Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1876

DOI Kapitel:
No. 44 - No. 51 (3. Juni - 28. Juni)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0197

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

AS. Samſtag,

den 17. Juni

1876.

Die Gruſt von Steffendorf.

Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)

Ein kheftiges Zittern glitt über die erregten Züge
Celine's als ſie auf dieſe Frage Antwort gab. „Frannecks
Mund,“ flüſterte ſie, „der mir dies Alles anvertraut, iſt
freilich verſtummt. Franneck, nachdem er auch die von
Eugen Canton an Loſa Georgewitſch gelangten Papiere
für mich heimlich entwendet und gerettet, entwich mit
mir aus dieſer fluchwürdigen Genoſſenſchaft. Für mich
gab es nur noch einen Weg auf der Welt, den Weg,
der nach Steffendorf führt. An unſere Faͤhrte heftete
ſich der todtbringende Verfolger. Ich war glücklicher als
Franneck. Nach wochenlangem Umherirren bin ich am
Ziele meines Wirkens. Franneck aber iſt als Verräther
der Rache ſeines Stammes zum Opfer gefallen. Die
Kugel Loſa's hat ſeinem Leben ein Ziel geſetzt. Man
hat den Leichnam des Unglücklichen im tiefſten Strom-
bett der Elbe verſenkt. Auch ich, Felix Vitus“ — es
war das erſte Mal, daß ſie dieſen Namen ſprach — „bin
jenen finſtern Gewalten verfallen. Die Secunden meines
Lebens ſind gezählt. Vielleicht ſchleicht, während ich dies
ſpreche, der gegen mich ausgeſandte Mörder bereits um
die Mauern dieſes Hauſes. Auch mein Zeugniß wird
bald nicht mehr für Sie ſprechen können. Aber dennoch
gibt es Beweiſe, ſchlagende Beweiſe. Ich will ſie in
dieſen von dem treuen Franneck mir geretteten Familien-
papiere Ihnen anvertrauen. Leſen Sie dieſelben — wenn
wir von einander geſchieden ſind — aufmerkſam durch,
nicht meinetwegen — ich ſteige hinab in die grünende
Erde. Nachdem ich dieſe Sendung erfüllt, iſt mein Le-
ben leer und nutzlos — ich gebe es freudig dahin. Sie
können mich nun nicht mehr verachten und gönnen der
vom Schickſal Verfolgten, wenn Sie dieſelbe ganz erkannt
haben werden — ein Plätzchen nicht in, aber vor der
Familiengruft, wo die Bank ſteht, auf der Sie mich
wiederfanden.“
„Sprechen Sie nicht weiter, Celine — nicht ſo, ich
bitte,“ ſagte Felix mit inniger Rührung, die Hände des
vor ihm ſitzenden Maͤdchens ſtreichelnd. „So lange ich
bei Ihnen bin, ſoll Ihnen kein Haar gekrümmt werden.
Laſſen Sie uns nicht von Trennung reden. Wie könnte
ich das große Opfer, welches Sie mir gebracht, an-
nehmen, wenn ich nicht den feſten männlichen Entſchluß
faſſe, mit meinem Daſein für Ihren Schutz, für Ihre
Sicherheit einzuſtehen.“
ö Celine entzog ihm ſanft ihre Hand und wandte ihr
Auge von ihm ab. „Wir dürfen uns derſelben nicht
hingeben und müſſen muthvoll auf dem betretenen Wege
weiterſchreiten. Stoyan Kaſolka und ſein Helfershelfer,
der angebliche Lamark, ſind im Beſitze der Herrſchaft und
der Beweismittel für ihr Beſitzrecht. Es gilt, ihnen die
letzteren zu entreißen. Sie werden hierher zurückkehren,
wenn Loſa Georgewitſch ſie nicht gewarnt hat. Ich will
ihnen gegenüberſtehen und zur Entlarvung und Feſtnahme

der Verbrecher meinen Beiſtand leiſten. Was aber den
wahren Lamark anbelangt, ſo werden die von mir Ihnen
übergebenen Urkunden und dieſes Medaillon, welches Sie
mit dem Urbilde der Tante Irene vorher verglichen
haben, Ihnen die weiter wichtige Einſicht in Verhältniſſe
geſtatten, die eine wunderbare Fügung Gottes herbei⸗-
geführt hat, Verknüpfungen und Ereigniſſe, die Sie ſelbſt
näher verfolgen und ſich dann die Frage vorlegen mö-
gen: weshalb mußte es geſchehen, daß Felix Vitus von
Steffendorf ſich auf dem Gefilde von Sedan über die
verlaſſene Celine Poirot erbarmte?“ ö

* *
E

Die Nacht war über dieſen Geſprächen herabgeſunken,
eine milde und ſchöne mondſcheinerhellte Sommernacht.
Celine, von einer augenblicklichen Schwäche übermannt,
ſehnte ſich nach Ruhe und wurde von der ſorgſamſten
Pflege in die für ſie beſtimmten Zimmer geleitet.
Felix Vitus, von unſäglicher Unruhe getrieben, am
Vorabende einer ſichtbaren Wendung ſeines Geſchicks,
verließ, nachdem er von der Sicherheit aller Wohnräume
und der von Celine eingenommenen beſonders ſich über-
zeugt, mit ſeiner Jagdflinte bewaffnet, das Schloß, um
den Park zu durchſtreifen und Herr üͤber ſeine Gedanken
und ungeſtümen Gefühle zu werden. Die Bäume des
Parks rauſchten im Nachtwinde, von dem Dorfkirchthurme
herüber tönte das ſchrille Geſchrei einer durch das Mond-
licht geblendeten Eule. Aus dem von Celine bewohnten

Zimmer erglänzte der Schein eines Lichts über die zittern-

den Blätter der benachbarten Platanen und erloſch nach

kurzer Zeit.

„Ob ſie wohl Ruhe im Schlafe finden wird?“ fragte
ſich Felir Vitus. Ach“ — ſetzte er leiſe hinzu — „ſie
iſt im Schlafe ſo ſchön!“
Er erinnerte ſich bei dieſem kurzen Selbftgeſpräche
der Nacht, in welcher er von Carignan ſchied. Er er-
röͤthete über ſich ſelbſt. Denn er hatte in jener Nacht
es nicht über ſich gewinnen können, zu gehen, ohne zuvor
an das Bett der Schlummernden geſchlichen zu ſein und
ohne an ihren ſchönen Lippen einen verbotenen, im Traume
von ihr empfundenen Raub verübt zu haben. Ihm fiel,
wenn er bedachte, welches Leid und welche Gefahren ſie
ſeitdem für ihn ausgeſtanden, jetzt, er wußte ſelbſt nicht
warum, dieſes Vergehen gleich einem an einem Heiligen-
bilde verübten Frevel, centnerſchwer auf die Bruſt. ö
Schon damals, als er in Carignan Celine verließ,
war er des Eindrucks, welchen ſein Pflegling auf die
Ruhe ſeines Herzens gemacht, ſich wohl bewußt gewor-
den. Für ihren Frieden — für den ſeinigen hatte
er es angemeſſen gefunden, in der Stille und ohne an-
deres Lebewohl zu ſcheiden. Aber auch die kommenden
Zeiten vermochten nicht, jenen Eindruck zu verwiſchen.
Felix Vitus hatte damals einen harten Kampf mit ſich
beſtanden. Er war, wie er ſich einredete, ſiegreich aus
demſelben hervorgegangen. Dennoch war der Sieg kein
vollſtändiger geweſen. Das Bild ſeiner Schutzbefohlenen
übte den demſelben eigenthümlichen Zauber auch auf ihn
 
Annotationen