Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1876

DOI Kapitel:
No. 52 - No. 60 (1. Juli - 29. Juli)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0237

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidelberger Familienblͤͤtter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 58.

Samſtag, den 22. Juli

1876.

Berborgent Aualen.

Novelle von F. L. Reimar.
(CFortſetzung.)

Stern hatie jene beiden Jahre nur noch zum Theil
in der gedachten Stadt zugebracht, darauf aber einer
perſönlichen Neigung nachgegeben, wozu ihm ſein Ver-
mögen reichliche Mittel bot, und an einer wiſſenſchaft-
lichen Expedition theilgenommen, von der er gerade jetzt
erſt zurückgekehrt war. Da er ſich ſeither kein beſtimmtes
Domicil gewählt hatte, überhaupt aber an wechſelnden
Verhältniſſen, wie wechſelndem Verkehr Gefallen fand,
kam ihm ein Antrag, der ihn an einen vielbeſuchten
Badeort rief, wo er für einen erkrankten Collegen ein-
treten ſollte, nicht unerwünſcht, und mit Beginn der
Kurzeit begab er ſich an ſeinen neuen Beſtimmungsort.
Die in dieſem Frühjahr ungewöhnlich lange naß
und kalt gebliebene Wiiterung hatte den Zuzug der
Gäſte verzögert, und Stern fand daher bei ſeinem An-
tritt das Bad noch ziemlich leer an Patienten, ſo daß
ihm für die nächſte Zeit unerwartet viel Muße zu Theil
ward. Um dieſelbe auszufüllen, kam er dazu, häufig
Ritte in die ſchöne Umgegend H.'s zu machen, weil es
ihn anzog, dieſe in ihren allgemeinen Umriſſen, wie in
einzelnen Punkten kennen zu lernen, hervorragende Ge-
höfte und Güter zu beſuchen. Er orientirte ſich bei
ſolchen Gelegenheiten wohl auch über die Beſitzer der
letzteren und weil ihm deren Namen ſtets fremd ge-
klungen hatten, ſo frappirte es ihn, als ihm eines Tags
ein Herr von Fergent als der Eigenthümer eines ſehr
ſchönen, etwa eine Stunde von H. belegenen Gutes ge-
nannt ward, denn er erinnerte ſich ſofort, daß er ſelbſt
vor Zeiten mit einem Träger dieſes Namens bekannt ge-
weſen war. In der That ſtellten es einige weitere Fra-
gen außer Zweifel, daß jener Herr von Fergent, der auf
derſelben Univerſität, wo er ſeinen Studien obgelegen,
Cameralia getrieben und mit welchem er, wenn auch nicht in
nahem, ſo doch freundlichem Verkehr geſtanden hatte, ein
und dieſelbe Perſon mit dem Bewohner dieſes Ritter-
guts ſein müſſe.
Lag nun ſchon in dieſer Entdeckung eine halbe Auf-
jorderung für Stern, die alte Bekanntſchaft aufzunehmen,
ſo ward er in ſeinem Vorſatze noch beſtärkt durch die
Mittheilungen, welche man ihm ſonſt noch über den
Gutsherrn und die Verhältniſſe, in denen er lebte, machte.
Wie man ihn auf's Wärmſte pries, ſo ſchilderte man
auch ſeine Häuslichkeit als eine ſehr angenehme; Stern
erfuhr dabei, daß er zwar nicht verheirathet ſei, daß aber
ſeine Schweſter, eine junge verwittwete Hauptmann von

Körner, welche die Anmuth und Liebenswürdigkeit in

Perſon ſei, dem Hausweſen vorſtehe. Außerdem, ſagte
man ihm, befände ſich noch eine Dame, ein Fräulein
Weller, als Geſellſchafterin der letzteren im Hauſe und
eins doer das andere ward dann auch noch zum Lobe
dieſer Perſönlichkeit, die eine ebenſo pikante wie ſchöne
Erſcheinung ſei, hinzugefügt.

Kurz, Stern's Neugier war in jeder Weiſe erregt
worden; er beſchloß, auf Fergent einen Beſuch abzuſtatten
und da ihm Zeit und Umſtaͤnde zu Hülfe kamen, ward
ſchon der nächſte Tag zu einem Ritte dorthin angeſetzt.
Das Glück war ihm indeſſen nicht ſo günſtig, wie
er gehofft hatte, denn als ſein Ziel erreicht war, mußte
er hören, daß Herr von Fergent und ſeine Schweſter zum
Beſuch einer benachbarten Familie ausgefahren ſeien und
vermuthlich nicht vor dem Abend heimkehren würden.
Schon wollte er ſich unverrichteter Sache entfernen,
als es ihm einfiel, daß außer den Geſchwiſtern von einer
Dame die Rede geweſen war, die zu der Familie gezählt
wurde, und da er ſich wenigſtens einem Gliede der Herr-
ſchaft perſönlich vorzuſtellen wünſchte, wagte er noch eine
Frage nach dem Fräulein.
Ein Diener führte ihn ſofort in das Wohnzimmer
und entfernte ſich dann, um der Geſellſchafterin zu mel-
den, daß ein fremder Herr — er mußte geſtehen, daß
er die Ungeſchicklichkeit begangen habe, nicht zum zweiten
Male nach ſeinem allzu raſch von ihm ausgeſprochenen
Namen zu fragen — ſie zu ſprechen wünſche. Der
Doctor brauchte auch nicht lange zu warten, ſchon nach
wenigen Minuten vernahm er draußen Schritte, das
Rauſchen eines Gewandes und gleich darauf das Oeffnen
der Thür. Hatte er ſeine Blicke aber ohne beſondere
Geſpanntheit nach der letzteren gerichtet gehabt, ſo nahmen
dieſelben jetzt den Ausdruck höchſter Ueberraſchung, faſt

den der Betroffenheit an, denn die, welche in dieſem

Augenblick auf der Schwelle erſchien, war nicht eine Un-
bekannte, die ihm unter dem Namen von Fräulein Weller
angekündigt worden, es war — Hedwig Löwing. Wenn
er im erſten Augenblick keine Worte fand, ihr ſein Er-
ſtaunen auszudruͤcken, ſo wirkte ſein Anblick vielleicht noch
erſchreckender auf ſie, denn in einem Augenblick hatten
ſich ihre Wangen mit einer tiefen Bläſſe überzogen,
ebenſo ſchnell aber gewann ſie ihre Faſſung wieder: ſie
trat dicht an ihn heran in derſelben Haltung, die er an
ihr geſehen, als ſie bewundernd und gebietend im Kreiſe
ihrer Verehrer geſtanden hatte, und ſagte ruhig, aber
beſtimmt:
„Wir ſind uns fremd, Herr Doctor Stern! Sie
werden eben wohl ſchon meinen Namen: Hedwig Weller“
— ſie betonte die Worte ſcharf — „gehört haben, und
es bleibt mir nur übrig zu ſagen, daß ich als dieſe
Ihren Beſuch ſtatt der eigentlichen Herren des Hauſes
entgegengenommen habe; es wird mich ehren, weitere
Aufträge an dieſelben zu vermitteln.“
Was von ihren Aeußerungen auf die Anweſenheit
des Dieners berechnet war, der gleich nach ihren erſten
Worten — vielleicht um Befehle aus ihrem Munde zu
erwarten, — in's Zimmer getreten war, konnte Stern
nicht unterſcheiden, was er aber vollkommen begriff, war
die Stellung, welche ſie ſich ihm gegenüber anwies; war,
daß ſte ihm Schweigen über Alles und Jedes, was die
Vergangenheit betraf, auferlegte, und wenn er je an ſich
ſelbſt die Macht dieſer dunkeln Augen erfahren, wenn er
je ihrem ſicheren Auftreten bewußt oder unbewußt Tribut
gezollt hatte, ſo machte ſich der alte Einfluß in dieſem
 
Annotationen