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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 9 - No. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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elberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

12.

Samſtag, den 12. Febrnar

1876.

Drei Weihnachten.
Erzählung von Ernſt Wichert.
(Foriſetzung.)

Das nächſte Jahr war für Deutſchland und Frank-
reich ein bedeutungsvolles. Auf die bekannten Ereigniſſe
in Ems folgte die Kriegserklärung und die beiderſeitigen
Heere rückten gegen den Rhein. Nach blͤtigen, aber
ſiegreichen Schlachten drangen die deutſchen Truppencorps
gegen Paris vor, geführt von dem greiſen König, der
ſchon als Jüngling hier der Waffenzeuge eines entſchei-
denden Völkerkampfes war. Im Dezember war die Rie-
ſenſtadt mit allen ihren gewaltigen Forts von den Be-
lagerern umſchloſſen und abgeſperrt; ein Kranz von feſten
Werken, Schanzen und Balterien wies jeden Verſuch des
Feindes zurück, auszubrechen und eine Vereinigung mit
der von Süden her anrückenden Armee zu gewinnen.
Aber noch gab ſich Paris nicht verloren.
Ganz Deutſchland ſammelte Liebesgaben für ſeine
braven Soldaten im Felde. Auch ſie ſollten ihren Weih-
nachten haben. Ueberall in den größeren Städten wur-

den ſchon Wochen lang vorher die Transporte vorbereitet.

Damit ſie gut an Ort und Stelle kämen und auch ge-
rade denen Freude bereiteten, denen ſie zugedacht waren,
erboten ſich wackere Männer, ſie nach Frankreich hinein
und wo möglich bis vor Paris zu begleiten. Auch Ar-
nold's Vaterſtadt hatte viele ihrer Söhne dort vor den
Feinde ſtehen und ihre Bürger gehörten von alter Zeit
ner zu den opferfreudigſten, wenn der Patriotismus ſich
bewähren ſollte. Ein Comite von Herren und Damen
halte die Annahme und Beförderung der Gaben über-
nommen, und von allen Seiten wurde nun eifrig ge-
ſteuert; auch die Bauern aus der Umgegend ſtrömten
herbei und brachten für ihre tapfern Söhne, was die
Vorrathskammer entbehren konnte. Man hatte Anfangs
gemeint, das Geſammelte einem andere Transporte mit-
geben zu können: nun ſtellte ſich's heraus, daß mehrere
Eiſenbahnwagen zu beladen waren und daß ein eigener
Begleiter durchaus wünſchenswerth ſei.
Arnold Hammer bot dem Comite ſeine Dienſte an.;
Er hatte lange mit ſich gekämpft, ob er ſich in die Reihen
der Streiter gegen den alten Erbfeind einſtellen laſſen
ſolle; in der Schlacht für die heilige Sache des Vater-
landes zu fallen, war ihm ein beneidenswerther Tod er-
ſchienen. Auch ſein Unrecht hätte er dann für geſühnt
halten können.
Aber die Scheu, denen mit Waffen entgegenzutreten,
die ſo viele Jahre ihn gaſtfreundlich aufgenommen, ihm
Arbeit und Verdienſt gegeben hatten, hielten ihn davon
ab. Gehörten doch auch ſeine eigenen Kinder durch ihre
Mutter und durch die Erziehung, die ſie genoſſen, der
ſtemden Nation an. Anders verhielt es ſich mit patrio-
tiſchen Liebesdienſten; er verletzte keine Pflicht, wenn er
ſie den Freunden leiſtete, indem er ſich ihnen mit ſeiner
Kenntniß der franzöſiſchen ö
zur Verfügung ſtellte. Daß man ſein Anerbieten gern
annahm, war ſelbſtverſtändlich.

Sprache und der Localität

Hätte Arnold über ſeine Beweggründe zu voller
Klarheit kommen können, er hätte ſicher gefunden, daß
die Beruhigung, die ihm ſchon die nahe Ausſicht auf
dieſe höchſt beſchwerliche Reiſe gewährte, nicht allein aus
dem Hochgefühl, ſeinem Vaterlande in irgend einer Weiſe
nützlich werden zu können, ſtammte; er empfand, ohne
ſich's geſtehen zu wollen, eine geheime Freude darüber,
ſich wieder denen nähern zu dürfen, die er ſo gewiſſenlos
verlaſſen hatte. Sein deutſches Gemüth, das ſich bei ſo
langem Aufenthalt in der Fremde und bei ſo naher Ver-
bindung mit Menſchen von anderer Sprache und anderen
Sitten auf die Douer nicht verleuget und ihn endlich in
die noch immer geliebte Heimath zurückgetrieben hatte —
daſſelbe deutſche Gemüth ließ ihm doch jetzt, da dieſe
Sehnſucht geſtillt war, keine Ruhe, weil das Gewiſſen
keinen Frieden fand. Er hatte wohl bemerken können,
daß ſeine Schweſter und Schwägerin, wenn ſie auch ein
lautes Urtheil zurückhielten, über die Trennung von Weib
und Kind eine ihm ſehr ungünſtige Meinung hatten und
der Stadtſecretär Hopf, der ſich bei ſeinem erſten Beſuch
ſo herzlich bezeigte, wie es bei einer aus verwandtſchaft-
lichen Rückſichten geſchloſſenen Freundſchaft nur irgend
erwartet werden konnte, zog ſich jetzt ſehr auffällend zurück
und vermied am liebſten ganz ein Zuſammentreffen.
Tante Lorchen, die gute Seele, brachte es freilich nicht
über bas Herz, einem „etwas Unangenehmes“ zu ſagen,
aber ſie philoſophirte gern in ſeiner Gegenwart da herum
und warf allgemeine Sentenzen in's Geſpräch und über-

ließ es Arnold, ſich davon herauszunehmen, was ihn
etwa angehen möchte.

Sein Bruder endlich, der Schul-
lehrer, hielt ſich für verpflichtet, allemal die Wahrheit zu
ſagen, auch wenn er damit anſtoßen ſollte, und glaubte
gegen Arnold geradezu unredlich zu handeln, wenn er ihn
nicht auf den richtigen Weg zu leiten verſuchte. Seitdem
der Krieg ausgebrochen, hatte freilich auch er davon ge-
ſchwiegen, aber das brüderliche Verhältniß war deshalb
nicht inniger geworden. Die Heimath ſchien Arnold die
alte Heimath gar nicht mehr und wenn er auf den Fried-
hof vor das Thor hinauswanderte und ſich unter die
entlaubte Linde an ſeiner Mutter Grab ſetzte, fehlte es
nie an recht ſchwermüthigen Gedanken, als ſei da alles,
was ihn geliebt und verſtanden habe, verſargt bis zum
jüngſten Tage. ö
Nun rüſtete er fröhlich zur Reiſe und die Beſchwer-

lichkeilen des langen Weges, des häufigen Aufenthalts

und der unregelmäßigen Lebensweiſe unterwegs ſchienen
ihm kaum bemerklich zu werden. In Frankrelch ſelbſt
ordneten auch die anderen Transportführer ſich ihm wil-
lig unter, und mit der wachſenden Verantwortlichkeit
wuchs ſein Selbſtvertrauen und ſein Thätigkeitsbetrieb.
Keinen einzigen Wagen ließ er, was damals nur bei
der größten Aufmerkſamkeit und Wachſamkeit durchzu-
ſetzen war, vom Zuge abkommen, und ſo brachte er wirk-
lich rechtzeitig vor dem Weihnachtsfeſt alle die Liebes-
gaben an die richtige Stelle vor Paris und zur vorge-
ſchriebenen Vertheilung an die Truppenkörper, deren An-
gehörige erfreut werden ſollten. ö
Dieſe Ueberbringer von ſo werthvollen Dingen, die
 
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