Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

DOI Artikel:
Raupp, Karl: Willingshausen: ein Studienplatz deutscher Künstler
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0030

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
voil Aarl Raupp

lZ

Malve die Hauptzierde bildet, liegea die Häuser uahe
beieinander, ärmlich und recht verwahrlost oft, aber umso
malerischer dafür. Zluf dem meist steiuernen Unterban
ruht der erste Stock, aus Fachwerk bestehend, zu diesem
führt von außen eine hohe steinerne Treppe mit hölzernem
Geländer, durch einen Dachvorsprung überdeckt, der wieder
auf hölzernen Pfosten ruht. Auf deni Knaus'schen er-
greifenden Bilde „Das Leichenbegängnis" ist solch ein
Treppenaufgang wie die sonstige charakteristische Erscheinung
des Schwälmer Hauses ebenfalls znr Darstellung gelangt.
Der Handlnngsreisende und der Maler bildeten wohl
seit langen Jahren die einzige Svrte Städter, welche dem
Willingshäuser zu Gesicht kam. Wer also keinen Muster-
koffer mit sich führte, mußte nokwendigerweise ein Maler
sein. Wir, die wir unser Gepäck und auch Malschirm
und Farbkasten noch in Treysa gelassen hatten, wurden
dennoch schon beim ersten Haus von der losen Dorf-
jugend mit dem unablässigen Rnf „Maler, mal' mich ein-
mal ab!" zu unserem nicht geringen Erstaunen begrüßt.
Zu solch' energischer Vertrauensäußerung hatte selbst die
oberbayrische Jugend auf den zahlreich besuchten Studien-
plätzen der Münchener Künstler sich nie verstiegen, uns
aber hatte diese Bewillkommnung wenigstens nachträglich
eine nicht geringe fast stolze Bernhigung gewährt, wir
waren im Hessenlande wenigstens nicht für Kommis ge-
halten worden.
Der Schwälmer Bauer, stolz anf seine Eigenart,
auf seine Tracht und auf sein Thal, steht dem Fremden,
dem Städter fast unzugänglich gegenüber. Besonders der
Großbauer ist in seiner Würde unnahbar. Gewiß wenige
Maler nur können sich rühmen, dem Beherrscher eines
solchen Bauerngutes ein Gegenstand der Beachtung ge-
wefeu zu sein. So war denn auch die direkte Erwerbung
von Kostünistücken von seiten der Künstler für diese ein
Ding der Unmöglichkeit und solches nur durch die Ver-
mittlung der im Dorfe ausässigen Juden zu bewirken.
Dieser geschäftsgewandte Übergang vom Bauern zum
Städter hatte denu auch den Kostünihandel hier zu ganz
respektabler Blüte nnd Ausdehnung gebracht.
Zugänglicher zeigten sich die jungen Mädchen und
Burschen; nur am Sonntag, wenn die Glocke des kleinen
Kirchleins die Dörfler zum Gottesdienst rief, waren auch
diese wie verwandelt. Wir Maler, es waren nächst uns
noch mehrere Düsseldorfer Künstler, darunter der damals
noch sehr junge W. Sohn, dessen eleganter Zeichenmappe
wir Münchener nichts ähnliches entgegenzusetzen hatten,
ferner zwei junge Maler aus Holland, wie auch der
damals noch in Darmstadt lebende, später nach München
übergesiedelte Paul Weber zu dieser Zeit in Willings-
hausen, wir Maler ließen nun allsonntäglich außerhalb des
malerischen gotischen Pförtchens der Umfassungsmauer des
Kirchleins die feiertäglich geputzten Dorfbewohner beim
Gang zur Kirche Revue passieren. Ernst und würdig
schritt, das Gesangbuch unterm Arm und den Stock mit
silbernem Knopf in der Hand, der Bauer die steinernen
Stnfen zum höher gelegenen Gotteshaus empor. Dcn
mächtigen Dreispitz auf dem Kopfe, mit dem langen walleu-
den Haupthaar, seinem knöpfereichen dnnkeln Rock nnd der
Schoßweste mit Kniehosen und Gamaschen, alles im
Schnitt und Ausputz an die Überliefernng des vorigen
Jahrhunderts anknüpfend, augethan, macht in der That
der Schwälmer Bauer einen ebenso achtunggebietenden als
eigenartig charakteristischen Eindruck, er ist so recht das

ürbild des kräftigen deutschen Landmauncs. Ter Bursch
trägt den Kittel anstatt des Rockes und die pelzverbrämte
Samtmütze keck zur Seite geschobeu auf dem Kopfe. Die
Tirneu, gesteru uoch bei jeder Begegnung heiter schäkernd,
schlagen heute die Augen nieder und kein Blick verirrt sich
zu den wohlbekannten Malern hinüber. Gar drall nnd
sauber schreitet aber das Schwälmer Müdchen zur Kirche.
Das rote seideue Mützchen mit den langcn schwarzeu


Bündern auf dem Kopfe, die bis zum Ellbogen reichen-
den gestrickten weißcn Handschuhe an den Armen, mit dem
Gesangbuch zugleich das weiße gestickte Taschentuch und
die frisch gepflückte Rose züchtig haltend, so geht sie dahin,
die Schwälmerin; ihre knrzen, aber zahlreichen Röcke mit
farbigem Besatz reichen nur wenig übers Knie und lassen
das rote Strumpsband mit den goldenen Quasten kokett
hervorschauen. Zlllerliebst sind ihre Schnallenschuhe mit
den hohen Stöckeln, noch in Form und Ausstattung völlig
dem achtzehnten Jahrhundert angehörend.
 
Annotationen