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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 35 - No. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 42.

Samſtag, den 27. Mai

1876.

Die Gruft von Steffendorf.

Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)

„Blutiger Schatten des armen Canton,“ rief Franneck,
mit theatraliſcher Geberde die Hände gegen den Himmel
ausgebreitet, „ſteige herab und vernimm, wie Celine
Poirot deine Freunde und dich verläugnet. Damals als
ſie von Marcilly erſchöpft zurückkehrte, war es wenige
Stunden ſpäter, als in den Wällen Carignan's die Ge-
wehrſalve knatterte, welche deine treue Bruſt zerriß. Heiß
ſchlug dein Herz für das durch fremde Barbaren geknech-
tete Vaterland. Du warbſt die Getreuen heimlich in
Stadt und Land. Du zogſt mit ihnen aus, um nächt-
licher Weile bei Stenay den wichtigſten Fang zu thun,
einen Fang, der die Bosheit unſerer Feinde klar gelegt
und vielleicht den gänzlichen Sturz deines Vaterlandes
verhütet haben würde.
eigener Schreiber, verrieth für ſchnödes Geld deinen An-
ſchlag und dich. Du wurdeſt mit der Flinte in der
Hand ergriffen, du ſtarbſt durch preußiſche Kugeln auf
dem Sandhaufen in deiner Vaterſtadt den Tod des ge-
meinen Verbrechers. Aber du hatteſt noch vorher von
Marcilly durch Leon Poirot vor deſſen räthſelhaftem Ver-
ſchwinden die wichtigſten Nachrichten und Papiere für
deine Pflegbefohlene Celine in deren Abweſenheit erhalten.
Du trugſt ſie bei dir auf deiner Bruſt, und als die alte
Margot, deine Haushälterin, beim erſten Grauen deines
letzten Lebensmorgens in der Caſematte weinenden Ab-
ſchied von dir nahm, da vergaßen deine Gedanken keinen
Augenblick dieſes junge Mädchen.— Trotz des Argus-
auges deiner Wachen wußteſt du dieſe Dokumente der
treuen Margot zuzuſtecken. Du erfüllteſt die Pflicht der
Liebe bis zum letzten Augenzuge! Dein Geheimniß
wurde das Geheimniß unſeres großen Loſa Georgewitſch,
dein Juwel unſer Schmuck, dein Pflegling unſer Biadem,
wir die Nachfolger deiner Liebe!“
Er richtete bei dieſen letzten Worten einen düſter
glühenden Blick ſeiner ſchwarzen Augen auf das vor ihm
ſitzende Mädchen. Celine war ſeinen Auseinanderſetzungeu
nachſinnend gefolgt. Sie war an dieſe bewegliche Reden,
welche in andern Wendungen häufig wiederkehrten, an-
ſcheinend bereits gewöhnt. Die ſcharfen Spitzen derſelben
verwundeten und beleidigten ſie nicht.
Unter dem Eindrucke, welchen die Ereigniſſe in ihrer
Heimath bei Beaune la Rolande, welchen das blutige
und jähe Ende des Advokaten bei ihrem Eintreffen in
Carignan auf ſie hervorgebracht hatte, hilflos, verſtoßen
von der Welt und ganz verlaſſen, fand ſie Aufnahme
bei dem Stamme der braunen Geſellen, welche gleich ihr
von dem Schickſal geächtet die Laͤnder durchſtreiften und
dem verrathenen Plane des Advokaten Canton im Ge-
heimen hilfreiche Hand geleiſtet hatten.
Loſa Georgewitſch und Stoyan Kaſolka waren es
geweſen, welche in jener finſtern Nacht die Kiſte mit
Gewehren und Waffen in das Haus des Advokaten ge-

Der ſchurkiſche Jean Jumel, dein

bracht. Sie traf dieſelben wieder am Tage ihrer An-
kunft in Carignan und erkannte ſie. Sie fürchteten
Verrath und lockten das verlaſſene Mädchen unter dem
Vorgeben, daß auch ihr Gefahr bei längerem Verweilen
in Carignan drohe, zu ſich heran und verließen mit ihr,
unter der Vorſpiegelung, nach Marcilly ziehen und dort
den Aufenthalt der von der Familie Poirot Uebrig-
gebliebenen auskundſchaften zu wollen, die gefährliche
Umgegend von Carignan.
Die Erinnerung an dieſe Vergangenheit bewegte ſie
heute tiefer, weil ſie denjenigeu wiedergeſehen, deſſen
Warnungen die letzten waren, welche warm und auf-
richtig zu ihr geſprochen, um ſie aus der Bahn des
Abenteuerlichen heraus zu einem geregelten und ſitten-
reinen Leben zu retten. Die hohe Geſtalt des Johanniters,
die wie ein Cherub an dem Kreuzwege geſtanden, wo
Leben und Tod, Rettung und Verderben ſich ſchieden,
war ihr heute wiedererſchienen. Sie hatte die Stimme,
welche ihr am Krankenbette in Carignan Troſt und Frie-
den zugeſprochen, wieder gehört. Es war ihr, als ſei
die alte Mahnung nochmals an ſie ergangen, und dieſe
Mahnung wurde lauter und beweglicher, weil Franneck
in ſeiner ungeſtümen Unterhaltung zugleich den Schleier
von der Vergangenheit zurückgezogen und ſie in jene Zeit
zurückverſetzt hatte, wo die Wahl ihres Schickſals noch
frei und ſie das Wort noch nicht gegeben, welches ſie
bei längerem Zuſammenſein an Loſa Georgewitſch und
ſeine Genoſſen mit unlöslichen Banden feſſelte.
So blieb ſie, von den dunklen Augen ihres Gefähr-
ten überwacht, eine lange Zeit in tiefen Gedanken. Eine
Thräne hing an ihrer langen, ſeidenen Wimper.
Franneck warf ſich, als er dieſe Thräne bemerkte,
leidenſchaftlich vor Celine auf die Knie. Er bedeckte ſein
Geſicht mit beiden Händen und ſchluchzte laut. „Ach,
Celine,“ ſtammelte er mit gepreßter Stimme, „Sie wiſſen
nicht, was mich bewegt, Sie wollen es nicht wiſſen. Sie
haben mit meinen Schmerzen kein Mitgeſühl! Ein Fünk-
chen Liebe und ich könnte der glücklichſte Menſch ſein!
Nimm dieſen Ring, nimm ihn an deine ſchöne Hand, er
ſei ein Zeichen meiner Treue, ein Zeichen, daß du mich
nicht verachteſt!“ꝰ“ ö
Er ſteckte mit dieſen Worten einen blitzenden kleinen
Brillantring an die nachläſſig im Schooße des Mädchens
liegende zarte Hand deſſelben. ö
Celine fuhr bei dieſer Berührung zuſammen. Ihr
Auge fiel auf das blitzende Kleinod. Sie ſprang, wie
von einem jähen Stich durchzuckt, empor.
„Dieſer Ring,“ rief ſie zitternd, „dieſer Ring, um
Gotteswillen, Franneck, woher kommt dieſer Ring?“
„Still! ich bedrohe dich, ſtill!“ ſagte der Zigeuner,
plötzlich aus ſeiner leidenſchaſtlichen Erregung ſich auf-
raffend und mit ſcheuen Blicken um ſich ſehend — „es
iſt — es iſt ein Geheimniß des Stammes!“
„Es iſt der Ring, den Alfred von Noirmont ſtets
an ſeiner Hand getragen,“ fuhr Celine, das Juwel näher
betrachtend und ohne auf die Worte des erſchreckten Ge-
fährten zu achten, fort — „hier innen ſteht ſein Name
verzeichnet. O, ich kenne ihn, ich habe den Ring tagtäg-
 
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