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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 61 - No. 69 (2. August - 30. August)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 62.

Samſtag, den 5. Auguſt

1876.

Berborgene Aualen.
Novelle von F. L. Reimar.
(Fortſetzung.)

„Jetzt aber einmal Rede und Antwort für meine
und Hedwig's Neugier!“ rief Thekla lebhaft aus, „wer
iſt Silkenitz und welchem Liebeskummer iſt er unterlegen?“
Hedwig war ſchon beim Beginn des Geſprächs von
ihrem Platz aufgeſtanden und an den im Hintergrund
des Zimmers befindlichen Theetiſch getreten, ſo daß Stern,
der von den peinlichſten Empfindungen bewegt war, ihr
Geſicht nicht hätte ſehen können, auch wenn er den Muth
gehabt hätte, nach ihr zu blicken. ö
„Wer Silkenitz iſt?“ fragte Herr von Fergent
warm, „einer der edelſten, liebenswürdigſten Menſchen,
die zu finden ſind, der nur den einen Fehler hatte, daß
er zu beſcheiden auftrat, ſo daß viele gar nicht wußten,
was er werth war, während er ſich doch jede Zurück-
ſetzung zu Herzen nahm, wie ein ſchüchternes Kind. Und
noch mehr hat er ſich dann zu Herzen genommen, als
ein Mädchen, das er leidenſchaftlich liebte — ſie ſoll
ſchön und geiſtreich geweſen ſein — ein arges Spiel mit
ihm getrieben, ihn erſt, wie man ſagt, entſchieden ange-
lockt, um ihn nachher, als er ſich der Erfüllung ſeiner
heißeſten Wünſche nahe glaubte, grauſam zurückzuſtoßen.
Die Enttäuſchung, die Verzweiflung hat dann den Un-
glücklichen wahnſinnig gemacht.“.
Stern hörte hinter ſich die Taſſen, mit denen Hed-
wig beſchäftigt war, zuſammenklirren, als ob ſie von
bebenden Händen berührt würden. Er ſelbſt hatte alle
Kraft zuſammenzunehmen, um ruhig antworten zu können:
„Ohne hier weiter auf die Sache einzugehen, deren
blos äußerer Hergang ſo ſein mag, wie Sie ihn geſchildert
haben — will ich nur ſagen, daß ſeine Freunde zu weit
gehen, wenn ſie behaupten, er würde ohne ſein Verhält-
niß zu jener Dame nie krank geworden ſein. Ich habe
als Arzt die Ueberzeugung gewonnen, daß die Keime zu
ſeinem traurigen Leiden immer in ihm gelegen haben;
und wenn ſie ſich auch möglicherweiſe unter glücklicheren
Umſtänden nicht entwickelt hätten, ſo iſt doch ſicher, daß
jede andere Erſchütterung, mochte ſie kommen, auf welche
Art ſie wollte, dieſelben Folgen hätte haben können.“
„Nun laſſen wir einmal das Aerztliche ?“ rief
Thekla in vollem Eifer. „Was iſt aus jener Dame ge-
worden, weiß man ihren Namen?“
„Sie ſoll hernach unglücklich geworden, wenigſtens
von glänzenden Verhältniſſen herabgekommen ſein,“ ſagte
der Bruder — „ich glaube ſogar, daß die Familie von
Schande betroffen worden iſt, und ſo möchte es aller-
dings kein Segen für Silkenitz geweſen ſein, wenn er
ihre Hand erlangt hätte.“
„Wohl, meine Sympathieen hat ſie nicht,“ entſchied
Thekla kurz, „aber Silkenitz — er iſt immer noch ſchwer-
müthig, ſagſt Du, Egbert?“
„Nun zur Schwermuth hat wohl eigentlich deine
Phantaſie den leidenden Ausdruck, von dem ich ſprach,

geſtempelt,“ meinte der Bruder lächelnd, „wie ihr Frauen
es denn nun einmal liebt, in eurem Mitleid zu ſchwelgen.
Er erſchien mir wie ein vom Sturm geſchüttelter und
verwüſteter Baum, der im Begriffe iſt, ſich wieder auf-
zurichten — weiter kann ich nichts ſagen.“
„Nun denn aber doch noch melancholiſch,“ beharrte
Thekla. —
„Bewahre ihm jedenfalls dein Intereſſe,“ ſagte von
Fergent, denn natürlich wird er bald unſer Gaſt ſein;
ich habe ſein Verſprechen, daß er in nächſter Zeit zu
uns kommen will.“
„Gut, dann überlaſſe nur mir und Hedwig die
Sorge für ihn,“ rief die junge Frau eifrig, „ich denke,
es wird uns beide gleich ſehr reizen, durch Freundlichkeit
und Theilnahme das Uebel zu lindern, was ihm eine
unſeres eigenen Geſchlechts zugefügt hat.“
Noch vor den letzten Worten des Geſprächs hatte
Hedwig das Zimmer leiſe verlaſſen und für Stern war
es eine Erleichterung, als er ihre Abweſenheit bemerkte,
es hatte zu viel des Peinlichen in jener Unterhaltung
gelegen! Er ſah ſie auch nicht wieder, bevor er ſeinen
Abſchied nahm. —
Es dämmerte bereits, als er ſein Pferd beſtieg, und
zugleich war das Wetter regneriſch geworden, ſo daß er
Herr von Fergent, der dem Gaſt das Geleit gegeben
hatte, ſelbſt davon abhielt, ihm über das Portal hinaus
zu folgen. — Als er dann um das Wirthſchaftsgebäude
bog, trat ihm an einer Ecke derſelben eine verhüllte Ge-
ſtalt entgegen, die hier auf ihn gewartet haben mußte.
Indem ſie das regendurchnäßte Tuch halb von ihrem
Kopf zurückſchlug, erkannte er Hedwig und zugleich traf
ihre Stimme, flüſternd zwar, aber doch mit ſcharfem
Accent ſein Ohr. ö
„Sie haben mir einſt Ihre Dienſte verſprochen,
Herr Doctor Stern,“ ſagte ſie: „jetzt bitte ich Sie um
Ihren Beiſtand, hindern Sie es, daß Silkenitz hierher
kommt!“ ö ö
„Ich war dazu entſchloſſen,“ entgegnete er raſch und
erregt, „und ſann nur über die Mittel nach, aber es
wird ſich finden — mein Wort darauf, daß Sie ſich
ſicher fühlen dürfen!“
„So bin ich ruhig — ich danke Ihnen!“ ſagte ſie,

und mit einer flüchtig grüßenden Bewegung des Hauptes

wandte ſie ſich zum Gehen.
Während ſeines ganzen Rittes mußte Stern an die
erlebte Scene denken, — es war das erſtemal, daß Hed-
wig aus ihrer nahezu feindlichen Haltung herausgetreten
war, daß ſie ihm wie Entgegenkommen gezeigt hatte, und
ihm war, als habe ſich damit ein Alp von ſeiner Bruſt
gewälzt. Sein ganzer Drang aber war darauf gerichtet,
dem ſchönen Mädchen jenen Dienſt zu leiſten, den ſie
forderte, und überdies, daß ſie Silkenitz nicht begegnen
durfte, ſtand feſt: es galt nicht blos ihr Geheimniß, es
galt auch, dem unglücklichen Freunde ſelbſt die bitterſten
Gefühle zu erſparen.
Der nächſte Gang nach ſeiner Rückkehr war zu
Silkenitz, der ſeine Adreſſe in Stern's Wohnung zurück-
gelaſſen hatte, ſelbſt aber verſchiedene Male wieder in
 
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