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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 35 - No. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

V. 38.

Samſtag, den 13. Mai

1876.

2—

— — —

Bie Gruft von Steffendorf.
Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)

Der Advokat ſelbſt dachte nicht daran, Celine ziehen
zu laſſen. Seine Theilnahme, welche in den Tagen der
Gefahr erkennbar geweſen, ſteigerte ſich bei dem alternden
Manne, ſeitdem mit Celine's neu erblühender Geſundheit
auch ein ernſter, beſonnener und dennoch heiterer Sinn
eingekehrt war. In Celine's offener, unbefangener Na-

tur, lag von je ein eigenthümlicher Reiz, der Jeden, der,

in ihre Nähe kam, anzog und feſſelte. Aber ſeit ihrer
Bekanntſchaft mit dem Johanniter war eine auffallende
Aenderung mit ihr vorgegangen. Ohne auf das Weſen
des Andern zu achten, ohne deſſen Schwächen auszukund-
ſchaften, verſtand Celine doch jede fremde Laune, ertrug
freundlich jede fremde Schwaͤche und verſtand, ſich überall
dienſtbar und hilfreich zu erweiſen. Schnell vergebend,
wo ihr Bitteres widerfahren, ſchnell die kindiſche bis zur
Aufopferung ihres Lebens geſt igerte Anhänglichkeit an
Alfred von Notrmont vergeſſend, ja verdammend —
wahrhaft geliebt hatte ſie ihn niemals — vor einer mäch-
tigen Liebe, die allmählig und immer glühender empor-
loderte, fand ſie Zeit und Geſchick, die Sorgen, welche
die Stirn des Advokaten umdüſterten, durch mildes Wort
und freundliches Walten zu zerſtreuen.
Dieſe Sorgen des Advokaten galten ſeinem Vater-
lande. Durch die Arbeiten des Berufs in früheren Jahren
mit Gambetta bekannt geworden, theilte er deſſen Be-
ſtrebungen und ſtand mit den Häuptern der neuen Be-
wegungspartei in dem innigſten, wenn auch geheimſten
Verkehr. Die Arbeiten und Gefahren der nun herein-
brechenden Tage tiefer patriotiſcher Trauer zogen tiefere
Linien in das feſte und charaktervalle Antlitz des Greiſes.
Es bedurfte des zarten Fingers der anmuthigen Celine,

um dieſe Falten zu glätten. Die Schatten der Schwer-

muth, welche aufmegen, wenn Celine des Johanniters
gedachte, zogen vorüber, wie der Schatten einer Frühlings-
wolke vor dem dahinter ſich Bahn brechenden Sonnen-
lichte, wenn es ihr gelungen war, die vor Erregung
zitternden Lippen des Alten zu einem flüchtigen Lächeln
umzuſtimmen.
Eine fieberhafte Haſt hatte ſich des alten grau-
bärtigen Mannes bemächtigt. Er war oft Tage lang
von Hauſe entfernt und ſchützte vor, daß Amisgeſchäfte
ihn zu dieſen Avweſenheiten nöthigten. War er zu Hauſe,
ſo traten Perſonen der verſchiedenſten Srände mit ihm
in Verkehr Boten gelangten an mit Briefſchaften, welche
er den Augen ſeiner Hausgenoſſen ſorgfälrig zu entziehen
bemüht war. Er arbeitete gegen ſeine ſonſtige Gewohn-
heit bis ſpät in die Nacht hinein; er hielt ſtundenlange
Unterredungen mit Leulen, deren Auftreten, deren ge-
heimes Kommen und Gehen Verdacht erwecken mußte.
Inſonderheit fiel es Celine auf, daß eines Abends
eine ſchwere Kiſte in das Haus getragen und in den
Keller mit der größten Vorſicht und Behutſamkeit nieder-
gelegt wurde. Sie ward auf einem kleinen Handwagen

von zwei Männern hereingebracht, welche Celine für Zi-
geuner hielt. Der eine dieſer Männer war von hoher
rieſiger Geſtalt, ein kleiner runder Hut bedeckte ſeine
langen auf die Schultern fallenden ſchwarzen Locken und
den kleinen runden Kopf. Sein vieldurchfurchtes ſtarres
Geſicht, von einem maͤchtigen Barte eingerahmt, flößte
Schrecken und Achtung gleichzeitig ein. Er ſchien der
Vorgeſetzte des zweiten Trägers der Kiſte zu ſein. Der
letztere war von Geſtalt kleiner, zwar ſchmächtig, aber
muskulös und behend, mit einem Ausdruck großer Ver-
ſchlagenheit in ſeinem eingefallenen und krankhaft erſchei-
nenden Geſichte. Beide Zigeuner pflogen eine ſtunden-
lange Unterredung mit Eugen Canton und entfernten
ſich erſt Nachts durch eine Hinterpforte, welche der Ad-
vokat ſelbſt ihnen öffnete, leiſe und elaſtiſchen Schritis.
Als Celine furchtſam nach der Perſon dieſer Uabekannten
forſchte, ſagte der Advokat mit finſter zuſammengezogenen
Brauen:
„Es ſind treue, zuverläſſige Männer, Kaufleute aus
Ungarn, welche eine Kiſte koſtbaren Weines vor den
gierigen Händen der Preußen in unſern Keller gerettet
haben. Doch bitte ich dich, Schweigen über das zu be-
obachten, was du wahrgenommen haſt.“
Allein Celine konnte trotz dieſer Verſicherung ihren
Argwohn, daß jene Unbekannten nicht Wein herbeigeſchafft,
daß in der Kiſte vielmehr andere gefährliche Dinge ent-
halten ſeien, nicht unterdrücken. Dieſer Argwohn ſtieg,
als am nächſten Tage dieſelbe aus den Räumen des Kellers
ſpurlos verſchwunden war.
Der Winter zog ein. Ein banger, unheilvoller
Winter für Frankreich, deſſen Schnee im Norden, im
Weſten und Süden ſich mit dem Blute der von Gam-
bitta aus dem Boden geſtampften neuen Armeen färbte,
ohne Hoffnung, ohne Troſt, voller Schmach und Nieder-
lage. Noch immer weilte Celine in Carignan. Der
Adookat war durch die tägliche Gewohnheit dergeſtalt zu
ihr hingezogen, daß er beſchloß, ſie an Kindesſtart anzu-
nehmen und ſich von ihr nie wieder zu trennen. Ein
Brief, den er nach Mareilly geſchrieben, den Geſchwiſtern
Celines von dem Aufenthalt derſelben Kenntniß gebend,
wurde von Leon Poirot kurz beantwortet. Er ſandte
das kleine Erbiheil der Schweſter und erklärte, ſie ge-
höre nicht mehr zu ſeiner Familie, ſie habe derſelben auch
niemals, ihrer ganzen Vergangenheit, ihrer Handlungs-
und Geſinnungsweiſe nach, angehört. Er verbitte ſich
in ſeinem und ſeiner Geſchwiſter Namen jede fernere Zu-
ſchrift oder gar eine perſönliche Annäherung.
Eugen Canton nahm aus dieſem Briefe Veranlaſſung,
ſeine anmuthige Pflegebefohlene zu verſichern, daß er ſie
niemals entbehren koͤnne und daß ſie das verlorene
Vaterhaus bei ihm wiedergewonnen habe. Celine wurde
von dieſem Vorſchlage überraſcht und höchlichſt gerührt.
„Ich weiß nicht, Vater Canton,“ ſagte ſie, ſeine
Hand küſſend, „wodurch ich ſo viel Güte verdiene. Aber
ich habe es verſprochen nud ein heiliges Gelübde gethan,
daß ich nach Marcilly zurückkehren will. Wenn meine
Geſchwiſter mich ſehen, werden ſie Mitleid mit mir haben
und mir verzeihen, ſo hart auch Bruder Leon in dem
 
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