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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 17 - No. 25 (1. März - 29. März)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 25.

Mittwoch, den 29. März

1876.

Iwei Tibelle.
Eine Hofgeſchichte von Georg Hiltl.
(Fortſetzung.)

„Sie haben den neuen Affront geſehen, der mir

angethan wurde,“ flüſterte die Gräfin dem Grafen Witt-
genſtein zu. „Aber ich werde Revanche haben. Sie ha-
ben doch alles bereit.“
„Gewiß. Mein Mann iſt auf dem Poſten. Die
Gedichte werden ſchnell vertheilt ſein — übrigens habe
ich ſie der Vorſicht wegen keinem Drucker übergeben.
Sie wurden von meiner Hand copirt — natürlich ver-
ſtellte ich meine Schrift.“
Der Zwiſchenfall war bald vergeſſen — man tanzte
wieder, plauderte — die Anhänger der Gräfin wagten
ſogar, ihr verſtohlen Complimente zu machen und der
König zeichnete die allgemein gefürchtete Dame ſehr aus
— alſo konnte Jedermann ihr ohne Scheu vor dem Un-
willen der Königin nahen. ö
Herr von Wenſen gab nun das Zeichen; die Ge-
ſellſchaft ſchritt in den Garten. Der König, der die
Königin führte, ſchritt voraus. Dem königlichen Paare
zur Seite gingen acht Fackelträger mit eben ſo vielen
Kammerherren. In der rechts liegenden Seitenallee wa-
ren Teppiche auf den Boden gebreitet, reiche Armſeſſel
ſtanden zur Benutzung bereit.
eine Bühne errichtet, auf welcher italieniſche Sänger und
Pantominiſten eine Vorſtellung geben ſollten, die auch
ſofort, auf Befehl des Königs, begann.

Die Zuſchauenden folgten der Handlung des Stückes

mit Aufmerkſamkeit. Das Ganze beluſtigte ſehr —
Harlequin wurde trefflich dargeſtellt. Seine Sprünge
und die Plumpheiten Pierrots erweckten lautes Gelächter
— jetzt erſcheint der Arlechino als Verfolger — dann
wird er verfolgt — Pierrot flüchtet wieder vor ihm in
ein Haus, der Harlequin will ihm nach, aber trotz aller
Anſtrengungen gelingt es ihm nicht, die Burg des Plum-
pen zu erſtürmen, er muß eine Kanone herbeiholen —
die Damen unter den Zuſchauern zittern ſchon wegen
des Kraches, da wendet Harlequin plötzlich das Rohr
gegen den Zuſchauerraum — ein Knall, ein Schrei, der
Schuß iſt gegen das Auditorium gefeuert worden und —
eine ſehr nette Ueberraſchung — ſtatt der Kugel flattern
Bouquets, Blümchen und zierliche Briefe aus der Luft
nieder, ſenken ſich auf die Zuſchauer, Jeder ſucht irgend
ein Stück der Ladung zu haſchen — allgemeiner Jubel,
der Vorhang der Bühne fällt, König und Königin erhe-
ben ſich, mit ihnen das ganze Publikum, und nun ging
es an ein Prüfen der gewonnenen Geſchoſſe aus Har-
lequins Kanone. Ein Theil derſelben beſtand in zierlich
gefalteten Blättern, welche ein Gedicht trugen. Die
Ueberſchrift deſſelben lautete: „Die Begegnung.“ Man
begann zu leſen. Plötzlich ertönte aus der Menge ein
Schrei — Alles wendete ſich um, den Schreier ausfindig
zu machen — es entſtand urplötzlich eine Bewegung, ein
Gemurmel, ein faſt ſtüͤrmiſches Drängen.

Am Ende der Allee war

Dem Könige wurde es auffällig.
Was iſt denn vorgefallen? Was ſoll dieſer trouble?“
fragte er den Geſandten der Generalſtaaten, Herrn von
Lintlo, mit dem er im Geſpräche war.
„Es iſt vielleicht dieſes Gedicht, Majeſtaͤt, welches
ſo allgemeine Bewegung hervorruft,“ ließ ſich der Graf
Wartenberg vernehmen, der gerade jetzt zum Könige trat
und mit zitternder Hand, ſeine bleichen bebenden Lippen
auf einander preſſend, dem Könige eines der aus der
Kanone geſchoſſenen Gedichte überreichte. Friedrich ergriff
haſtig das Papier und las: ö

In ihrem Luſtbezirk, gefolgt von den Getreuen,
Will Königin Amaranth ſich ihrer Blumen fieuen.
Die Sonne ſcheint ſo hell von Jovis Zelte nieder,
In allen Büſchen ſingt der Vögel Chor ihr Lieder,
Um ihr gekröntes Haupt ſchallt leis der Blätter Rauſchen,
Die Nymphen und Saiyrn, voll hoher Ehrfurcht, lauſchen
Verſteckt in Fluß und Hain und wagen nicht zu necken,
Die Görter ſorgen ſelbſt, die Fürſtin nicht zu ſchrecken.
So wandelt ſie dahin, beſchirmet und geleitet
Von unſichtbarer Schaar — die ihr den Weg bereitet,
Indem ſie Alles ſcheucht, was in der Luft, auf Erden
Der ſchönen Königin mißfällig könnte werden.
Schon plätſchern ſilberhell vor ihr des Fluſſes Wogen
Und über ſeine Fluth wölbt ſich der Brücke Bogen,
Der Königin zarter Fuß betritt ſchon dieſe Brücke,
Da führt ein Dämon ihr — in ſeiner argen Tücke,
Die dreiſte Gräfin her — die Flavia genennet,
Und deren ſchlimmen Sinn die Königin wohl kennet;
Darob der Flavia auch der Befehl gegeben:
Von ihrer Königin ſich ſtets hinweg zu heben.
Doch Flavia iſt keck — frech, wie in allen Dingen,
Weiß ſie den Eingang zum Garten zu erzwingen.
Sie tritt, Harpyen gleich, mit dreiſtem Siegesblicke
Der Königin ganz nah — und ſperret ihr die Brücke.
Sie wankt und weichet nicht — bis aus der Fürſtin Munde
Ein Machtgebot erſchallt, und zu derſelben Stunde
Ein Ritter aus der Schaar, die Amaranth' umringet,
Die freche Flavia zum ſchnellen Abzug zwinget.
Beſchämt entweichet ſie und muß zuletzt noch hören:
Wie alle Treuen ſich im ganzen Land empören.
Denn dieſes iſt gewiß: der hohen Fürſtin Schmerzen,
Sie theilet alle Welt mit tiefgetreuem Herzen
Der Gatte Amaranth's, der König, hört die Klagen —
Mit Bitten drängt man ihn: die Flavia fortzujagen.

Des Königs Antlitz röthete der Zorn. Er ſah aller
Blicke auf ſich gerichtet. Das Blatt enthielt eine Schil-
derung des Vorfalles im Parke — es war lediglich
darauf berechnet, der Graͤfin einen Scandal zu bereiten
und der König bedurfte nur einer kurzen Muſterung der
Geſellſchaft, um zu erkennen, daß dieſer Zweck vollkommen
erreicht war, denn die Gräfin befand ſich einem Kreuz-
feuer von hämiſchen Blicken und ſelbſt leicht hingeworfenen
ſpöttiſchen Bemerkungen ausgeſetzt, die ganze Stimmung
nahm einen faſt drohenden Character an. In dieſer Lage
faßte ſich der König, mit der ihm eigenen Sicherheit,
ſehr bald. ö
„Ein alberner Scherz, eine ſchlechte turlupinade,“
ſagte er, das Blatt dem Grafen Wartenberg hinreichend,
der ſtumm vor Zorn, mühſam nach Faſſung rang. End-
lich flüſterte er dem Könige zu:
WMaijeſtät, ſoll dieſer Affront auf Dero treuem
Diener ſitzen bleiben?“
 
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