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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Fulda, Ludwig: Auf dem Künstlerball: Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0221

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Auf dem Aünstlerball. Skizze von Lndwig Ful,da

t6S
legten außerordentliche Ungeduld an den Tag, und der
teilnehmende Kreis von Verwandten, Freunden und Be-
kannten, welcher gekommen war, sie vor ihrer Abfahrt zu
bewundern, hatte viel darunter zu leiden. Die Thränen
über aufgegangene Nähte, geplatzte Handschuhe nnd ver-
spätete Frisenre würden sich nicht einmal annähernd abschätzen
lassen.
Unterdessen war Adalbert in seinem Atelier mit
würdiger Sammlung beschäftigt, seiner Anschwärzung —
wenn das Bild erlaubt ist —- die letzte Feile zu geben.
Er sah bereits wie ein zu hohen Ehren gekommener Schorn-
steinfeger aus, als ihm ein Dienstmann ein Briefchen über-
brachte und bei seinem Anblick einen gelinden Ausruf des
Entsetzens nicht unterdrückte. Adalbert riß das Kouvert auf:
es enthielt Leonorens Absage. Zuerst empfand er leb-
haftes Bedauern, aber er tröstete sich in dem Gedanken,
daß dieses Mißgeschick vielleicht ein Omen sei. Ja, es
war zweifellos ein Wink, noch einmal einen Abend in un-
gebundener Freiheit zu verbringen und so von seinem Jung-
gesellenleben stimmungsvollen Abschied zu nehmen. Mit
diesen guten Vorsätzen bestieg der Mohrenfürst die Droschke,
welche ihn mit etwas holperigem Flügelschlag in das Rcich
der Phantasie entführte.
Das Fest war bereits im vollen Gang, d. h. eine
bunte und seltsam ausstaffierte Menschenmenge war seit
Stunden beschäftigt, zu den Klängen der Musik sich gegen-
seitig anzustaunen; da fuhr noch ein Wagen vor, und zwei
Damen, eine alte und eine junge, doch ihrem Kostüm nach
beide aus dem vorigen Jahrhundert, legten in der Garderobe
ihre dem Reich der Wirklichkeit angehörigen Wintermäntel
ab. Es war Leonore und eine Tante von ihr, welche
den Ball so wie so hatte besuchen wollen und, in das Ge-
heimnis gezogen, gleich bereit gewesen war, die eifersückitige
Braut in ihren Schutz zu nehmen. Beide Damen gingen
in Roccoco, und Leonore hatte, indem sie die Puderperücke
möglichst tief in die Stirn gerückt uud mehr Schönheits-
pflästerchen aufgelegt, als der Sttl erforderte, sich ganz
unkenntlich zu machen gesucht. Dennoch hätte ihr Bräutigam
sie Vielleicht erkannt, wenn es überhaupt zu einer Begegnung
gekommen Iväre.
Nnr wenige Augenblicke ließ Leonore sich von dem
farbengesättigten Bilde fesseln, das in den weiten Ränmen
fortwährend kaleidoskopartig wechselte. Dann nahm sie
den Arm ihrer vor Bewunderung sprachlosen Begleiterin
und trat ihre Entdeckungsreise nach dem Mohrenfürsten
an. Sie war absichtlich so spät gekommen, weil sie wollte,
daß er sich erst in Sorglosigkeit behaglich einwiege, ehe sie
ihn überrasche. Wenn er, .was sie kaum zu hoffen wagte,
die Prüfung bestand, dann wollte sie sich ihm nttt dem
zärtlichsten Lächeln zu erkennen geben und den ganzen
Abend — gewiß ein süßer Lohn — nicht mehr von seiner
Seite weichen. Wenn er sie aber nicht bestand, daun . . .
ja dann! Bedauernswerter Mohrenfürst, unglückseliger
Adalbert! . . .
So leicht war es jedoch nicht, den Gesuchten zu finden.
Jn diesen weitläufigen Ränmen und bei diesem dichten Ge-
dränge mußte man überhaupt jedes Zusammentteffen den
Schiebungen des Zufalls überlassen. Und der Zufall kam
Leonoren zu Hülfe, freilich in ganz anderem Sinn, als sie
geglaubt hatte.
Als sie, immer an der Seite der Tante, nach einer
fruchtlosen Wanderung durch die nieisten Provinzen des
Reichs der Phantasie endlich auch in die Restauratton ge-

langte, da entfuhr ihrem Mündchen plötzlich ein leiser Schrei.
Es war nur ein unbesetzter Tisch, der diesen Schrei hervor-
rief, allerdings ein Tisch, an dem noch soeben drei vergnügte
Leute gesessen haben mußten. Das bewiesen drei Cham-
pagnergläser, in welchen noch kleine Restchen perlten, und
zwei einträchtig am Boden nebeneinanderstehende Eiskühler
nttt den zugehörigen Flaschen. All diese Thatsachen waren
natürlich nicht die Veranlassung jenes leisen Schreis; aber
rechts und links von dem in der Mitte befindlichen Glas
zeigten sich auf dem weißen Tischtuch die schwarzen Abdrücke
von zwei Händen. Mit fieberhafter Raschheit des Denkens
hatte Leonore den Thatbestand kombiniert. Die schwarzen
Hände, welche sich hier abkonterfeit hatten, waren diejenigen
ihres Mohrenfürsten, der hier mit zwei Damen gesessen
und gezecht hatte, während er sie in leidendem Zustand
zu Hause wußte. O, es war sonnenklar! Aber es kam
noch schlimmer. Was hier nur ein Verdacht gewesen,
wurde wenige Minuten später zur schrecklichen Gewißheit.
Kaum war Leonore nttt der Tante, welche ihrem rache-
dürstenden Schützling nur schwer zu folgen vermochte, in
den großen Saal zurückgekehrt, als sie abermals einen
Schrei ausstieß, diesmal schon etwas lauter. Denn wenige
Schritte von ihr entfernt huschte eine hübsche kleine Orientalin
vorüber, die nicht nur schwarze Haare und Augen, sondern
auch auf der linken Wange einen rundlichen schwarzen Fleck
hatte, und zwar verriet die Farbe eine auffallende Familien-
ähnlichkeit nttt jener auf dem Tischtuch. Leonore sank halb
ohnmächtig in die Arme der besorgten Tante. Hätte sie
wenigstens noch einen anderen Neger unter den Masken
erblickt; das hätte ihr einen Strahl von Hoffnung übrig
gelassen. Aber nichts als Bleichgesichter und ein einziger
Knpferfarbener, seiner resignierten Schläfrigkeit nach offenbar
der letzte Mohikaner. Und von dem Ungeheuer selbst, das
ihr all diese Schmerzen bereitete, war weit und breit uichts
zu sehen als die Spuren seiner Frevelthaten.
Mit einem Male stieß Leonore einen dritten Schrei
aus, diesmal so laut, daß die nächste Gruppe sich nach ihr
umdrehte und ein verlumpter Zigeuner auf sie zueilte mit
der Frage, ob er dem gnädigen Fräulein ein Glas Him-
beersaft briugen dürfe. Gerade hinter diesem wohlerzogenen
Zigenner hatte die Armste ein dralles hellblondes Fischer-
mädchen erblickt, das anf der rechten Wange den gleichen
rnndlichen schwarzen Fleck zur Schau trug wie die Orientalin
auf der linken. Kein Zweifel, daß beide Flecke Zwillings-
brüder waren vom Stamme des Mohrenfürsten!
Das hatte Leonore denn doch nicht erwartet. Nun
wollte sie den Verräter gar nicht mehr sehen. Der ganze
Saal tanzte vor ihr ini Kreise herum. Heiße Thränen
rollten unaufhaltsam über ihre Schönheitspflästerchen dahin,
und auf die gute Tante gestützt wankte sie aus dem Saal.
Am andern Morgen machte sich Adalbert so frühzeitig,
als es sein Zustand gestattete, auf den Weg, um sich nach dem
Befinden seiner Braut zu erkundigen. Er war in jener
etwas gedämpsten Gemütsversassung, wie sie sich leider
auf eine Nacht im Reiche der Phantasie fast regelmäßig
einstellt; trotzdem bewahrte er eine optimistische Heiterkeit
und trug ahnungslos seine Haut zu Markte.
Seine Braut war nicht zu sprechen. Aber aus dem
doppelt geöffueten Thor traten die Eltern feierlich und
ernst. Wer beschriebe Adalberts Entsetzen, als ihm sein
Schuldenregister vom vergangenen Abend Nummer für
Nummer vorgehalten wnrde! Er empfand den lebhaftesten
Seelenschmerz, zumal ihm der Vater bei jeder neuen Anklage
 
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