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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 52 - No. 60 (1. Juli - 29. Juli)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

A 60.

Samſtag, den 29. Juli

1876.

Berborgene Aualen.
Novelle von F. L. Reimar.
(Fortſetzung.)

„Sage einfach, liebe Thekla,“ fiel der Bruder, und
wie es faſt ſchien in der Abſicht, dem Geſpräch eine an-
dere Wendung zu geben, ein: „Fräulein Weller iſt ein
Charakter, eine Perſönlichkeit, welche die Kraſt zu ſelbſt-
ſtändigen Entſchließungen und Handlungen hat und darum
andere Wege als die ausgetretenen des Herkommens
gehen darf.“
„Und wie lange iſt ſie bei Ihnen?“ fragte Stern
wie aus einer Zerſtreuung heraus.
„Faſt ein Jahr,“ entgegnete die junge Frau, und
erwähnte dann noch, daß ſie durch eine Art Zufall, auf
eine bloße öffentliche Aufforderung hin, das Glück gehabt
habe, Hedwig zu gewinnen, für welche dann natürlich
eine ganz andere Stellung als die einer gewöhulichen
Geſellſchafterin ſofort für gebührend erkannt worden ſei.
Damit war für heute das Geſpräch über Hedwig
beendet; in Stern aber klang es nach und verband ſich
mit den eigenen, kaum erſtandenen Erinnerungen. —
Thekla hatte keine Urſache, ſich über den Mangel
an Vorſorge Seitens ihres Arztes zu beklagen, denn
Stern kam von dieſer Zeit an faſt täglich nach dem Gute,
kam auch dann noch, als von einem Krankſein der jungen
Frau gar nicht mehr die Rede ſein konnte und es mußte

ſomit auf Rechnung einer übergroßen ärztlichen Gewiſſen-

haftigkeit geſetzt werden, daß er immer noch vor Rück-
fällen beſorgt zu ſein ſchien.
Natürlich hatte es nicht ausbleiben können, daß
auch Stern und Hedwig ſich bei des Doctors fortgeſetzten
Beſuchen häufiger ſahen — doch hatte die Form des
Verkehrs, welche ſich wie von ſelbſt zwiſchen ihnen aus-
bildete, für einen Beobachter kaum etwas Wohlthuendes.
Während auf ſeiner Seite ein faſt peinliches Bemühen,
es an keiner Rückſicht fehlen zu laſſen, bemerklich blieb,
trat ſie ſelten oder nie aus einer gewiſſen wortkargen
Zurückhaltung, die bisweilen an Schroffheit ſtreifen
konnte, heraus — und doch zeigte die Art und Weiſe,
wie ſie mit Herrn von Fergent und ſeiner Schweſter
verkehrte, daß ihr Weſen im Uebrigen keineswegs von
jener Schroffheit beherrſcht wurde, und wiederum hätte
demnach ein Beobachter die Bemerkung machen können,
daß ſich in ſeltſamer Art zwei Naturen bei Hedwig be-
gegneten.
„War ihr Charakter auch ernſt, ſo vermochte ſie doch
gefällig auf den Ton, den Thekla anzuſchlagen liebte,
einzugehen, und die Scherze, die munteren Einfälle der

jungen Frau lockten nicht ſelten ein Lächeln auf ihre

ſchönen Zuͤge zur ganz beſonderen Freude der letzteren.
„Ich fühle mich Ihnen menſchlich näher, wenn Sie
lachen, Hedwig,“ ſcherzte ſie bisweilen, „es verſchwindet
dann etwas von dem Nimbus, der Sie umgibt und Sie
für Sterbliche meines Schlages faſt unnahbar macht!“
Trotz dieſes Reſpects, zu welchem ſie ſich bekannte,
tonnte Thekla aber mitunter geradezu mit der Freundin

zürnen, und namentlich geſchah dies, wenn ſie, in deren
eigener Natur die größte Offenheit lag, ſich Hedwig's
Verſchloſſenheit gegenüber fühlte.
„Es iſt ſeltſam,“ rief ſie einmal unwillig aus,
„während ich Ihnen von meinem Leben alles Mögliche
erzähle, Sie in alle ſeine Freuden und Leiden einweihe,
liegt das Ihrige vor mir wie ein verſiegeltes Buch —:
Sie heißen Hedwig Weller, haben Ihre Eltern früh ver-
loren, ſind an keine Freundſchaft oder Verwandtſchaft
gebunden — das haben Sie mir in der erſten Stunde
geſagt, und darüber hinaus ſind wir bis zu der heutigen
noch nicht gelangt!“
„Ohne Eltern — ohne Freunde — nur ſich ſelbſt
zu haben: liegt darin nicht eine ganze Geſchichte ?“ fragte
Hedwig, und hatte Thekla genau auf ihren Ton geachtet,
würde ſie die verhaltene Trauer, die in ihm lag, wahr-
genommen haben, ſo aber rief ſie nur lebhaft:
„Eine ganze Geſchichte, ja, aber für Sie iſt mir
dieſe zu einfach — ſchelten Sie nicht, Hedwig! Ich
meine immer, Sie, gerade Sie müßten etwas ganz Be-
ſonderes erlebt haben. Und darum geht es mir,“ ſetzte
ſie lachend hinzu, „wie der Elſa im Lohengrin: wie ihr
die Herkunft des Gemahls, ſo läßt mir das Schickſal
der Freundin keine Ruhe.“
Hedwig wandte ſich ab, ſie war bleich geworden
und es währte einige Secunden, ehe ſie, ſelbſt ſcherzend
erwidern konnte:
„Dann denken Sie auch daran, wie es der Elſa
erging, ſie verlor den Gemahl, weil ſie dem Drange zu
fragen nicht widerſtehen konnte, — wer weiß, ob ich
Ihnen nicht auch eines Tages in dem Schwanenwagen
entſchlüpfe, wenn — —“
„Wenn Sie noch länger ſo indiscret plaudern!
wollen Sie ſagen,“ fiel Thekla lachend ein und ſchloß
der Freundin den Mund mit einem Kuſſe. „Still, ſein
Sie ſtill, Hedwig, ich beſcheide mich und will es ja auch
glauben, daß Sie ohne Zuthun von einem geheimniß-
vollen Schickſal ſo verſchieden von mir und anderen
Menſchen geworden ſind!“
Endete ſie nun aber ſelbſt den kleinen Zwiſt mit
guten Worten, ſo fühlte ſie ihre Ungeduld doch nach
kurzer Zeit auf's Neue von Hedwig gereizt und hielt
auch diesmal nicht mit ihren Aeußerungen zurück.
„Was haben Sie nur gegen den Doctor?“ fragte
ſie nach einem Beſuche des letzteren. „Er thut doch
wirklich das Seinige, um ſich uns Allen liebenswürdig
zu beweiſen. Hand auf's Herz, Hedwig,“ ſetzte ſie lachend,
aber doch mit einem flüchtigen Erröthen hinzu, „noch
hat er uns nicht gezeigt, daß er den berüchtigten Gemälde-
fleck an uns entdeckt habe. Aber Sie ſind taub und
blind gegen ſeine Artigkeit: ſoll er denn nie und nimmer
bei Ihnen zu Gnaden kommen?“
Der jungen Frau entging das ſchmerzlich-bittere
Zucken, welches — einen Moment nur — durch Hed-
ſonie Züͤge glitt; ſie hörte nur, daß dieſelbe jetzt ruhig
agte:
„Sie haben wohl Recht, Thekla, ich bin zu tadeln,
daß ich ihm nicht die richtige Anerkennung für ſeine —
 
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