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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 1 - No. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

W 2.

Samſtag, den 8. Januar.

1876.

Der Rabbi von Steſanesci.

Rovelle von Marco Broeiner- Brodin.
(Fortſetzung.)
VI.

Es iſt Abends. Eine tiefe Stille herrſcht im Staͤdt-
chen Podoloe. Die Läden der kleinen Häuſer ſind feſt
geſchloſſen. Die Bewohner derſelben, ausſchließlich Juden,
ſind beim Schlußgebet in der Synagoge. Wenn der
Mond hoch und klar am Horizonte heraufſteigt, wird der
letzte erlöſende Schofarion erklingen und dann werden
die frommen Beter aus der engen, dumpfen Synagoze
herausſtrömen, die brennenden Wachskerzen in den Hän-
den und mit fröhlichem Gebet den blaſſen Mond be-
grüßen; Jubel und Lärm wird die einzige Straße, aus
der Podoloe beſteht, durchtönen, und luſtiges Kinderlachen
und plaudernde Weiberzungen. So war es immer ge-
weſen. Jetzt iſt's noch ſo ſtill, ſo wehmüthig ſtill. In
dem benachbarten Teiche quakt hier und da ein muſika-
liſcher Froſch, — am Ende »der Straße ſitzt vor ſeinem
Schlagbaume ein rothkragiger Dorobanze vor einem gro-
ßen Steinkruge und phantaſirt mit dem Froſche um die
Wette ein leiſes Adagio auf einer großen Trommel.
Als dritter im Bunde geſellt ſich ein großer zottiger
Hund zu ihnen. Er liegt vor einem kleinen ſtrohbedeck-
ten Hauſe, einige hundert Schritte weit vom Schlag-

genoſſen mit einem kläglichen Staccatogewimmer aus.
Vor der Thüre des kleinen Hauſes, über der in dicken
ſchwarzen Strichen die Rieſenworte „han turgescu“
(türkiſches Gaſthaus) prangen, ſitzt eine alte Jüdin; ſie
nickt leiſe mit dem kleinen Kopfe und ſchaut wehmüthig
zum Monde hinauf. Es iſt die Beſitzerin des „han
turgescu“, das aus einem einzigen weiten Zimmer mit
ſechs kleinen Fenſtern beſteht; drei davon gehen auf die
Straße und drei auf einen kleinen Hof, in dem jetzt
vier abgehetzte Pferde vor einer hafergefüllten Krippe ſtehen.
Ein kurzes dickes Wachslicht wirft düſterrothe Lichtſtreifen
auf die weißgetünchten Wände des Gaſtzimmers. Auf
einem kleinen Holzdivan in einer Zimmerecke ruht mit
geſchloſſenen Augen ein bleicher Mann. Es iſt Rabbi

Iſaak. Vor ihm ſteht die Fürſtin Lazarini und blickt

durch das kleine geöffnete Fenſter nach Oſten, wo, mit
dem dunkelblauen Horizonte faſt verſchwimmend, Tau-
ſende von Lichtfunken wie ſchwirrende Glühwürmchen
ſchimmern. Dort liegt die Stadt Jaſſy.
„Noch zwei Stunden und wir ſind am Ziele“,
flüſterte die Fürſtin.
Sie faßte die Hand des bleichen Mannes und drückte
ſie zärtlich an ihr Herz; ſie ſtrich ihm das wirre Haar
aus der ſchönen, gedankenſtolzen Stirn und blickte mit
ängſtlicher Zärtlichkeit in ſein ſchmerzlich zuckendes Ge-
ſicht. Dann nahm ſie das große goldene Diamantkreuz,
das ſie um den Hals trug, und hing es dem Rabbi um.
Glaubte ſie dadurch die düſtern Traumgebilde, die vor
der Seele des ſchlummerbefangenen Mannes in wilder

Flucht wie finſtere, zerriſſene Wetterwolken hinzogen, zu
verſcheuchen? — Es wurde ihr ſo ſchwer, ſo dange zu

Muthe in dieſem unheimlichen, ſtillen Gemache; der große

Oberlippe.

ein eifriges Zwiegeſpräch führten.
baume entfernt, und füllt die Muſikpauſen ſeiner Kunſt-

Pendel der Wanduhr tickte eintönig traurig hin und her,
und dazwiſchen floſſen wie leiſe röchelnde Todesſeufzer
einzelne abgebrochene Klagelaute von den Lippen des
Rabbi. ö ö
Ein ſeltſames Gefühl durchſchauerte die Fürſtin.
Zum erſtenmal ſtieg in ihr klar und deutlich der Ge-
danke auf, daß es doch ein gefährliches Spiel ſei, das
ſie mit dem Manne treibe, und das dumpfe Bewußtſein
des ewigen Sittengeſetzes, an deſſen Schranken nicht un-
geſtraft freventlich gerüttelt werden darf, füllte ſie mit
einem bangen, ahnungsvollen Grauen. Aber die leicht-
lebige Fürſtin Lazarini war nicht eine jener tiefdenkenden
Geiſteskinder, welche die trüben Gedankenfäden zu einem
finſtern Gewebe auszuſpinnen lieben. Sie ſchüttelte leiſe
das Köpfchen, als wollte ſie all' ihre düſtern Reflexionen
wie kalte Schneeflocken, die an den Haaren hänzen blei-
ben, abwerfen, und das leichte ironiſche Lächeln kräuſelte
wieder in ſtolzer Unbefangenheit ihre kühn aufgeworfene
Da ſchlug ein dumpfes Pferdegeraſſel und
Schellenklingen an ihr Ohr. Sie eilte ans Fenſter.
Sie ſah vier Gefährte vor dem Schlagbaum anhalten,
aus denen eine Frau und einige Juden herausſtiegen,‚
die mit dem Dorobanzen, der beim Herannahen der Wa-
gen ſeiner trommelnden Improviſation Einhalt gethan,
In der Straße be-
gann es indeß allmählich lebendig zu werden; man ſah
ſchon hie und da einzelne Männer dahineilen; Knaden
mit kleinen brennenden Wachskerzen tummelten ſich lär-

mend herum, die Läden wurden geöffnet und man konnte

nun in ſtrahlendhelle, blankgeputzte Zimmer blicken, in
denen die weißbedeckten Tiſche mit den feinſten Leckerbiſſen
beladen daſtanden; Frauen und Mädchen, weißgekleidet
und mit ſchwarzen Seidentüchern um die dunkeläugigen
ſcharfgeſchnittenen Kopfe, trippelten, die letzten Anord-
nungen treffend, geſchäftig herum; dann ſteckten ſie wie-
der die Köpfe aus den kleinen Fenſtern hinaus und blick-
ten ſehnſüchtig hinauf zum Monde, ob er noch immer
nicht voll und glanzvoll werden wolle, und ſehnſüchtig
horchten ſie auf, ob er noch immer nicht ertönen wolle,
der Schlußruf des Schofar. Und er ertönte. Hell und
ſcharf ſchrillte der langgezogeue Trompetenſtoß durch die
Luft, bald darauf folgte das ſcharfe Getrommel der Do-
robanzen gehörerſchütternd. Der Rabbi fuhr von ſeinem
ſchweren Schlummer auf, der Schofarklang gellte in ſeinen
Ohren; er blickte wirr um ſich und trat dann, ſich raſch
erhebend, an die Fürſtin heran, die noch immer am
Fenſter ſtand und dem ſonderbaren Treiben lächelnd zu-
ſah. Mit einer wilden Haſt umſchlang er das ſchoͤne
Weib; ſchon neigte er ſich, um auf ihre ſchwellenden
Lippen einen Kuß zu drücken, da traf jäh eine Stimme
ſein Ohr, eine Stimme, die ihn oft mit ſüßen Liebes-
klängen umſpielt hatte und die jetzt wie der brauſende
Trompetendonner des jüngſten Gerichts an ſeine Seele
dröhnte. Er wankte zurück. Und doch war es nur ein
leichtes, faſt freundlich klingendes Lachen, das Rahel an-
 
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