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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 96 - No. 104 (2. December - 30. December)
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Heidelberger Familienblätter.

Beletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitunh.

M96.

Samſtag, den 2. Decenber

VBaleskkckkkk.
Novelle von S. v. d. Horſt. ö
Gortſetzung)

Sie ſah ihn erſtaunt mit erwachendem Mißtrauen
an und ſuchte zu erfahren, was ſeine Worte bedeuten

könnten, aber der Lieutenant ließ ſich auf nichts ein,

ſondern blieb nur bei dem, was er geſagt. Als Valeska
weiter forſchte, wurde er wie gewöhnlich grob, ſo daß ſie
ſehr bald ſchwieg — dennoch blieb ihr ſeine Mahnung
im Gedächtniß und beunruhigte ſie mehr, als ſie ſich
ſelbſt eingeſtehen wollte. ö ö 11111
Adolph merkte mit dem Scharfblick des Verliebten,
daß irgend etwas Valeska beſonders verſtimmte und hatte
ſehr bald das kleine Ereigniß herausgelockt.

Auch er dachte augendlicklich daſſelbe, was vorher

der jungen Frau eingefallen war, nämlich an eine mög-
liche Gemeinichaft zwiſchen dem Lieutenant und den Ge-
noſſen Georg's — aber ſeine Züge verriethen keinen

derartigen Argwohn, ſondern zeigten nur das ruhige
zärtliche Lächeln, welches ihnen eigen ſchien, ſobald er mit

Valeska ſprach. **
„Beruhigen Sie ſich, gnädige Frau,“ bat er, „das
ſind leere Worte geweſen, oder es haben ſich dieſelben auf
ein Nichts, eine unbedeutende Kleinigkeit bezogen. Im

ſchlimmſten Falle aber — würden Sie doch ſchwerlich
von mir eine Beleidigung oder irgend welche Kräͤnkung

erwarten?“ ö

Valesta lächelte durch Thränen, ſo ganz unmöglich
„Nein, ach nein, das iſt es nicht!“

ſchien dieſer Fall.
flüſterte ſie.

Er verſtand ſehr wohl, was ſie meinte, aber dennoch

blieb er anſcheinend ahnungslos.
„Vergeſſen Sie das, ich bitte Sie!“ ſagte er mit
zärtlichem Tone, ihre kleine Hand an die Lippen drückend.
„Sollte ich, der ich Ihnen ſo aufrichtig ergeben bin, noch
dazu beitragen, Ihren Kummer zu vergrößern?“
„Aber — aber,“ ſchluchzte Valeska, überwältigt, wie
das gewöhnlich zu geſchehen pflegt, von dem Ton ſeines
freundlichen Bittens, „woher nimmt mein Mann das
viele Geid? Wo hält er ſich Tag und Nacht auf? —
Was, ach mein Gott, was wird von allem dieſen das
Ende ſein???
Sie lehnte den Kopf gegen das Seitenpolſter des
Sopha's und weinte unaufhaltſam. Das war aber ein
Anblick, den unſer junger Freund nicht ertragen konnte
und der ihn zu einer unbedachten Handlung hinriß. Er

tand au ſich neben die junge ihr 0
ſgönen Kontele ſig neben die junge Dame und gog ihren gen — er ſoll nicht an mich zurückdenken, wie an eine

ſchönen Kopf mit beiden Händen an ſeine Bruſt.

— So weh wollen Sie mir thun 2“

„Baleska,“ fläſterte er, „Thränen um meinetmillen?

„Ach-Gott — hätten Sie mich ſterben laſſen!“ bre N
maeſtü * ra
ſich ungeſtüm der Schmerz in lauten Worten Bahn. —
„Was ſoll ich noch mit dem Leben, in welchem nur Schande

meiner harret 7

„Und das ſagen Sie mir?“ antwortete er mit trau-
rigem Tone. „Ich gelte Ihnen alſo nichts, gar nichts,
Valcska?“ — — ö
Sie ſagte nichts, aber vielleicht barg ſie unbewußt,
ohne es zu wollen, im bitterſten Empfinden ihrer Ver-
laſſenheit das Geſicht etwas feſter an der Bruſt des Ein-
zigen, zu dem ſie offen ſprechen konnte, ja, der überhaupt
für ſie einen freundlichen und theilnehmenden Gedanken
hatte — aber gerade dies Schweigen war eine viel ge-
fährlichere Antwort, als es eine unbefangene Verſicherung
jemals hätte ſein können. ö ö ö
Das Herz des jungen Mannes klopfte zum Zer-
ſpringen, als er ſo die ſchöne Frau in den Armen hielt
und es deutlich — ach nur zu deutlich erkannte — daß
er die Herrſchaft über das eigene Empfinden längſt ver-
loren. Seine Finger bebten leiſe und nur mit Mühe
überwand er ſich, nicht durch zärtliches Flüſtern dieſe
Stille zu unterbrechen. ᷓ
Valeska fand ſich zuerſt wieder. Sie ſchob langſam
ſeinen Arm zurück und ſtand auf, um ihn nicht anſehen
zu müͤſſen, während ſie ſprach. „Wir wollen dieſen un-
glöcklichen Zwiſchenfall vergeſſen, Herr Böhm,“ ſagte ſie
endlich, „mein Geſchick muß ſich erfüllen, ſei es ſo oder

ſo — ich bin auf das Aergſte gefaßt.“

Er ſeufzte und blieb den ganzen Abend einſilbig.
Von dem, was er hätte ſagen können, hielt ihn die Furcht,‚
ein Unrecht zu begehen, jetzt noch zurück — aber der
Schleier, welcher ihm bisher das eigentliche Weſen ſeines
Intereſſes für Valeska mehr oder minder verhüllt hatte,
dieſer Schleier war jetzt gefallen.
Adolph Böhm wanderte bis in die ſinkende Nacht

hinein vor den Thoren der Stadt herum, weil er ge-

waltſam in ſich die ſtürmiſchen Wünſche erſticken wollte,
welche er dem eigenen Bewußtſein nicht mehr zu leugnen

vermochte. Wo wäre aber der Menſch, deſſen Wille über

die erwachende Leidenſchaft bei Zeiten geſiegt hätte?
Wer ſich ganz rein weiß, der werfe den erſten Stein!
Nach dieſem Abend wurde das Verhältniß zwiſchen
den beiden jungen Leuten ein anſcheinend kühleres, ge-
zwungeneres; ſie ſprachen über fernliegende gleichgültige
Dinge und vermieden faſt ängſtlich irgend eine zufällige
Beziehung auf eigene Angelegenheiten; geſungen und ge-
ſpielt ward nie mehr.

Auch Valeska hatte ſich in einſamer Stunde geſagt,
was ſo lange ſchon ihre Seele ausſchließlich in Anſpruch
nahm, hatte dem Begriffe „Liebe“ jetzt voll in's Auge
geſehen und mit einem Schauder ohne Gleichen dem neuen
Verhängniß kampflos nachgegeben.
„So werde ich denn hoffentlich ſterben, wenn es
geht!“ dachte ſie, „aber bis dahin will ich's ihm verber-

Frau ohne allen moraliſchen Muth, an eine, die erſt
Selbſtmörderin werden wollte und dann eines anderen

Mannes Geliebte — o Gott, nein ——
Dieſem Gedanken aber folgte die Frage: „Liebt er
mich überhaupt? Wird er je ein Wort ſprechen, auf
welches ich durch das Geſtändniß meiner Thorheit ant-

worten könnte 27
 
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