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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 61 - No. 69 (2. August - 30. August)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

A 63.

Mittwoch, den 9. Auguſt

1876.

Berborgene Aualen.
Novelle von F. L. Reimar.
(Fortſetzung.)

Igch frage ſo,“ entgegnete Stern, „weil ich Dir
zugleich ſagen möchte, daß es für Hedwig Löwing ver-
derblich werden könnte, wenn eine unberufene Hand den
Schleier, in welchen ſie ſich gehüllt hat, zerreißt, wenn
wir uns mit einer Theilnahme, die ſie wahrſcheinlich
verſchmähen würde, an ſie herandrängten.“
Silkenitz hatte ſich von ſeiner Verwirrung erholt,
um dem Freunde, der erregt ſprach, forſchend in's Ge-
ſicht zu blicken. Als derſelbe nun noch weiter reden
wollte, legte er ihm plötzlich die HDand auf den Arm und
ſagte in ganz entſchiedenem Tone:
„Guſtav, Du kennſt das Aſyl, das Hedwig gefunden
hat, Du weißt ihr Schickſal!“
Der Schrecken, welcher Stern ergriff, währte nur
einen Augenblick und ebenſo koſtete es ihn nur einen
kurzen Kampf, um einen raſchen Entſchluß zu faſſen.
„Wohl, Silkenitz,“ entgegnete er; „ich will Dich
nicht hintergehen, verſprich Du mir, daß Du mein Ver-
trauen nicht täuſchen, daß Du auch ihren Willen ehren
willſt — und Du ſollſt erfahren, wo ſie lebt!“
Silkenitz ſah ihn mit weit geöffneten Augen an.
„Sprich Guſtav,“ ſagte er, „Du weißt, ich täuſche das
Vertrauen meiner Freunde nie, und was Hedwig will,
das — nun ja, das iſt mir heilig!“ ö
„So höre denn: Hedwig befindet ſich hier in der
Nähe, auf dem Gute Fergent,“ ſagte Stern. ö
„Auf Fergent?“ fragte Silkenitz haſtig, „auf Fer-
gent, das unſerem Freunde gehört? So brauchte ich nur
hinzugehen und ich ſähe Hedwig wieder?“
„Du würdeſt ſie ſicher dort treffen und darum ge-
rade fordere ich als Dein Arzt und Dein Freund von
Dir, Silkenitz, geh' nicht nach Fergent!“
In Silkenitz' Zügen arbeitete es heftig.
„Ihr ſo nahe — und ſoll ſie nicht ſehen! weißt Du,
was das heißt, Guſtav?“
„Ich weiß, daß es Dir ſehr ſchwer werden muß,“
ſagte Stern in weichem Tone, „aber dann denke, daß Du
ihre Bitte erfüllſt, wenn Du ihr fern bleibſt!“
„Ihre Bitte! Sie ſelbſt verbietet mir, ſie wieder-
zuſehen und durch Dich, Guſtav?“ rief Silkenitz.
„Ich bin der Einzige, durch den ſie es konnte,“
entgegnete Stern; „Niemand in ihrer Umgegend ahnt
nur das Geringſte von allen früheren Beziehungen.
„Nur Du, nur Du allein,“ ſagte Silkenitz und ſtrich
ſich mit der Hand über die Stirn, auf der große Schweiß-
tropfen ſtanden, „Du haſt alſo ihr Vertrauen — es iſt
alſo zwiſchen Euch ausgeglichen. Man erzählte mir, Du
ritteſt täglich nach Fergent: dort haſt Du ſie wieder ge-
funden und — und — laß mir nur Zeit, Guſtav, ich
muß das alles erſt ausdenken!“ ů
Stern bemerkte mit Sorge die große Aufregung des

Freundes und ſuchte dieſelbe durch eigene Gelaſſenheit
zu dämpfen. ö

„Es iſt ſo wie Du ſagſt, lieber Silkenitz,“ entgeg-
nete er, „ein Zufall führte mich mit Hedwig zuſammen,
der ich natürlich immer meine Theilnahme bewahrt hatte.“
Silkenitz ſchien halb abweſend zu ſein. „Gewiß,
gewiß!“ murmelte er und ſagte dann nichts weiter zu

der Erzählung des Freundes von jener erſten Begegnung

mit Hedwig, zu ſeiner Erwähnung ihrer angeblich feind-
lichen Haltung und des Peinlichen, was für ihn ſelbſt
in der ſtrengen Geheimhaltung ihrer früheren Bekannt-
ſchaft, zu welcher ſie ihn gezwungen, gelegen habe. Er
war wie in ſich verſunken und ſchreckte erſt wieder auf,
als Stern endlich die Worte an ihn richtete:
„So habe ich Dir Alles geſagt, Silkenitz, wie es
iſt, weil ich Dich für geſund genug halte, um die Wahr-
heit vertragen und Dein Handeln nach ihr einrichten zu
können. Und nun, nicht wahr, wiederholſt Du mir noch
einmal das Verſprechen, daß Du mein Vertrauen und
Hedwigs Bitte nicht täuſchen willſt?“
Er hielt ihm mit freundlicher Geberde die Hand
hin und Silkenitz legte die Seine, langſam zwar, aber
doch ohne Widerſtand, hinein.
„Ich verſpreche Dir, daß kein Wort, welches Dir
und Hedwig ſtörend ſein kann über meine Lippen kommen
ſoll, und daß ich keinen Fuß auf Fergent ſetzen will —
wozu auch die alten bittern Schmerzen noch einmal durch-
leiden?“ ſetzte er leiſe und halb träumend hinzu.
„Du haſt Recht,“ ſagte Stern herzlich, „es iſt Deine

Pflicht, die Du gegen Dich ſelbſt haſt, daß Du Dich

ſchonſt, das ſagt Dir Dein Arzt, und daß Du Dein
Herz keiner Marter ausſetzeſt, wo ihm nun einmal ſein
höchſter Wunſch nicht erfüllt werden kann, darum bitter
Dich Dein Freund, lieber Silkenitz.“
Ein halbes Lächeln glitt über Silkenitz' blaſſes Ge-⸗
ſicht: „daß Du mein Freund biſt, Guſtav, habe ich mir
früher vielleicht nicht oft und tief genug geſagt, und
darum traf mich der Schmerz ſo hart — wenn ich es
mir aber beſtändig vorhalte, werde ich wohl Troſt finden.
Nun aber laß uns aufhören, von alle dem zu ſprechen:
ich fühle doch, daß es mich noch angreift und ich mir
Vieles erſt in meinem eigenen Sinne zurecht legen muß,
ehe es mir vollſtändig klar wird, daß es ſo kommen
mußte.“
Hätte Silkenitz es nicht ſelbſt geſagt, daß er ſich
von der Rede angegriffen fühlte, würde Stern dies an
dem Ausdruck der Erſchöpfung, der auf ſeinen Zügen
lag, erkannt haben, und er ging um ſo viel leichter auf
des Freundes Wunſch ein, dieſelbe abzubrechen, als auch
ihm ſchmerzvoll blieb, über die Sache zu ſprechen.
„Wir ſprechen wohl noch einmal weiter von Hedwig“,
äußerte er, „und was Fergent betrifft — —“
„O, es findet ſich wohl leicht ein Vorwand, der es
entſchuldigt, weshalb ich nicht zu ihm komme,“ unterbrach
ihn Silkenitz, „ſorge deshalb nicht.“
Als die beiden Männer ſich nach kurzer Weile unter
Händedruck getrennt hatten, ſchritt Stern mit befriedigtem
Herzen ſeiner Wohnung zu; er hatte Hedwig vor einem
Wiederbegegnen mit Silkenitz ſicher geſtellt, wie er denn
überzeugt war, daß dieſer ſeinem Worte treu bleiben
 
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