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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 17 - No. 25 (1. März - 29. März)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

WIS.

Samſag, den 4. März

1876.

Zwei Tibelle.
Eine Hofgeſchichte von Georg Hiltl.
(Fortſetzung.)

Die Begleiter der Königin lachten. Man war vor
der Brücke angelangt, die Geſellſchaft, welche die Königin
bezeichnet hatte, befand ſich am entgegengeſetzten Ende,
ſo daß beide Gruppen, wenn ſie die Brücke paſſirten.
in der Mitte des ſehr ſchmalen Bogens aufeinanderſtoßen
mußten. Wirklich hatten Beide die Brücke beſchritten —
plötzlich zuckte die Königin auf — ſie blieb eine Sekunde
ehen. — ö
„Ich hatte Recht,“ flüſterte ſie den ebenfalls er-
ſchrockenen Damen zu. „Es iſt die Wartenberg — ſie
wagt es, in meinem Parke zu luſtwandeln.“
Es war kein Zweifel mehr. Die Gräfin hatte trotz
der Anweſenheit der ſie haſſenden und verachtenden Kö-
nigin die Kühnheit gehabt, in Begleitung zweier ihr be-
freundeten Damen, der Freiin von Rebel und der Ma-
dame Heidekampf, eine Promenade in den Park zu un-
ternehmen. Die Begegnung konnte nicht mehr vermieden
werden — noch ehe Lottum vermochte, vor die Königin
zu treten, um der Gräfin einen Wink zu geben, daß ſie
ſich entfernen möge, waren beide Frauen einander gegen-
über getreten. Bei der Enge der Brückenpaſſage mußte
entweder eine der Parteien den Rückzug antreten oder
ſich dergeſtalt gegen das Brückengeländer preſſen, daß
die Vorübergehenden hart und dicht anſtreifend die Brücke
paſſirten. ö ö
Die Königin war indeß keineswegs geſonnen, den
letzteren Ausweg zu ſuchen. Sie befand ſich in einem
Zuſtande der Erregung, welcher ſofort von ihren Beglei-
tern bemerkt wurde, die einen Ausbruch des Zornes
herannahen ſahen, auf den um ſo gewiſſer zu rechnen
war, als die Gräfin keine Miene machte, die Brücke zu
verlaſſen. Die Königin richtete ſich hoch empor, ihr
ſchönes Antlitz war auffällig verändert, die Verachtung
wölbte ihre Oberlippe, der Zorn machte ihre Augen her-
vortreten — die Häͤnde bebten und ließen den Fächer
in vibrirende Bewegung gerathen. Es war nicht die,
für eine Frau von Sophie Charlottens Werth ſo unbe-
deutende, Perſönlichkeit der Wartenberg, welcher der Zorn
galt — die Königin war empört über den Trotz, der
ihr auf eigenem Boden enttzegengebracht wurde, auch ſtie-
gen ihr die letzten vor wenig Minuten von der Prin-
zeſſin vernommenen Klagen, der Bericht über die neue
Dreiſtigkeit, mit welcher die Gräfin ſogar in die zarteſten

Angelegenheiten der königlichen Familie zu greifen wagte,

in den Sinn, und ohne ſich länger mäßigen zu können,
rief ſie, eine wegweiſende Geberde machend: ö

„Geben Sie Raum, Madame — die Königin von

Preußen will die Brücke ihres Parkes ungehindert paſſiren.“
War es nun wirklich Trotz oder war es Betroffen-
heit und die Beſchämung, vor ihren Begleiterinnen von
der Königin ſo ſcharf angefahren zu werden — genug

die Gräfin von Wartenberg rührte ſich nicht von der

Stelle, was nunmehr die Königin wieder für Ueber-
hebung und Herausforderung anſah; zwar ſtammelte die
Gräfin einige Worte — aber Sophie Charlotte ſchien ſie
nicht zu hören, ſondern wendete ſich, ohne weiter von der
Gegnerin Notiz zu nehmen, zu Lottum:
„Herr Graf“, rief ſie, von der Wartenberg abge-
wendet, indem ſie mit dem Fächer nach ihr deutete. „Ich
erſuche Sie, kraft Ihres Amtes als Gouverneur des
Kreiſes, dieſe Perſon zu entfernen, welche ſich in meinen
Beſitz gedrängt hat — thun Sie Ihre Schuldigkeit.“
Die Gräfin taumelte zurück. Lottum ſchritt artig
auf ſie zu und ſagte:

„Ich muß bitten, die Paſſage freizugeben für die
Majeſtät.“
Die Gräfin ſchien niederſinken zu wollen — ihre
Begleiterinnen waren todesbleich, ſie verneigten ſich ſo
tief, daß die Königin nicht in ihre ſtarren Züge zu
ſchauen vermochte, als ſie bei ihnen vorüberſchritt.
In dem nächſten Gebüſch angekommen, warf die Kö-
nigin ſich auf eine Bank. Die Damen und Lottum um-
ſtanden ſie. Sophie Charlotte athmete mühſam, ſie preßte
heftig die Hand der Prinzeſſin.
„Das iſt unerhört“, rief ſie. „Das iſt zu viel!
Ich muß den König ſprechen. Dieſes Weib darf nicht
geduldet werden.“

ſich zu entfernen.

Lottum hatte bereits die Lakaien und die Pagen ent-
fernt. Er blieb am Eingange des Gebüſches, um jedem
Unberufenen den Eintritt zu weigern bis die Königin
ſich einigermaßen erholt hatte. ö ö
Die Prinzeſſin Marie zitterte wie Espenlaub, ſie
war noch niemals Zeugin einer ſolchen Scene geweſen,
ſelbſt Fräulein von Pöllnitz befand ſich in höchſter Er-
regung — die erfahrene Hofdame ahnte, daß aus dieſem
Rencontre der beiden Damen ein folgenſchweres Ereigniß
hervorgehen werde, wenn der König erſt die Sache er-
fahren hatte. ö
„Beruhigen ſich Euer Majeſtät“, bat nun Lottum,
näher tretend. „Ich werde Sorge dafür tragen, daß
Niemand davon Etwas erfahre.“
„Nicht doch, Graf,“ entgegnete die Königin, welche
bereits ihre ganze Faſſung wieder gewonnen. „Ich will
absolument, daß Seine Majeſtät von dieſer Sache un-
terrichtet werde. Der Streit, welcher bisher en secret
geführt ward, muß publique werden — damit endlich
dergleichen Dinge aufhören, durch die ein königliches Hof-
lager eine ſchlechte reputation erlangt. Es iſt das erſte
Mal, daß jene Dame — oder beſſer Frau — es gewagt
hat, ſich mir, der Königin, gegenüber zu ſtellen — es
darf nicht zum zweiten Male geſchehen.“ ö
Lottum gab den beiden Damen einen leichten Wink,
Die Damen gehorchten und traten in
den Laubgang, ſo daß Lottum und die Königin allein
blieben. „Majeſtät haben vollkommen Recht,“ begann
der Graf, „aber es wird nicht leicht ſein — Seine Maje-
ſtät der König lieben dergleichen querelle nicht — es

wird eine Beilegung verſucht werden.“

„Man muß dem Könige von allen Seiten mit Kla-
gen nahe treten. Ich werde mich nicht ſcheuen —“
 
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