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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Pecht, Friedrich: Die Hirth'schen Publikationen
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Aus Rom: (geschrieben im Mai d. J.)
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0463

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Die Hirtb'schen Publikationen — Aus Rom


ZK4

teilen. Jst dieselbe auch meist aus alten echten Stücken
zusammengesetzt, so zeigt die Art der Zusammenfügung doch
so viel künstlerischen Sinn, daß man über der feinen kolo-
ristischen Harmonie des Ganzen völlig vergißt, daß die
einzelnen Teile ursprünglich nicht für einander bestimmt
ivaren. Damit kommen wir auf einen Angelpunkt der
ganzen Schöpfung, nämlich die schon von der Früh-
renaissance alsbald erkaunte Thatsache, daß das, was in
der Färbnng harmonisch zusammenwirkt, niemals beleidigen
könne. Diese feine Harmonie gibt ihren Bauten jenen
unendlichen Reiz, jene Anmuth und Zierlichkeit, die nie
ein anderer Stil erreicht hat, da selbst das Rokoko uicht
so durchaus von malerischen Rücksichteu bestimmt wird und
die von den Architekten erfundenc Hochrenaissance am aller-
wenigsten. Zu den rein malerischen Dingen zählen aber
auch in erster Linie die Schatteuwirknngen, die verschiedenen
Arten der Erzengung des Flimmerns, die dem Ange so
notweudige Abwechslung von ruhigen mit unruhigen Teilen,
von großen uud einfachen mitkleiuen,gebrocheuen Formen, das
Sorgen für große Massen Helldunkels in jeder Dekoration,
wie sie bei unserem Zimmer in der oberen Hälfte so vor-
trefflich wirken, umsomehr als Hirth Sorge getragen
hat, die Hauptlinien des baulichen Organismus deutlich
hervorzuheben, wie reichlich er auch sonst das Mittel dcs
Flimmerns durch Tcppiche, Gobelins, Schnitzereien, Lustres ic.
angewendet hat. Nur die hier unsichtbare Fensterwand eut-
spricht nicht ganz den so geschickt gebrauchten künstlerischen
Mitteln des Uebrigen. Das ist nun bezeichnend für eiue
Eigenheit des so begabten Verfassers überhaupt, d. h. für
seine große Beweglichkeit, die ihn auch verführte in seinem
Hause durch Anbringung einer Reihe von Zimmern im
Barok- und Nokokostil die wohlthuende Wirkung der in
dentscher Renaissance gebauten Gemächer unstreitig zu be-
einträchtigen, da sie sich mit jenen absolut nicht vertragen,
sondern die Einheit des Ganzen ausheben. — So geht
es auch dem „Zimiuer", ganz besouders aber dem „Formeu-
schatz", wo man neben dem Vortrefflichsten in ueuerer
Zeit doch auch vieles autrifft, was die Handwerker nnd
Künstler leicht irre machen, ihren Sinn für organische
Durchbildung schwächcn kann. Hirth hat sich aber so
großes Verdienst erworben, daß inan über dergleichen
Eigenheiten seines Wirkens wohl hinwegsehen kanu.
Das „Kulturhistorische Bilderbuch", diese neueste der
Hirth'scheu Publikationen (4 Bde. oder 48 Lfgn. zu je
2 Mk. 40 Pfg.) gibt uns daun in der That eine Vor-
stellung von unvergleichlicher Lebendigkeit, sowohl dcr Sitten,
Trachten, Gesehichte und oft selbst der idealen Welt der drei
Jahrhunderte die dcm unseren vorausgingen. Dächte man
sich eine unserer illnstricrten Zeitnngen schou um 1500
angefangeu und bis 1800 fortgesetzt so würde sie offenbar
ungeführ so aussehen wie dies Bilderbuch. Nur daß dieses
den uugeheuereu Vorteil hat, daß seine Bilder fast immer
von guten Meistern, ja schr oft von den ersten Künstleru
der jcweiligeu Zeit herrühreu und hier iu Faksimile-Drucken
wiedergcgeben sind. Für die Kenntniß dieser Zeiten ist
es daher eine unvergleichliche Quelle, ein Knpferstichkabinetts-
Extrakt der jedem Künstler viel Zeit und Mühe erspareu,
dem Laieu eine unerschöpfliche Quelle der Belehrung und
llnterhaltung bieten kann. Die letztere wird allerdings
größer sein als die Erbauung und man wird bei Betrach-
tung des Werkes in der Regel ganz außerordentlich froh
fein, daß nian im neunzehnten Jahrhundert und nicht im
sechzehnten oder siebzehnten geboren ward. — Daß man

aber die Wohlthaten der heutigen Zeit da erst recht schätzen
lernt, das ist ja auch ein Vorteil!
Überblickt man aber die gesamte Thätigkeit des
Herausgebers, wie sie uns in diesen verschiedenen Ver-
öffentlichungen vorliegt, so muß man sagen, daß sie eine
iu seltenem Grade verdienstliche und kulturfördende ge-
nannt werven muß, weil sie eine Fülle von Belehrung
in die wcitesten Kreise zu trageu, zum Gemeiugnt der
Nation zu macheu verstanden hat.

Kom
ie die Natur sich beeilt uns siir den laugen Winterschlaf und
ihre vielen Nückfälle in denselben durch verdoppelte Rilhrig-
keit zu entschädigen, so haben die iiieisten der in Rom lebenden
Kiinstler aller Zungen sich beeifert, in nicht weniger als drei
gleichzeitigen Aiisstellungen, die Ergebnisse ihres winterlichen
Fleißes an die Öffentlichkeit zu bringen.
Diese Trias hatte iiberdies ini Febrnar schon einen Vor-
läufer gehabt; als die neuen Räuinlichkeiten des internationalen
Kiinstlervereins — in dem bekannten Malerviertel der Via Mar-
gutta gelegen — bequem eingerichtet und japanisch humoristisch
zugerichtet, mit einer Familien-dlusstellung seiner Mitglieder ein-
geweiht worden waren. Wie sagt der Franzose? Man wasche
seine schmutzige Wäsche nnter sich! Bei diesem Geschäfte wäre es
darum grausam gewesen, als Nichtbeteiligter einzugreifen.
Wäsche gilt zwar bei vielen für malerisch, hat durch Zola sogar
ihren Einzug aus der Waschküche in die Litteratur gehalten und
verbreitet ihren bedenklichen Geruch von jenseits des Rheins
bereits in deutschen Landen .... An schmutzige Paletten, ver-
ivischte Nmrisse und nngelenke Gestalten inuß das dluge sich eben
gewöhnen, wie die Nase an Knobjauch, Ölgebackenes und schlechte
Zigarren. llm sv frischer und dankbarer bleibt man sür alles,
was sich aus diesem Wuste von Farben und Leinwanden, aus
diesen Berirrungen in Gips und Verrenkungen in Marmor oder
Bronze durch eigene Kraft, in selbstbewußter Jndividualität
loslöst.
llnwillkürlich kommt hiebei der istame des Bildhauers
Sommer in die Feder. Wenn er auch nur in der größteu der
drei Ausstellungen fwelche in besvnderem Baue in der Via Na-
zionale alljährlich Neues bietet) durch die Bronzebüste eines halb
mohrenhasten, merkmürdig anziehendcii Mädchenthpus aus Saraci-
uesko vertreten ist, vereinigt er die mannigfaltigen Früchte seines
künstlerischen Sommers in köstlicher Weise auf dem tarpeischen
Felsen in seinem archäologisch umhauchten kleinen Arbeitstempel.
Seit im vergangenen Jahre von anderer F-eder in ihrem
geschätzten Blatte über diese Leistungen mit verdienter Auerkenn-
ung berichtet worden ist, haben die originellen Kinder von
Sommers Künstlerlaune sich reich entwickeit und vermebrt; von
dcm Bronze-Kabinettstiick jenes zerlumpten kleinen Gasseujungen
an, der mit gespreizten Beinen in Rittersticfeln dasteht im Be-
griff, die großen Nitterhandschuhe mit wichtiger Mieue auzustülpen
— offenbar alles in der Gosse gefunden. Da sage man noch,
daß Kleider Leute macheii! Hier schlageu Stiefel und Stulpen
allein schon znm Ritter. Dort Lie liebliche Titania am Busen ihres
bekränzten selbstgesnlligen Grauohrs wie verloren hingesunken; eine
Gruppe, dariu der Wetlstreit zwischen Jronie und Zartheit sich in
meisterhafter Grazie löst. Vom Schlafe nberwälligt, ruht hier an den
Felsen geschnüegt, unter dem Schatten ihrer Flügel, eine Harphie.
Die Leier ist ihr enlglitteu, das dämouische Antlitz von tiefer Er-
mUdung durchdnmgen . . . nach gethaner Arbeit ist gut ruhen!
— Auf den angejchossenen Hirsch dort läßt sich ein Adler mit
unheimlichem Flügelschlage nieder und löst zugleich aufs glück-
lichste die Ausgabe der vielfach abwechseluden Liuieu durch einen
klaren Abschluß.
Beim Fenster fand ich Sommer noch beim Vollenden eines
Lhonmodelles, das — ja rubrizieren läßt sich der gelungene Ein-
fail nicht, uur schildern. Es handelt sich um den Schutzpatron
aller unverbesserlichen Kneipbrüder, um deu Vater Silen! Jn
väterlicher Fürsorge um dessen allezeit schwankendes Gleichgewicht
hat der Künstler den stämniigen wohlgenährten Körper dieses
lustigen Urzechers mit einem Geniestreiche auf — vier Füße
 
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