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Heidelberger Familienblätter — 1876

DOI Kapitel:
No. 61 - No. 69 (2. August - 30. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0283

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— 275 —

wirklich die günſtigſte Stimmung für einen Kunſtgenuß
iſt, wenn man eine Woche lang unbequem wohnt, elend
liegt, ſchlecht ißt und nach einer fünf⸗ bis ſechsſtündigen
anſtrengenden Opernvorſtellung nicht weiß, ob man ſich
einen beſcheidenen Imbiß werde erkämpfen können. Auf
wenigen Geſichtern iſt eine zuſtimmende Antwort zu leſen
und manchen in heller Begeiſterung hier Angekommenen
ſahen wir geſtern bereits in ſehr herabgemunterter Stim-
mung die glühend heiße, ſtaubige Straße zu dem weit
entfernten Wagner⸗Theater hinaufſchleichen. Auch die
mitwirkenden Künſtler äußern gerechtfertigte Bedenken.
Wie leicht, ſagen ſie, haͤtte mancher erſt bei den General-
proben zu Tage gekommene Uebelſtand (ungenügende Be-
ſetzung kleinerer Partien u. dgl.) ſich noch beheben laſſen
in einer Großſtadt, während hier eine Aenderung nicht
mehr möglich iſt. Ein ausgezeichnetes Mitglied des hie-
ſigen Orcheſters hatte das Mißgeſchick, mit einem unter-
wegs halbzertrümmerten Violoncell anzukommen; in jeder
Hauptſtadt wäre es leicht reparirt worden, Bayreuth be-
ſitzt aber keinen Inſtrumentenmacher. Es ſoll dieſes
Capitel nicht weiter ausgemalt werden, welches mit dem
Motto: „Wer nie ſein Brod in Bayreuth aß“, ſich beſſer
für humoriſtiſche Behandlung eignet. Nur meine hier
gründlich beſtärkte Ueberzeugung wollte ich ausſprechen,
daß ein großes künſtleriſches Unternehmen auch in eine
große Stadt gehört. ö
»Und die Beſtimmung des Wagner⸗Theaters? Beſteht
es, ſo wird jetzt häufig gefragt, wirklich nur für den
„Ring des Nibelungen“? Wagner's Antwort lautete
anfangs: „Dieſe neue Inſtitution ſoll zunächſt nichts An-
deres bieten, als den örtlich fixirten Vereinigungspunkt
der beſten theatraliſchen Kräfte Deutſchlands zu Uebungen
und Aufführungen in einem höheren Original⸗Styl ihrer
Kunſt.“ Alſo Muſtervorſtellungen als ſolche. In ſeinem
„Schlußbericht“ zieht Wagner den Kreis ſchon enger und
meint, daß die Bayreuther Aufführungen „in immer
weiterer Ausdehnung vielleicht jede Gattung dramatiſcher
Arbeiten“ aufnehmen dürften, „welche der Originalität
ihrer Conception und ihres wirklich deutſchen Styles we-
gen auf eine beſonders correcte Aufführung Anſpruch er-
heben können“. Daß hierunter nicht urſprünglich ita-
lieniſche Opern, wie „Don Juan“, oder franzöſiſche, wie
„Armida“, auch nicht mit geſprochenem Dialog verſetzte,
wie „Der Freiſchütz“ oder „Fidelio“ gemeint ſind, weiß
jeder in Wagner's Schriften Beleſene. Es waͤre auch
wirklich ein thörichtes Unternehmen, eigens nach Bayreuth
zu reiſen, um Opern von Mozart, Beethoven und Weber
zu hören, die man an unſern Hoftheatern gut genug auf-
zuführen pflegt. Niemand macht ſich mehr eine Illu-
ſion darüber, daß der für die Nibelungen errichtete
Theaterbau auch fortan nur den Nibelungen gehört.
Dabei drängt ſich aber unwillkürlich das Dilemma:
„Entweder iſt Wagner's „Nibelungenring“ wirklich
blos in dieſem „Bühnenfeſtſpielhauſe“ aufführbar —
dann ſtünde Wagner's ungeheure Arbeit in gar
keinem Verhältniß zu dem ſchnell verrauſchenden Erfolg
— oder das Werk kann und ſoll auch auf andern großen
Theatern dargeſtellt werden — dann erſcheint der Bau
eines ſo koſtſpieligen eigenen Theaters doch als ein ſon-
derbarer Luxus. So unerbittlich aber Wagner auch un-
ſere Theater verdammt, mit denen er „nie wieder in Be-
rührung kommen“ will, es drängt doch Alles zu unſerer
zweiten Annahme, und Wagner ſelbſt wird ſich ſchwerlich
dagegen ſtemmen. Jedes ernſte Kunſtwerk will mehrmals
gehört ſein; es erreicht ſeine volle Wirkung und Wür-
digung erſt durch den wiederholten, periodiſch wieder-
kehrenden Eindruck. Das Hauptwerk ſeines ganzen Le-
bens auf Bauyreuth beſchraͤnken zu wollen, gliche faſt
einem künſtleriſchen Selbſtmord. Die Anzahl der wohl-

habenden Bayreuth⸗Pilger iſt lange nicht ſo groß, als
Wagner für ſein Werk wünſchen muß; am wenigſten
repräſentiren die „Patronatsherren“ das deutſche Volk,
für welches ja der „Nibelungenring“ beſtimmt ſein ſoll.
Will Wagner mit ſeiner größten Schöpfung nicht blos
eine Handvoll Menſchen an Einem Orte und ein⸗ für
allemal ergötzt haben, ſondern damit Wurzel faſſen in
der Nation, dann muß er ſie ohne Weiteres den ver-
wünſchten „Opernbühnen“ anvertrauen. In der That
ſteht bereits feſt, daß Wien demnächſt die „Walküre“,
München ſogar die ganze Trilogie aufführen wird. Dieſe
Bühnen werden, wenn ich nicht irre, das Werk wohl mit
etwas geringerem Maſchinenzauber, aber muſikaliſch zu-
friedenſtellend darſtellen können. Sollte der „Nibelungen-
ring“ in Wien, München, Berlin, Dresden keine Lebens-

fähigkeit bewähren, blos weil etwa die farbigen Dämpfe

da weniger qualmen, die Rheintöchter uneleganter ſchwim-
men und die Walküren langſamer reiten, dann müßte es
mit der Hauptſache, mit dem muſikaliſchen Kern des
Werkes ſchlecht beſtellt ſein. Je echter und ſtärker die
innere poetiſche Kraft eines dramatiſchen Werkes, deſto
leichter verträgt es Unvollkommenheiten der Darſtellung
und Ausſtattung. „Don Juan“ und der „Freiſchütz“,
„Egmont“ und die „Räuber“ packen die Gemüther auch
in beſcheidenen Provinzialtheatern. Und Wagner's Opern,
ſelbſt diejenigen, welchen er ſeinen Ruhm, ſeine Beliebt-

heit und damit die Möglichkeit des ganzen Bayreuther

Unternehmens verdankt — „Tannhäuſer“, „Holländer“,
„Lohengrin“ — ſie haben auf kleinen Bühnen ihm den
größten Anhang erobert. Der glänzendſte Erfolg der
„Nibelungen“ in Bayreuth — er war ja ſo gut wie
aſſecurirt — iſt noch keine Goldprobe für Werth und
Wirkung dieſer Compoſition. Dazu iſt nothwendig, daß
nunmehr Bayreuth nach Europa reiſe, nachdem Europa
nach Bayreuth gereiſt iſt. Einmal kam der Berg zum
Propheten, jetzt wird der Prophet zum Berge müſſen.
Das Wagner⸗Theater ſelbſt gehört zu den intereſſan-
teſten und belehrendſten Sehenswürdigkeiten. Nicht durch
ſein Aeußeres, das architektoniſch dürftig iſt und nur
durch ſeine Lage imponirt, ſondern durch die ſinnreiche
Neuheit der inneren Einrichtung. Gleich der Eintritt in

den Zuſchauerraum überraſcht: amphitheatraliſch im Halb-

kreis aufſteigende Sitzreihen, hinter welchen eine niedrige
Gallerie, die „Fürſtenloge“, ſich erhebt. Sonſt keine
Loge im ganzen Hauſe, an deren Stelle Säulen rechts
und links. Der Zuſchauer ſieht von jedem Sitze gleich
gut und ungehemmt die Vorgänge auf der Bühne, und
nichts als dieſe. Bei Beginn der Vorſtellung wird der
Zuſchauerraum vollſtändig verfinſtert; die hellerleuchtete
Bühne, auf welcher weder Seiten⸗ noch Fußlampen ſicht-
bar werden, erſcheint wie ein farbenglänzendes Bild in
dunklem Rahmen. Manche Sceenen wirken faſt wie Trans-
parent⸗Bilder oder Anſichten in einem Diorama. Wagner
erhebt damit den Anſpruch, „das ſceniſche Bild ſolle dem
Zuſchauer in der Unnahbarkeit einer Traumerſcheinung
ſich zeigen.“ Am merkwürdigſten iſt das unſichtbare
Orcheſter, der „myſtiſche Abgrund“, wie es Wagner gennt,
„weil er die Realität von der Idealität zu trennen habe.“
Das Orcheſter iſt ſo angelegt, daß man an den Ma-
ſchinenraum eines Dampfſchiffes gemahnt wird. Ueber-
dies iſt es durch eine Art Blechdach faſt gänzlich verdeckt.
Die Muſiker haben nicht den geringſten Ausblick auf die
Bühne oder auf das Publikum, nur der Capellmeiſter

kann die Sänger ſehen, nicht aber die Zuſchauer. Den

genialen Gedanken Wagner's, uns in der Oper von dem
ſtörenden Anblick all der geigenden, blaſenden und ſchla-
genden Muſiker zu befreien, habe ich längſt und wieder-
holt gewürdigt und dafür, nach dem WMünchener Vor-
bilde, Propaganda zu machen verſucht. In ſeinem Bay-
 
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