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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 87 - No. 95 (1. November - 29. November)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

V 92.

Samſtag, den 18. November

1876.

Baleska.
Novelle von S. v. d. Horſt.
(Jortſetzung.)

Sie lächelte freundlich ihrem Gaſte zu, ohne im
Augenblick ſprechen zu können. Der Ausdruck ſeiner
Augen war der zunehmenden Dunkelheit wegen nicht
mehr kenntlich, aber er ſtreichelte gutmüthig ihre kleine
Hand. „Ich kann mir jetzt Alles erklären,“ dachte er,
„der. Bär von einem Mann kommt ſinnlos betrunken nach
Hauſe, wo ihn ein ſolches Weib erwartet! Wahrlich,
ich kann begreifen, daß ihr der Grund des Waſſers lie-
ber iſt, als ſeine Naͤhe.“

„Gnädige Frau, ſingen Sie auch die Schabert'ſchen
Compoſitionen?“ fragte er, um das peinliche Thema ab-

zubrechen. „Trockene Blumen zum Beiſpiel? — Ich
liebe dieſes kleine Lied ganz beſonders.“

Valeska ergriff begierig die Gelegenheit, ihm den

Rücken zukehren zu dürfen und nicht mehr über jenen
Abend ſprechen zu müſſen.

„Ich theile Ihren Geſchmack, Herr Böhm!“ antwor-

tete ſie, „die Schubert'ſchen Sachen ſind mir ſo geläufig,

daß ich ſie ohne Noten ſpiele!“

„Ach, gnädige Frau,“ rief mit ungekünſtelter Freude ö

der junge Mann, „daraus verſtehe ich unbeſcheidener
Weiſe, daß Sie mir mein Lieblingslied vorſingen wollen.

Ich bin durch und durch Muſik⸗Enthuſiaſt, müſſen Sie

wiſſen, und Ihre Stimme iſt ein wahrer Hochgenuß!“

Valeska erröthete wieder. Wie oft hatte ihr Mann.

geſagt: „Laß doch das fatale Klimpern, wer mag denn
alle Augenblicke dieſen oder jenen Dichter⸗Schnickſchnack
anhören, und nun gar die lauten Töne! ——
„Soll ich die Lampe anzünden, gnädige Frau?“

„„Nein, ich danke, es geht ſo ganz gut!“ antwortete
die junge Tame, der zwar nicht nach einem Vortrage zu

Muthe war, die aber noch viel weniger dem Fremden
bei hellem Lichte gegenüberſitzen wollte. „Ich habe Text
und Melodie im Kopf.“ ö

Sie ſetzte ſich an's Piano und begann zu präludiren.

Das feine Profil ihres Geſichtes, die elegante Schönheit
ihres Wuchſes traten deutlich und ſcharf begrenzt durch
das ſchwindende Tageslicht hervor, der Wind ſpielte mit

den ſchwarzen Schleifen in ihrem Haar und brachte er-
Valeska,

friſchende Kühlung in das ſchwüle Zimmer.
die früher häufig größere Geſellſchaften mit ihrem Geſang

entzückt hatte und in dieſer Beziehung keine Befangenheit —.
ö „Ihr Blümlein alle“ — während
der lauſchende Zuhörer nicht allein ſeine Ohren, ſondern
auch ſeine Augen nach Herzensluſt ſchwelgen ließ. „Ein
„dieſer kleine Kopf iſt
Ding, wie bedauere ich

kannte, intonirte das

prachtvolles Weib!“ dachte er,
vollendet ſchön! — Du armes
bich!“

Er horchte entzückt ihrem Geſange und bat ſie, an-
ſtatt zu danken, mik ſtürmiſcher Natürlichkeit, ihm je zu-

weilen wieder ein derartiges Stündchen zu geſtatten. —

Böhm,“ antwortete Valeska.

„Wer auf ſich allein angewieſen, ohne Familie daſteht,
für den iſt es gar zu einſam an den Sonntagen!“ ſagte
er. „Wenn Sie nicht ausgehen, gnädige Frau, darf ich
dann gelegentlich meinen Beſuch wiederholen?“ ö
„Kommen Sie ſo oft es Ihnen angenehm iſt, Herr
„Ich gehe niemals aus!“
ö „So, ſind Sie immer allein, die ganzen Tage, das
ganze Jahr?“ ö
„Immer — immer!“ ö
Er küßte wieder die kleine Hand. „Uns hat das
Schickſal ſeltſam zuſammengeführt, gnädige Frau,“ flüſterte
er. „Wir wollen gute Freunde werden; auch ich habe
auf Erden kein näheres Band, ſeit meine Mutter ge-
ſtorben und mein jüngerer Bruder ganz vom rechten
Wege abkam. Ich möchte Ihnen ein trauriges Geheim-
niß anvertrauen, den Grund meines Aufenthaltes hier
in Lübeck ö
ö Valeska unterbrach mit ſchneller Handbewegung ſeine
Rede. Sie verſtand das Zartgefühl des jungen Mannes
und ſah deutlich, daß er ihr für unverbrüchliches Schwei-
gen ſeinerſeits ein Unterpfand geben wollte.
„Das ſollen Sie mir auch erzählen, gewiß, Herr
Böhm, aber nicht jetzt!“ rief ſie. „Ja, einen Freund,
einen aufrichten Freund habe ich lange vom Schickſal
erfleht.“ 5
„Und nun gefunden!“ antwortete der junge Mann.
„Ach, nur wer ganz ohne die Geſellſchaft gebildeter
Frauen leben mußte, ſchätzt nach ſeinem wahren Werthe,
was uns dieſelbe iſt!“ —
Valeska war eben im Begriff, eine freundliche Er-
widerung zu geben, als ſie auf dem Flur den wohl-
bekannten Schritt ihres Mannes vernahm. Vor Schreck
erbleichend, ſetzte ſie ſchleunigſt ein Licht in Brand und
bat den Fremden, ſich lieber zu entfernen, als, noch ehe
dies möglich wurde, Herr v. Leisrink auf der Schwelle
erſchien. Das Dienſtmädchen hatte ihm die Thür ge-
öffnet und nun bemühte er ſich, möglichſt aufrecht zu
gehen. — * *
„Leſſie — wer iſt da?“ lallte er. „Will der Hall
— Hallunke — Geld haben . — Natürlich nichts —
Anderes! — Ich werde Ihnen — zeigen — wie man
ſich — im Hauſe — eines Edelmannes — zu betra-
VUIum Gotteswillen, Waldemar!“ rief mit gefalteten
Händen die unglückliche Frau. „Du biſt wahnſinnig!“
„Schweigen Sie, gnädige Frau!“ bat flüſternd der
junge Mann. „Arme Dulderin, ich bereue faſt, Sie
zum Leben gezwungen zu haben
„Wahn — ſinnig?“ ſchluchzte der Betrunkene. „Ich
nen — mein Herr — dieſes ſchlechte —

— ich ſage Ihnen
ſchlechte Weib — iſt nur darauf bedacht — mich — zu
ärgern! — Ich — bin aber ein — ein preußiſcher Edel-
mann — und weiß zu — ſchweigen! — Was wollen
Sie — in meinem — Hauſe — he? Mich — denun-
ciren? — Was? —
ſchwankte auf den hochgewachſenen Fremden zu

und wollte die Hand auf deſſen Schulter legen, aber der

junge Mann, empört im tiefſten Herzen über die Belei-
 
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