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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Adelung, Sophie von: Eine Plauderei über Modelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0076

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Line Plauderei über Modelle

an, so ist keine Spur von jenem Gequälten, Abgemühten
darin zu finden, das uns so oft aus den Gesichtern, auf
Genrebildern nach Fachmodellen gemalt, entgegentritt.
Alles ist natürliche Ursprünglichkeit, ungezwungenes Sich-
geben, wie man ist.

Ich glaube, das kommt daher, weil hier der Maler
gezwungen war, gewissermaßen das Stillehalten auch
noch zu seiner übrigen Arbeit mit zu übernehmen, da
er es vom Original des Bildes nicht unbedingt verlangen
konnte. Er mußte den Ausdruck, die richtige Stellung
förmlich erlauschen, erhaschen und, da sie willkürlich paren,
so waren sie auch weit lebensvoller ausgeprägt, als beim
bezahlten Modell. Schwer ist eine solche Aufgabe wohl
und ich kenne Künstlerinnen, welche nach einer Bildnis-
sitzung förmlich körperlich zusammenbrechen. Auch hiebei
gäbe es vielleicht einen goldenen Mittelweg: nämlich
vom gezahlten Modell etwas weniger, vom ungezählten
mehr zu verlangen, ohne bei letzterem den Maler nach-
ahmen zu wollen, der seine alte Tante jedesmal mit dem
Malstock zu schlagen drohte, wenn sie ihm nicht stille
genug saß. An ersteres aber von Zeit zu Zeit ein paar
freundliche Worte gerichtet, eine kleine geistige Anregung,
ein erklärendes Wort über die beabsichtigte Darstellung
auf unsrer Leinwand helfen Maler wie Modell und haben
schon zuweilen den gewünschten Ausdruck in die schlaffsten
Züge, die beabsichtigte Bewegung in die störischsten Glieder
gebracht. Hat das bezahlte Modell nur einmal selber
Freude und Interesse am Bild, so wird der Wunsch bald
in ihm wach, gut für dasselbe zu sitzen, und damit ist
fast alles gewonnen. Eine junge kranke Schauspielerin,
welche ich einstens malte, fiel mir in dieser Hinsicht be-
sonders auf; sie erkundigte sich genau nach dem Cha-
rakter, den sie darstellen sollte und nahm nach den Pausen,
welche ihres leidenden Zustandes wegen oft wiederholt
werden mußten, genau denselben Gesichtsausdruck wieder
an, mit einer selischen Tragik, die mich in Staunen ver-
setzte. Allerdings glaube ich, daß er zu ihrer damaligen
Stimmung auch am besten Paßte, was vielleicht ein Wink
dafür wäre, nicht jedem Gesichte einen jeden Ausdruck
zuzumuten. Es ist übrigens wunderbar, was der nach
Geld strebende Mensch sich für Fähigkeiten aneignen
kann. So giebt es z. B. „Lachmodelle", welche auf
Wunsch halbe Stunden lang fortlachen können, was einen,
wenn auch ziemlich natürlichen, aber doch peinlichen Ein-
druck macht. Am wenigsten fügsam habe ich bis jetzt die
Italiener gefunden, obschon sie das gewerbsmäßige Mo-
dellstehen oft und gerne betreiben und im Grunde ge-
nommen auch ruhig genug sitzen. Sie nehmen gewöhn-
lich schon nach den ersten zehn Minuten einen starren,
finsteren Ausdruck an, der seltsam mit ihrer sonst so
nachlässig-anmutigen Lebendigkeit kontrastiert.

Es giebt noch ganze Völkerschaften, welche eine un-
überwindliche Scheu, ja eine Art abergläubische Furcht
vor dem Gemaltwerden hegen. So z. B. soll es außer-
ordentlich schwer halten, sich passende Modelle aus dem
russischen Volke zu verschaffen.

Von allen Modellen, die ich kennen gelernt, ließen
sich die Münchener am leichtesten malen. Mit wenig
Ausnahmen gefällig und freundlich, verstanden sie rasch,
man von ihnen verlangte und erleichterten einem die
Aufgabe durch Entgegenkommen auf halbem Wege. Da
sah ich auch zum erstenmale, was ein Mensch an regungs-
losem Stillesitzen leisten kann; eine junge, sehr hübsche

Frau, welcher ich eine ziemlich unbequeme Stellung an-
gewiesen hatte, erklärte schon bei der ersten Pause, ich
könne ausruhen, wenn ich wolle, sie bleibe lieber in ihrer
Stellung, sie sei das so gewohnt. Sie hielt auch wirklich
gegen drei Stunden aus, während ich vom bloßen Zu-
sehen müde wurde. Ein schöner Mann in mittleren
Jahren mit dunklem Bart, der sich im Sommer durch
Holzhacken ernährte und im Winter in verschiedenen Ate-
liers saß, erzählte mir nicht ohne Stolz, daß er zu dem
„Andreas Hofer" bei Defregger gestanden habe. Er-
schien wirklich die Größe des Kunstwerkes zu ahnen, dem
er gedient, und sprach mit anhänglicher Bewunderung
von der Liebenswürdigkeit des großen Meisters.

Ganz besonders originell war eine Dachauer Alte
mit der ganzen Paraphernalia von breiten Bändern,
schweren Röcken, Schmuck und gebauschten Ärmeln ihrer
heimatlichen Tracht angethan. Ich zeichnete sie knieend,
die Ellenbogen auf das Betpult gestützt, in den Händen
den unerläßlichen Rosenkranz und sie hätte nicht andachts-
voller in der Kirche selber knien können, als in meinem
Atelier. War aber dann die Sitzung vorüber, so stand
sie ächzend und krächzend von ihrem Schemmel auf, wobei
sie jedesmal bemerkte: „So, jetzt Ham' mer g'nug bet't".

Eine merkwürdige alte Frau mit blassem Gesicht
und regelmäßigen Zügen fällt mir gleich daneben ein.
Sie war ein armes Spitalweiblein und kam bei Wind
und Wetter im selben alten, zerschlissenen schwarzen
wollenen Tuch. Aber in Auftreten und Sprache hatte

Zpeisenkarkr. von F, Stuck
 
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