Baron,“ erwiderte ſtatt ſeines
Herrn der Secretär Bach, „die anſtrengende Reiſe von
der Reſidenz bis Steffendorf wird wohl durch Ermüdung
auf Herrn von Lamark eingewirkt haben und es ihm

erwünſcht machen, heute noch von Geſchäften abzu

ſehen.“
Die Stimme des Sprechenden war ruhig und klar,
der Anklang eines fremdländiſchen Accents in derſelben
nicht zu verkennen.
„O, nicht doch, mein Lieber — wie hießen Sie
doch — Bach, ganz Recht!“ ſagte Melchior Lamark.
„Wir ſind nicht ermuͤdet, vielmehr vollkommen geſchäfts-
fäͤhig, und es muß uns daran liegen, hier nicht als Ein-
dringling zu erſcheinen. Holen Sie getroſt das Doku-
ment in der blechernen Kapſel herbei. In der That, wir
ſind geſchäftsfähig.“ ö
Der Secretär Bach warf Herrn Lamark einen ernſten
mißbilligenden Blick zu; dann verbeugte er ſich unter-

würfig, um das Verlangte aus dem Reiſekoffer herbei-

zuholen.
Ein Lakai trat ein und brachte auf einem Präſentir-
teller Erfriſchungen. Hierauf trat er, während Herr Bach
mit dem verlangten Urkundenbehältniß erſchien, geräuſch-
los hinter den Stuhl des Baron Felix und flüſterte dem-
ſelben einige Worte ins Ohr. ö
Felix erſchrack. „Das iſt ja ſchrecklich,“ ſagte er.
„Er kam mir heute ganz verändert vor. Hat man den

Zettel aufgehoben?“

Der Lakai bejahte ehrfurchtsvoll.
„Meine Herren,“ ſagte Felix aufſtehend, „ich muß
ſehr um Entſchuldigung bitten, wenn ich Sie auf kurze
Zeit allein laſſe. Die Angelegenheit mit dem Dokument
verſchieben wir jedenfalls auf morgen. Mir wird eben
gemeldet, daß der Reitknecht des verſtorbenen guten Oheims
ihm bald im Tode nachgefolgt iſt Der junge Menſch

war nach dem Hinſcheiden ſeines Herrn wie verwandelt.

Es mußte ihm etwas ſchwer auf dem Herzen liegen.
Armer Fran;! — jetzt iſt er auf dem Stallboden erhängt
gefunden. Ein neben ihm aufgehobener, von ſeiner Hand
geſchriebener Zettel beſagt, daß er ſich ſelbſt das Leben
genomwen, weil ein begangenes Unrecht ihm Ruhe und
Frieden geraubt hat.“
Ein kaum merkliches nervöſes Zittern glitt bei die-
ſer erſchütternden Nachricht über die Züge des Secretär
Bach. Herr Melchior Lamark lehnte ſich betroffen in den
Fauteuil zurück. „Der dumme Menſch,“ ſagte er, „hätte

auch leben bleiben ſollen.“

„Richten wir nicht zu ſtreng,“ bemerkte Felix, „es
gibt Beängſtigungen, an Wahnſinn ſtreifende Aufregungen,
die einen ſolchen beklagenswerthen Schritt erklärlich
machen. Bitte, erfriſchen Sie ſich inzwiſchen an einem
Glaſe Wein. Sobald als möglich werde ich zurück ſein.“
Er grüßte verbindlich und eilte hinaus.
Lamark und Bach blieben eine Weile ſtumm. Bach,
die blecherne Kapſel mit dem Dokumente in der Hand,
machte einen Gang durch das Zimmer, warf einen Blick
durch die zurückgeſchobene blauſeidene Portiere in das
leere Nebengemach und trat ſodann an das Fenſter, den
Gutshof überſehend.
„Den jungen Reitknecht,“ ſagte Herr Lamark ſodann
mit hämiſchem und ſpottendem Tone, „nimmt Herr Bach
nebenher auf ſein Gewiſſen.“
Wie von einer Tarantel geſtochen, fuhr bei dieſen
Worten Bach herum. Helle Zornesröthe loderte einen
Augenblick auf ſeinem ſonſt bleichen und ſtarren Geſichte.
Er biß ſich die Lippen wund, um einen hervorſtürzenden
Wuthſchrei zu unterdrücken. Man hörte das Knirſchen
der Fingernägel an der Blechkapſel, welche er krampfhaft
umkrallte. Dann ſagte er mit wüthender, ziſchender
Stimme: ö
„Noch ein Wort, wie das letzte und Sie ſind des
Todes! Sie kennen unſern Vertrag und wiſſen, wer an
Ihrer Seite ſteht. Aber, obwohl Sie ein elender, von
Trunk und Habſucht verdummter Thor ſind, ſoll es
Ihnen nicht gelingen, gemeinſchaftliches Verderben über
unſer Haupt heraufzubeſchwören!“
 
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