Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1876

DOI chapter:
No. 96 - No. 104 (2. December - 30. December)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0401

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 99.

1876.

Mittwoch, den 13. December
aleska und erreichte auch bald den, in lebhafter Converſation
mit ſich ſelbſt begriffenen Trinker. Durch die inzwiſchen
Novelle von S. v. d. Horſt. vergangenen Minuten war aber doch ſein Blut etwas
abgekühlt, ſo daß er wenigſtens äußerlich einigermaßen
(Fortſetzung.) ruhig erſchien. Ohne zu grüßen, trat er hart an den

Kaum hatte er Selbſtbeherrſchung genug, um ruhig
zu bleiben, bis erſt die Anderen fort waren — dann
aber wollte er Abrechnung halten mit jenem bleichen
Schurken, den er haßte — o, ſo bitter haßte.
Er barg das Geſicht in der Hand, glühend vor
Zorn, fähig, einen Mord zu begehen an dem, der die
beiden einzigen Weſen, welche er liebte, ſo überaus un-
glücklich gemacht. Da ſprach Georg und er horchte auf.
„Ja, Sie waren der, welcher aus dem Schwärmer,
in deſſen Augen die Menſchheit nicht ſündenlos genug
war und der ſie beſſern helfen wollte, einen Spieler und
Dieb machte!“ hörte er die traurige Stimme ſagen. —
„Sie waren es, der mir meinen Frieden geraubt hat,
mir den Weg zur redlichen Arbeit verſperrt. Ich wollte
im Geiſte Ferdinand Laſalles handeln, wollte ein Mär-
tyrer ſein für die Sache des Volkes — da benutzten Sie
eine Stunde, in der ich muthlos war aus Hunger und
Verlaſſenheit, da flüſterten Sie mir von einem viel er-
folgreicheren Kampfe gegen das Capital und beirrten
meine Seele durch Verſprechungen. Alles, was ich für
Sie habe, zum Dank für Ihre Mühe, iſt das Gelöbniß,
Ihnen nicht fluchen zu wollen!“
„Jetzt gehen Sie!“ gebot herriſch Gottfried.
brauchen Sie nicht mehr! 2 ö
Der Lieutenant mochte einſehen, daß hier alles wei-
tere Parlamentiren unnütz ſei, denn er warf auf die An-
weſenden nur noch einen grollenden Blick, dann ging er
mit langſamen unſicheren Schritten zur Stadt zurück, bei
ſich murmelnd, daß er keinen Thaler von den erhaltenen
dreihundert wieder abliefern werde.
ö Die Zurückgebliebenen warteten bis er außer Sicht
war, dann ſcharrten ſie den loſen Sand an einer be-
ſtimmten Stelle auf, und derjenige, welcher geſagt hatte,
daß er ſich ſchon jetzt aus dem Staube machen wollte,
erhielt ſeinen Antheil ausgezahlt. *
„Ihr ſolltet wahrhaftig auch das Eurige an Euch
nehmen,“ hörte ihn Abolph den Anderen rathen, „wer
weiß, was geſchieht? — Ich traue dem Frieden nicht

mehr!“ —
„Man ſoll bei

„Wir

„Eben darum!“ verſetzte Gottfried.
uns, wenn etwa Hausſuchung käme, nichts finden. —
Hier liegt es ſicher!“ — ö
„Das iſt auch meine Anſicht von der Sache!“ —
ſtimmte Georg bei. ö ö
„Nun denn eilen wir — leb'“ wohl Eduard!“

Der Ausſcheidende wechſelte mit den drei Anderen
einen Händedruck; verſprach, bald an Gottfried zu ſchrei-
ben und ging landeinwärts einen zweiten Weg nach
Lübeck zu; die kleine Geſellſchaft entfernte ſich, nachdem
wieder die Fußſpuren verwiſcht, im Boote, und nun erſt
konnte Adolph ungefährdet dem Lieutenant folgen. Er
flog durch die Feldwege, ſo ſchnell ihn ſeine Füße trugen,

gedankenlos vorwärts ſtolpernden Edelmann heran und

hielt ihn am Arm zurück.
„Herr v. Leisrink, kennen Sie mich?“ fragte er in
kaltem Ton. ö
Der Angeredete fuhr auf. — „Herr Böhm!“ ſtotterte
er, „das heißt nicht der jüngere Herr — ſondern —
ſondern“ — — ö ö
„Nicht der jüngere, nicht der, den Sie in's Elend
gebracht, nein!“ knirſchte Adolph, „ich bin nicht der
zwanzigjährige Knabe, deſſen Unerfahrenheit ihn in ihre
Hände lieferte, ſondern ein gereifter Mann, dem Sie
Rede ſtehen ſollen, Nichtswürbiger, welcher den Titel
eines Edelmannes und Officiers ſchändet!“ ö
„Was unterſtehen Sie ſich!“ bebte es von den
kreidebleichen Lippen des Lieutenants. „Sie meinen ver-
muthlich einen ganz Anderen — was könnte ich denn
Ihrem Herrn Bruder zu Leide gethan haben? — Be-
weiſe! Beweiſe!“
„Schweigen Sie!“ gebot der Ingenieur. „An Ihr
Ehrgefühl zu apelliren, Ihnen zeigen zu wollen, welch'

ein verabſcheuungswürdiger Charakter Sie ſind, das wäre

vergeblich, weil in Ihnen längſt alles Menſchenthum
durch den Branntwein ertränkt wurde — Sie können
auch durch keine Macht der Welt dem armen Knaben
ſeine verſcherzte Ruhe zurückgeben, aber Sie ſollen be-
zahlen, was ſie geraubt haben, Sie ſollen ſelbſt leiden,
da wo Sie Wunden ſchlugen — ich ſtelle Ihnen eine
Bedingung, welche Sie eingehen müſſen, um nicht ſchon
morgen denuncirt zu werden.“
„Bedingung? — Ich habe nichts, gar nichts!“ —
ſenenne Herr v. Leisrink. „Ich kann Ihnen kein Geld
geben!“ — ö
Adolph Böhm fühlte die tiefſte bitterſte Verachtung
gegen den Elenden, deſſen Geſichtskreis nicht über das
Materielle hinausging und dem für Geld und durch Geld
Alles möglich, Alles käuflich ſchien; dennoch aber ſtieg
das Blut heiß empor in ſeine Wangen, als er der Worte
dachte, welche jetzt geſprochen werden mußten, dennoch

ſfſagte er ſich, daß er dieſen Mann unendlich viel ſchwerer

beleidigt, als jemals ein Diebſtahl an Geld oder Gut
es vermocht hätte. Abgewandten Geſichtes und unwill-
kürlich etwas ruhiger ſprechend, fuhr er fort:
„Herr v. Leisrink, ich habe — ich habe ſoeben ihre
ganze Unterredung mit jenen Schurken dort am Ufer,
Wort für Wort angehört, Sie begreifen alſo, wie ſehr
ich in der Perſon meines Bruders durch Sie gekränkt
bin, wie innig ich wünſchen muß, Sie dem Arme der
Gerechtigkeit überlieſert zu ſehen — ein einziger Umſtand
nur hält mich zurück, bis ich mit Ihnen davon geſprochen
und Ihre Entſcheidung gehört habe, ich — liebe Ihre
Frau und Valeska liebt mich!“ ö
Herr v. Leisrink lachte, daß es dem ehrliebenden
Manne durch die Seele ſchnitt. „Meinetwegen ſo viel
 
Annotationen