Heidelberger Familienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
Mittwoch, den 14. Juni
1876.
Bie Gruft von Steffendorf.
Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)
Von Schauder erfüllt über das, was Franneck ihr
auvertraut, zweifelte Celine keinen Augenblick, daß ſie
das dem Stamme abgelegte Gelübde brechen müſſe. Es
zu halten, wäre Frevel an Gott und den Menſchen ge-
weſen. —
Dennoch nöthigte die Mittheilung Franneck's mit
zwingender Gewalt das verrathene Mädchen, die Aus-
führung dieſes feſten Entſchluſſes zu vertagen und auf
ein Wiederſehen des in Steffendorf aufgefundenen Freun-
des zu verzichten. Die eigene Wohlfahrt dieſes Freundes
ſtand auf dem Spiel. Die Pflicht der Dankbarkeit ge-
gen denſelben zwang Celine noch einmal zurück in ihre
bisherigen verabſchenungswürdigen Umgebungen. Dies
erforderte ihren ganzen Muth. Sie ſelbſt weihte ſich
durch den Bruch ihres Gelöbniſſes der unfehlbaren Rache
des entſetzlichen Loſa Georgewitſch — dem ſichern Unter-
gange. Aber Felix' Schickſal verlangte dieſes Opfer.
Sie war dazu bereit und hoffte, durch daſſelbe ihre eigene
Schuld zu ſühnen.
Felix hatte während dieſer Auseinanderſetzungen
Celines den von ihr übergebenen Ring genau unterſucht.
„Kein Zweifel,“ ſagte er, „es iſt derſelbe, welchen ich
auf dem Schlachtfeld von Sedan dem gefallenen Lieutenant
von Noirmont abzog, und den ich vergeblich ſeinen An-
gehörigen ſpäterhin zuzuſtellen unternahm. Ich gab ihn,
nachdem dieſe Verſuche ſich als erfolglos erwieſen, dem
Grafen Bernhard in Verwahrung, der ihn zu ſeinen
übrigen Koſtbarkeiten, namentlich dem jetzt vermißten
Juwelenſchmuck der Tante Irene legte.“
„Mit dieſen Juwelen iſt er,“ fuhr Celine fort,
»durch verruchte Hand geraubt und als Beuteantheil an
Franneck gediehen. Ihr verſtorbener Oheim, Graf Bern-
hard ſoll ein eigenthümlicher und zu manchen Sonder-
barkeiten hinneigender Mann geweſen ſein. Er hielt
ſeine Schätze in dem im Schloſſe ſtehenden feuerfeſten
Schranke nicht ſicher genug aufbewahrt und, da ihm bei-
fallen mochte, daß ſie von der Gräfin Irene herrührten
und er dieſelben auch nach deren Tode unter ihrer Ob-
hut vollkommener geſichert glauben mochte, ſo verfiel er-
auf den, eines Sonderlings würdigen Gedanken, dieſel-
ben in dem Erbbegräbniſſe, und zwar unter dem Sarge
Ihrer Tante Irene ſelbſt zu verbergen. Seine häufigen
Gänge dorthin, ſein Verweilen in der Gruft erregten,
ſo erzählte Franneck mir, ſehr bald die Aufmerkſamkeit
der Dienerſchaft. Man beobachtete den alten Herru, man
ſchlich ihm nach und konnte lange nichts entdecken, bis
endlich ein junger Reitknecht, welcher durch die Oeffnungen
an der nach dem Felde belegenen Mauer hindurchlugte,
der Wahrheit auf die Spur kam. ö
Felix Vitus richtete ſich bei dieſen Worten mit ge-
ſpannteſter Aufmerkſamkeit hoch auf.
„So ſollte wirklich der unglückliche Franz,“ rief er,
„nicht im Irrſinn, ſondern weil er ſchuldbeladen, die
Hand an ſein eigenes Leben gelegt haben! Mein Gott,
wir haͤtten das niemals geglaubt.“
„Weniger Schuld, als Reue über eine begangene
Unbeſonnenheit tödtete Jenen,“ berichtete Celine weiter.
„Um Loſa's Perſon wittert ein Gifthauch, der Alles,
was in ſeine Nähe kommt, vernichtet. Der Diener des
Grafen ſoll mit ſeiner Werbung um ein junges Mädchen
von dem Vater des letzteren dort zurück- und auf ſeine
gänzliche Armuth hinverwieſen worden ſein. Während
ſeiner Anweſenheit in der Kreisſtadt hatte der Menſch
aus Gram und Aerger ſich einen Rauſch geholt. In
dieſem trunkenen Zuſtande klagte er über ſein elendes
Schickſal und ſeine Armuth gegen einen fremden, ihm
am Wirthstiſch gegenüber ſitzenden Mann mit dem Be-
merken: Andere wühlten in ihren Schätzen und wüßten
nicht, was ſie damit beginnen ſollten; ſie vergrüben die-
ſelben in die Erde; er kenne ſogar Jemand, der ſie ſeinen
todten Verwandten in den Sarg legte. Der, an welchen
dieſe Klagen ſich richteten, war Loſa Georgewitſch. Er
ließ dem angetrunkenen Diener noch mehr Wein reichen.
So gelang es Loſa's Argliſt ſehr bald, Alles dasjenige
herauszulocken, was Jener mit Späheraugen in der gräf-
lichen Gruft erlauſcht. Das Weitere erforſchte Loſa
Georgewitſch ſelbſt ohne Mühe an Ort und Stelle, em-
pfahl dem jungen Diener tiefſte Verſchwiegenheit und
ſtellte ihm reiche Belohnung in Ausſicht. Dann iſt Loſa
Georgewitſch ſelbſt in einer regneriſchen Nacht in das
gräfliche Grabgewölbe eingebrochen. Sein Gefährte war
ein Zigeuner, welcher auf Jahrmärkten nach den Klängen
ſeiner Fidel einen gezähmten Bären tanzen läßt, der ſich
durch Liſt und Verſchlagenheit von allen Uebrigen aus-
zeichnet. Er nahm ſein Thier mit an Ort und Stelle,
um gegen etwaige Ueberraſchung durch daſſelbe abzu-
ſchrecken, wie denn die ſunkelnden Augen einen jungen
Burſchen, den ſein nächtlicher Weg über den Kirchhof
führte, dermaßen in Furcht jagten, daß er mit den Wor-
ten, der Gottſeibeiuns wühle in den Gräbern! eiligſt die
Flucht ergriff. Der Name dieſes zweiten Räubers iſt
Stoyan Kaſolka.“
„Sie fanden mehr, als ſie hofften. In ihre räu-
beriſchen Finger fielen Gold- und Schmuckſachen, Juwelen
und gemünztes Geld in ſo reicher Fülle, daß der größte
Theil der Koſtbarkeiten auf dem Friedhofe in einer ge-
heimen Ecke verſteckt vorläufig zurückgelaſſen werden
mußte. Um dieſen vergrabenen Schatz zu heben und um
auszuſpähen, wohin der Verdacht der Unthat ſich lenke,
damit die Verbrecher ihre weiteren Schritte danach be-
meſſen könnten, wurde Franneck angewieſen, nach drei
Tagen in Steffendorf einzutreffen. Bei der damals im
Dorfe herrſchenden allgemeinen Aufregung und weil der
Kirchhof auch bei Nachtzeit unter Wache geſtellt war,
gelang es ihm nicht, den eingeſcharrten Raub in Sicher-
heit zu bringen. Den Ring Alfreds hatte ihm Loſa
ſchon am Tage zuvor bei einem nochmaligen Zuſammen-
treffen als vorläufigen Lohn behandigt, er war unter
denjenigen Sachen, welche die Zigeuner mit ſich fort-
geſchleppt, befindlich geweſen.“
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
Mittwoch, den 14. Juni
1876.
Bie Gruft von Steffendorf.
Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)
Von Schauder erfüllt über das, was Franneck ihr
auvertraut, zweifelte Celine keinen Augenblick, daß ſie
das dem Stamme abgelegte Gelübde brechen müſſe. Es
zu halten, wäre Frevel an Gott und den Menſchen ge-
weſen. —
Dennoch nöthigte die Mittheilung Franneck's mit
zwingender Gewalt das verrathene Mädchen, die Aus-
führung dieſes feſten Entſchluſſes zu vertagen und auf
ein Wiederſehen des in Steffendorf aufgefundenen Freun-
des zu verzichten. Die eigene Wohlfahrt dieſes Freundes
ſtand auf dem Spiel. Die Pflicht der Dankbarkeit ge-
gen denſelben zwang Celine noch einmal zurück in ihre
bisherigen verabſchenungswürdigen Umgebungen. Dies
erforderte ihren ganzen Muth. Sie ſelbſt weihte ſich
durch den Bruch ihres Gelöbniſſes der unfehlbaren Rache
des entſetzlichen Loſa Georgewitſch — dem ſichern Unter-
gange. Aber Felix' Schickſal verlangte dieſes Opfer.
Sie war dazu bereit und hoffte, durch daſſelbe ihre eigene
Schuld zu ſühnen.
Felix hatte während dieſer Auseinanderſetzungen
Celines den von ihr übergebenen Ring genau unterſucht.
„Kein Zweifel,“ ſagte er, „es iſt derſelbe, welchen ich
auf dem Schlachtfeld von Sedan dem gefallenen Lieutenant
von Noirmont abzog, und den ich vergeblich ſeinen An-
gehörigen ſpäterhin zuzuſtellen unternahm. Ich gab ihn,
nachdem dieſe Verſuche ſich als erfolglos erwieſen, dem
Grafen Bernhard in Verwahrung, der ihn zu ſeinen
übrigen Koſtbarkeiten, namentlich dem jetzt vermißten
Juwelenſchmuck der Tante Irene legte.“
„Mit dieſen Juwelen iſt er,“ fuhr Celine fort,
»durch verruchte Hand geraubt und als Beuteantheil an
Franneck gediehen. Ihr verſtorbener Oheim, Graf Bern-
hard ſoll ein eigenthümlicher und zu manchen Sonder-
barkeiten hinneigender Mann geweſen ſein. Er hielt
ſeine Schätze in dem im Schloſſe ſtehenden feuerfeſten
Schranke nicht ſicher genug aufbewahrt und, da ihm bei-
fallen mochte, daß ſie von der Gräfin Irene herrührten
und er dieſelben auch nach deren Tode unter ihrer Ob-
hut vollkommener geſichert glauben mochte, ſo verfiel er-
auf den, eines Sonderlings würdigen Gedanken, dieſel-
ben in dem Erbbegräbniſſe, und zwar unter dem Sarge
Ihrer Tante Irene ſelbſt zu verbergen. Seine häufigen
Gänge dorthin, ſein Verweilen in der Gruft erregten,
ſo erzählte Franneck mir, ſehr bald die Aufmerkſamkeit
der Dienerſchaft. Man beobachtete den alten Herru, man
ſchlich ihm nach und konnte lange nichts entdecken, bis
endlich ein junger Reitknecht, welcher durch die Oeffnungen
an der nach dem Felde belegenen Mauer hindurchlugte,
der Wahrheit auf die Spur kam. ö
Felix Vitus richtete ſich bei dieſen Worten mit ge-
ſpannteſter Aufmerkſamkeit hoch auf.
„So ſollte wirklich der unglückliche Franz,“ rief er,
„nicht im Irrſinn, ſondern weil er ſchuldbeladen, die
Hand an ſein eigenes Leben gelegt haben! Mein Gott,
wir haͤtten das niemals geglaubt.“
„Weniger Schuld, als Reue über eine begangene
Unbeſonnenheit tödtete Jenen,“ berichtete Celine weiter.
„Um Loſa's Perſon wittert ein Gifthauch, der Alles,
was in ſeine Nähe kommt, vernichtet. Der Diener des
Grafen ſoll mit ſeiner Werbung um ein junges Mädchen
von dem Vater des letzteren dort zurück- und auf ſeine
gänzliche Armuth hinverwieſen worden ſein. Während
ſeiner Anweſenheit in der Kreisſtadt hatte der Menſch
aus Gram und Aerger ſich einen Rauſch geholt. In
dieſem trunkenen Zuſtande klagte er über ſein elendes
Schickſal und ſeine Armuth gegen einen fremden, ihm
am Wirthstiſch gegenüber ſitzenden Mann mit dem Be-
merken: Andere wühlten in ihren Schätzen und wüßten
nicht, was ſie damit beginnen ſollten; ſie vergrüben die-
ſelben in die Erde; er kenne ſogar Jemand, der ſie ſeinen
todten Verwandten in den Sarg legte. Der, an welchen
dieſe Klagen ſich richteten, war Loſa Georgewitſch. Er
ließ dem angetrunkenen Diener noch mehr Wein reichen.
So gelang es Loſa's Argliſt ſehr bald, Alles dasjenige
herauszulocken, was Jener mit Späheraugen in der gräf-
lichen Gruft erlauſcht. Das Weitere erforſchte Loſa
Georgewitſch ſelbſt ohne Mühe an Ort und Stelle, em-
pfahl dem jungen Diener tiefſte Verſchwiegenheit und
ſtellte ihm reiche Belohnung in Ausſicht. Dann iſt Loſa
Georgewitſch ſelbſt in einer regneriſchen Nacht in das
gräfliche Grabgewölbe eingebrochen. Sein Gefährte war
ein Zigeuner, welcher auf Jahrmärkten nach den Klängen
ſeiner Fidel einen gezähmten Bären tanzen läßt, der ſich
durch Liſt und Verſchlagenheit von allen Uebrigen aus-
zeichnet. Er nahm ſein Thier mit an Ort und Stelle,
um gegen etwaige Ueberraſchung durch daſſelbe abzu-
ſchrecken, wie denn die ſunkelnden Augen einen jungen
Burſchen, den ſein nächtlicher Weg über den Kirchhof
führte, dermaßen in Furcht jagten, daß er mit den Wor-
ten, der Gottſeibeiuns wühle in den Gräbern! eiligſt die
Flucht ergriff. Der Name dieſes zweiten Räubers iſt
Stoyan Kaſolka.“
„Sie fanden mehr, als ſie hofften. In ihre räu-
beriſchen Finger fielen Gold- und Schmuckſachen, Juwelen
und gemünztes Geld in ſo reicher Fülle, daß der größte
Theil der Koſtbarkeiten auf dem Friedhofe in einer ge-
heimen Ecke verſteckt vorläufig zurückgelaſſen werden
mußte. Um dieſen vergrabenen Schatz zu heben und um
auszuſpähen, wohin der Verdacht der Unthat ſich lenke,
damit die Verbrecher ihre weiteren Schritte danach be-
meſſen könnten, wurde Franneck angewieſen, nach drei
Tagen in Steffendorf einzutreffen. Bei der damals im
Dorfe herrſchenden allgemeinen Aufregung und weil der
Kirchhof auch bei Nachtzeit unter Wache geſtellt war,
gelang es ihm nicht, den eingeſcharrten Raub in Sicher-
heit zu bringen. Den Ring Alfreds hatte ihm Loſa
ſchon am Tage zuvor bei einem nochmaligen Zuſammen-
treffen als vorläufigen Lohn behandigt, er war unter
denjenigen Sachen, welche die Zigeuner mit ſich fort-
geſchleppt, befindlich geweſen.“