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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 79 - No. 86 (4. October - 28. October)
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— 319 —

nicht vor, das Eingreifen des Staates, um in einem all-
gemeinen Lehrplan die praktiſchen Schlüſſe dieſer Er-
fahrung zu ziehen, fand nirgends ſtatt; wenn trotzdem

höhere Töchterſchulen beſtehen, die ausgezeichnete Reſultate

liefern, wenn hie und da Privatanſtalten mit denſelben
wetteifern, ſo iſt das einem günſtigen Zufall zu ver-
danken, der Tüchtigkeit dieſes und jenes Vorſtehers, dieſer

und jener Lehrerin. Zu dieſen ſachlichen Mißſtänden
kommen auch perſönliche; der Mangel an Lehrern erheiſchte
bald die Zuziehung von Lehrerinnen; wie es um ihre

Heranbildung ſtehe, das werde in dem folgenden Vortrag

auseinandergeſetzt werden; ihre Stellung aber iſt eine

ihres hohen Berufes durchaus unwürdige: ſie ſeien eben

auf vierteljährige Kündigung angeſtellt. Die nothwendige
Folge dieſer Mißſtände, und das mache die Frage zu
einer ſocialen, ſei die Kluft, die gerade im Mittelſtande
ſich nach und nach zwiſchen Mann und Frau gebildet
habe.
den, und das iſt ein nicht genug hervorzuhebendes Ver-
dienſt, als das Lehrerperſonal der Töchterſchulen ſelbſt;
noch jetzt trägt der deutſche Hauptverein und ein großer
Theil der Zweigvereine den Namen „Verein der Diri-
genten und Lehrenden an höheren Töchterſchulen“; der
badiſche Zweigverein hat keinen anderen Zweck, als dieſen
Beſtrebungen zu Hilfe zu kommen, und der ſehnlichſte
Wunſch des Vorſtandes ſei, es möge in Bälde wieder
ein ſpezifiſcher Schulverein werden, wenn erſt der Staat
den Mittelunterricht für das weibliche Geſchlecht organi-
ſirt, allein oder im Verein mit der ſtädtiſchen Behörde
und dem Lehrerperſonale, männlichen ſowohl als weib-
Labe. Geſchlechts, die ihm zukommende Stellung geſichert
abe.
Hr. Director Berger ſprach ſodann über Lehrerinnen-
ſeminarien oder vielmehr über die Nothwendigkeit der-
ſelben und zwar als Staatsanſtalten. Er ſetzte auseinan-
der, wie das Wiſſen allein zum Lehren nicht befähige,
das Können nicht minder wichtig ſei; wenn auch letzteres
durch Uebung erlangt werden könne, ſo ſei das doch nicht
bei Allen der Fall und koſte jedenfalls theures Lehrgeld;
bis jetzt müßte aber das Können bei Anſtellung von
Lehrerinnen ganz unberückſichtigt bleiben; denn wo und

wie habe es erlangt werden können? Ferner ſei es un-

beſtreitbar, daß bei den Anſtalten zur Ausbildung der
Lehrerinnen an höheren Töchterſchulen der Elementar-
unterricht die Grundlage bilden müſſe, ſchon deßwegen,
weil bis auf Weiteres die Verwendung der Lehrerinnen
faſt ausſchließlich in den unteren und mittleren Klaſſen
ſtattfinden werde. Iſt aber die Errichtung von Lehrerinnen-
ſeminarien unbedingt nothwendig, ſo kann dieſelbe nur
vom Staate verlangt werden, in Privataaſtalten ſei es
faſt unmöglich, die Einheit der Methode zu erreichen;
das Lehrerperſonal, den öffentlichen Anſtalten entnommen,
könne unmöglich ſeine volle Kraft einer Privatanſtalt zu-
wenden; die Städte haben nie das Bedürfniß nach einem
Lehrerinnenſeminar und es ſei unbillig, von denſelben
den dazu nöthigen Aufwand zu verlangen; der Staat
allein ſei alſo dazu geeignet und es ſei dies um ſo mehr
ſeine Pflicht, als er Lehrerinnenprüfungen angeordnet
habe, die eine gründliche Vorbildung vorausſetzen.
Hr. Director Maul wies dann in kurzen Worten
einige dem Mädchenturnen gemachte Vorwürfe zurück und
gab ſtatiſtiſche Notizen über die Geſchichte deſſelben in
unſerem Großherzogthum. Seinem Vortrag dienten zur
beſten Erläuterung die unmittelbar nach demſelben in
dem Turnſaale der höheren Töchterſchule unter Leitung
des Turnlehrers der Anſtalt, Hrn. Iſele, vor der Ver-
ſammlung abgehaltenen Uebungen. Es bedurfte übrigens
kaum für einen der Anweſenden eines neuen Beweiſes,
daß das Turnen, wie es unter Herrn Director Maul's

Niemand habe dieſe Mängel ſchmerzlicher empfun-

geſchickter Leitung in unſerem Lande getrieben wird, weit

entfernt, Geſundheit und Anſtand zu ſchädigen, im Ge-
gentheil den Körper kräftigt und die Anmuth der Be-
wegungen erhöht; wir unterſchreiben gern den Ausſpruch
des Dr. Richter von Dresden: Turnen macht ſchön.
Um drei Uhr vereinigten ſich nahe an 100 Mit-

glieder des Vereins zu einem Feſtmahl in dem Conver-
ſationshauſe, das durch viele ernſte und heitere Toaſte

gewürzt wurde. Alle nahmen das befriedigende Gefühl
mit, zu einer guten Sache mitgewirkt zu haben; möge
dieſelbe in immer weiteren Kreiſen Anerkennung und
thätige Theilnahme finden.
Die für Heidelberg cooptirten Vorſtandsmitglieder,
welche jederzeit Anmeldungen zum Beitritt entgegennehmen,
ſind die Herren Carl Abel und Bibliothekar Dr. Bender.

Feſtrede ö
des Herrn Geh. Rath Dr. Ecker bei der Enthüllung
des Sieges⸗Denkmals.

Allerdurchlauchtigſter, Großmächtigſter, Kaiſer
und König! ö
Durchlauchtigſter Großherzog!
Durchlaͤuchtigſte, hohe und verehrte Feſt-
verſammlung! x
Freudig — und mit dehmüthigem Danke gegen den
Allmächtigen begrüßen wir dieſen Feſttag, an welchem es
uns vergönnt iſt, das von dem badiſchen Volke errichtete
Siegesdenkmal vor den Augen Ew. Kaiſerlichen Majeſtät
und Ew. Königl. Hoheit an das Licht des Tages treten
zu laſſen und jubelnden Dank bringen wir unſerm ober-
ſten Kriegsherrn und Allen denen — Lebenden und
Todten — welche nach ſchwerem Kampfe den Sieg haben
erfechten helfen, dem unſer Denkmal ſeine Entſtehung
verdankt und deſſen Andenken es vorzugsweiſe, wenn auch
keineswegs allein, gewidmet iſt.
Leebhaft treten beim heutigen frohen Feſte jene ſchwe-
ren Tage des Kampfes vor unſere Erinnerung und es
mag ſich wohl geziemen, in diefer Stunde und an dieſer
Stätte derſelben zu gedenken und, indem wir einen kurzen
Rücblick auf die Entſtehungsgeſchichte unſeres Denkmals
werfen, zugleich deſſen Sinn und Bedeutung klar zu
ſtellen. Wird doch Alles Gewordene, in Natur und
Kunſt, im Leben eines Einzelnen wie eines Volkes nur
aus dem Werden richtig verſtanden.
Schwer und trüb laſteten auf unſerer theuren Vater-
ſtadt die eiſigen Januartage von 1871 und in banger
Erwartung harrte der kommenden Stunden das badiſche
Volk. Denn niedergeworfen aber nicht beſiegt war der
Feind und eben jetzt ſandte er, den letzten Einſatz wa-
gend, ſein letztes Heer gegen unſere offene Südmark, daß
es auf Badens blühenden Gauen alle erlittenen Nieder-
lagen auf einmal räche.
Und ein gewaltiger Heeresſtrom war es, der unheil-
ſchwanger wie ein ſchweres Gewitter heranzog und dem,
ihn zu ſtauen, nur eine dreifach ſchwächere Macht entge-
gengeſtellt werden konnte. War dieſe Wehr durchbrochen,
ſo ſtand nichts mehr entgegen, daß die rachedürſtende
Schaar, Tod und Verderben bringend, ſich über unſer
geſegnetes Land ergoß. — Dieſe letzte Schutzwehr aber
bildeten unſere Brüder, unſere Söhne! — Und ſtille
ward es, wie vor dem Sturm; die Nachrichten vom

Kriegsſchauplatze blieben aus; unheimliche Gerüchte durch-

ſchwirrten die Luft und nur der ferne Kanonendonner
aus Südweſten belehrte uns, daß das gewaltige Rin gen
noch fortdauere! ö
 
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