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Heidelberger Familienblätter — 1876

DOI Kapitel:
No. 26 - No. 34 (1. April - 29. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0132

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— 124 —

richtigem Pathos, „welchen großen Dichter wir heute
verkaufen wollen. Wer von Euch kennt nicht unſern
Freiligrath? Sokrates, Chriſtus und Freiligrath ſind
die größten Männer der Geſchichte. (Der Dresdener
Schneider ruft begeiſtert „Bravo!“, während der Doctor
aus Darmſtadt ſeine langen Waſſerſtiefel in die Höhe
zieht und „ein verdammter Blödſinn!“ in den Bart
brummt.) Hört einmal das herrliche Gedicht: „Die
Revolution“. Der Lehrer trug eine Stelle vor:
O nein — ſie ſtellt ſie vor ſich hin, ſie ſchlägt ſie trotzig, Euch
zum Trotz!
Sie ſpottet lachend des Exils, wie ſie geſpottet des Schaffots.
Sie ſingt ein Lied, daß Ihr entſetzt von Eertehren Euch
erhebt,
Daß Euch das Herz — das feige Herz, das falſche Herz! im
Leibe bebt.
Geld war, wie geſagt, nicht da. Der Darmſtädter
Doctor bot zuerſt für die ſechs Bände eine Ladung
Brennholz und erhielt ſie zugeſchlagen. Der Ex-Offizier
gab je einen ſeiner ſelbſtgemachten Stühle für einen
Band, ein Dritter zahlte in Mehl und ein Vierter in
Sägeblöcken, bis endlich trotz aller Armuth der Bietenden
etwa ſechs vollſtändige Exemplare abgeſetzt waren. „Laß
uns wenigſtens die Gedichte kaufen,“ ſagte eine verküm-
mert und verarbeitet ausſehende Frau zu ihrem Manne,
„wäre es auch nur um das ſchöne Gedicht „Ehre jeder
Stirn voll Schweiß!“ Der Blick, mit welchem die Frau
ihren Mann anſah, und die Freude, mit welcher ſie das
gegen zwei irdene Krüge erhandelte Buch einſteckte, hatten
etwas ungemein Rührendes und enthielten eine vollſtän-
dige Paſſionsgeſchichte. Ueberhaupt doten die Art und
Weiſe, wie die Angebote gemacht, die Verhandlungen
gepflogen und die Abſchlüſſe zu Stande gebracht wurden,
eine eigenthümliche Miſchung von amerikaniſcher Gegen-
wart und europaiſcher Vergangenheit, geiſtiger Regſam-
keit und leiblichem Mangel.“

Verſchiedenes.

— Ein koloſſaler Prozeß, bei welchem mehr als
200 Zeugen auftreten werden, wird ſich in den nächſten
Tagen vor dem Gerichtshofe in Paris abſpielen. Ein
bekannter Zahnarzt, welcher in einem der beſuchteſten
Stadttheile wohnt und deſſen Name vorläufig noch ver-
ſchwiegen wird, wurde verhaftet und vorläufig nach dem
Gefängniſſe von Mazas geführt. Er iſt beſchuldigt, ſeit
einigen Jahren in Paris im Einverſtändniß mit dritten
Perſonen die Clienten vergiftet zu haben, welche ihm
die gedachten Perſonen zuführten. Der Zahnarzt empfing
die Opfer, welche ſich von ihm einen Zahn ausziehen
oder eine andere Operation im Munde vornehmen ließen.
So wie das vorüber war, mußten ſie alle fünf bis ſechs
Tage zu ihm kommen, um ſich ſeiner Behandlung zu
unterziehen. Dieſe Behandlung beſtand darin, daß er
ihnen kleine Doſen Gift gab. Man ſoll bereits die
Schuld mehrerer Perſonen conſtatirt haben, welche ſich
Erbſchaften zuwenden wollten und ſich deshalb ins Ein-
vernehmen mit dem Hauptſchuldigen ſetzten. Nach den
bisher vorliegenden Daten war der Angeklagte zum zweiten
Male verheirathet, nachdem ſeine erſte Frau eines plötz-
lichen Todes geſtorben war. Gleichzeitig ſtarben mehrere
ſehr nah verwandte Mitglieder ſeiner Familie auf eine
ebenſo unvermuthete Weiſe. Dies erregte Verdacht und
der Arzt wurde verhaftet. Man behauptet auch, daß
zwei Geliebte des Verbrechers einen ebenſo unerklärlichen
Tod gefunden haben. Gewinnſucht ſoll das Hauptmotiv
der Verbrechen ſein. Die Familie der erſten Gattin war

ſehr reich und der Wunſch, ſich ſobald als möglich in
den Beſitz ihres Vermögens zu ſetzen, war der Grund,
welcher den Verbrecher bewog, ſich ſeiner Frau und meh-
rerer Familienglieder ſobald als möglich zu entledigen.
Dies iſt der gegenwärtige Stand der Sache, welche an
Intereſſe dem Prozeſſe La Pommeraye's und Moreau's,
des Kräuterhändlers von Saint⸗Denis, nicht nachſteht.

— Eine intereſſante Kurioſität wird dem Berliner
Fremdenblatt zugeſchickt: Ein Programm zu einem „mit
Obrigkeitlicher Bewilligung Freytag den 22. Februar 1811
im Conzert⸗Saale des Collegiengebäudes zu Gießen ge-
gebenen Groſen Vocal-Inſtrumental⸗Conzert von Carl
Marie von Weber.“ Ueber daſſelbe Conzert ſchrieb der
Componiſt des „Freiſchütz“ an Hof⸗Kammerrath Hoff-
mann in Darmſtadt: „Mein Concert (wovon ich Ihnen
hier einen Zettel beilege) fiel äußerſt brillant aus, ſo
daß ſich niemand erinnert, ein ſo volles Conzert geſehen
zu haben, ich nahm 81 fl. ein, wovon die Unkoſten
20 fl. betrugen.“ 61 fl. Reingewinn nennt Weber
äußerſt brillant! Bekanntlich wurden zur Berliner-
Triſtan⸗Aufführung Billete à 100 Mark erſtanden. —
Tempora mutantur!

— (Entfernte Aehnlichkeit.) Ein Weiberfeind, dem

ein Bekannter zum Heirathen zuredete, rief aus: „Laß

ab, denn es iſt für mich gleichbedeutend, ob Du mich
zum Galgen führſt, oder ob mir räthſt, eine Frau zu
nehmen.“ — „Eine entfernte Aehnlichkeit iſt auch vor-
handen,“ erwiderte nun der Freund, „Du ſollſt an
Deiner Frau hängen.“ ö

Für Leute ohne Kinder.

Du lieber Gott vom Himmel ſchau
Mitleidig auf uns nieder,
Ein Menſchenkind, ſo hart und rauh,
Schreibt in die Zeitung nieder:
„Ein ſonnenvolles Wohngemach
Iſt zu vermiethen, aber — ach!
Für Leute ohne Kinder.“

Der hat gewiß zu keiner Friſt
Des Heilands Ruf vernommen:
„Dem Kind das Reich des Himmels iſt,
Laßt Alle zu mir kommen!“
O, ſagt dem harten Mann geſchwind,
Wie gottlos ſeine Worte ſind:
„Für Leute ohne Kinder.“

Das Hündlein zieht er und die Katz',
Er legt ſie gar auf Kiſſen;
Für Kinder hat er keinen Platz,
Das Schönſte will er miſſen;
Die Jugend holde Kränze flicht,
Wie troſtlos iſt das Leben nicht
Für Leute ohne Kinder.

O, grolle nicht der Jugend Luſt;
Ein Kind iſt Gottes Gabe;
D'rum nimm' es auf, bedenk', Du mußt
Einſam genug im Grabe
Einſt modern in des Todes Graus —
D'rum Menſchenkind, erſchließ Dein Haus
Für Leute auch mit Kindern. v

Druck und Verlag von Adolph Emmerling in Heidelberg.

Für die Redaction verantwortlich Ad. Emmerling.
 
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