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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Raupp, Karl: Willingshausen: ein Studienplatz deutscher Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0029

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Millingshauseii. Lm Studienplatz deutscher Äüustler

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wird sich schlverlich viel selbst m dieser Zeit dort nicht geän-
dert haben. Unter der bekannten landesväterlichen Re-
gierung des verslossenen Kurfürsten schlief gleichsam das
ganze Land einen tiefen Schlaf. aus dem sogar die Be-
rührung mit der modernen Wünschelrute, der Eisenbahn,
dasselbe nicht erwecken konnte. Wenigstens rief diese
scheinbar nicht die geringste Entwicklung hervor, der Bahn-
hof blieb überall Jahr aus Jahr ein der einzige Neubau,
das alles umwälzende rollende und schnaubende Ungetüm,
Lokomotive genannt, hatte hier alle seine Wirkung verloren.
Es war neun Uhr abends und schon völlig dunkel,
als wir in Treysa die Bahn verließen. Außer uns war
niemand ausgestiegen, August Heyn und ich mußten den
langen mit Pappeln besetzten Weg zum Städtchen und
zum Gasthaus des Vater Stephan schon allein finden.
Es gelang, wenn auch mit einiger Mühe, denn die engen
finstern Gassen des alten Nestes hatten weder Laternen
zum sehen noch Einwohner zum fragen übrig.
Der Vater Stephan aber war eine seltene und ori-
ginelle Erscheinung. Als Ehrenmann weit und breit be-
kannt, mehr Wirt aus Passion als Bedürfnis, befand sich
der Reisende, den er bei sich aufnahm, bei mäßigen Preisen
wie in Abrahams Schoß. Auch wir hatten uicht zu
klagen, wenn auch unser Wirt erst entgegenkommend und
vertraulich ward, als er sich versichert halten konnte, die
spät gekommeneu Gäste mit gewohnter Opulenz noch be-
wirten zu können.
Der folgende Tag war ein herrlicher Sommertag.
Wir ließen das Gepäck bei unserm Wirt nnd wauderten
nach flüchtiger Besichtigung des Städtchens und der präch-
tigen Ruine einer gotischen Kirche nach Willingshausen.
Schon der nächste Ort, den die Landstraße berührte, ge-
hörte zum Schwalmgrund, mit größtem Jubel wurdcn
die nuu leibhaftig sichtbaren, bisher nur im Bilde ge-
kannten Gestalten der Schwälmer Bauern begrüßt.


Vrffischrs Wädchrn. Aus R. Raupxs Skizzcnbuch


Hrffischrs Wädchrn. Aus L. Uuaus' Skizzeubuch

Um das Dörfchen führt die Landstraße, es zur
rechteu lassend, im Bogen herum; offenbar ist es das
gleiche Terrain, auf dem Ludivig Knaus den wunderbaren
Empsang „Seiner Hoheit auf Reisen" schildert, bekannt-
lich ein Bild von eminenter Wahrheit, schlagendster Cha-
rakteristik und strotzendem köstlichen, unvergleichlichen Humor.
Das Gasthaus in Willingshausen war gerühmt wor-
den. Wir, an die stattlichen Gebände der oberbayrischen
Wirtshäuser gewöhnt, glaubten irre gegangen zu sein, als
uns das unscheinbare kleine Hänschen, das ein Gasthaus
seiu wollte, bezeichnet ward. Zum Glück zeigte es sich iu
der Folge doch seinem Rufe völlig entsprechend, nnd
manche darin verbrachte vergnügte Stunde läßt es heute
noch angenehm in der Erinnernng aufleben.
Der Wirt, kein Bauer, führte gute städtischc Kost
und konnte man es, nachdem der Münchener Geschmack
sich einmal an das nierkwürdige Bier in steinernen ver-
korktcn Krügen gewöhnt hatte, schon längere Zeit bei
Herrn Haase wohl aushalten. Abcr auch nur hier. Jn
keinem der Dörfer des Schwalmgrundes wäre wohl einc
Unterkunft zu finden geweseu, welche den Aufenthalt auch
nur einer Nacht gestattet hätte.
Vielleicht im landschaftlich schönsten Teile des
Schwalmgrundes gelcgen, ist Willingshauscn sicherlich auch
das nialerischste, der künstlerischen Ausbeute unstreitig gün-
stigste Dorf seines Thales. Von kleinen Gärtchen um-
geben, in denen vorzugsweise der hohe Blütenstengel der
 
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