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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Rée, Paul Johannes: Der Albrecht Dürer-Verein in Nürnberg, [1]: Festrede, gehalten am 19. Oktober 1892 zur Feier seines hundertjährigen Bestehens
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0091

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Der Albrecht Dürer-Verein in Nürnberg

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Mit ganz besonderem Behagen wird jeder,
der durch sein Wirken das Seine zur Förderung und
gedeihlichen Entwickelung einer Sache beigetragen hat,
bei der Schilderung der Verhältnisse verweilen, welche
herrschten, als er handelnd auftrat, um zu bessern und
zu klären. So wird der Staatsmann von den ver-
wickelten politischen Verhältnissen reden, in die er Klar-
heit brachte, so der Gelehrte des Standes der Wissen-
schaft gedenken, als er mit seiner neuen Anschauung
und Methode hervortrat, so der Künstler die Fesseln
akademischen Regelzwanges bespötteln, die er mit kühner
Faust zerbrochen. — So möge denn auch mir gestattet
sein, zunächst die Verhältnisse zu beleuchten, in denen
sich zur Zeit der Vereinsgründnng die bildende Kunst
in Deutschland befand. —

Mit der deutschen Kunst war es seit den
Tagen der Renaissance, wo Meister wie Dürer, Holbein
und Bischer sie auf ihre höchste Höhe emporgeführt
hatten, schnell bergab gegangen, seitdem sie die Fühlung
mit dem Volke verloren hatte und höfisch geworden
war. Die nach dem Vorbilde der Italiener und dann
der Franzosen sich entwickelnden deutschen Fürstenhöfe
machten mit andern fremdländischen Bildungselementen
auch die fremden Kunstweisen in Deutschland heimisch,
und so mußten die deutschen Künstler, wollten sie neben
den ausländischen bestehen, wohl oder übel auf ihre
Selbständigkeit verzichten und versuchen, so gut es eben
ging, jene fremden Weisen nachzuahmen. Dabei verlor
die deutsche Kunst ihren Charakter und wurde Manier.

Das Beste hatte sie noch dem Einflüsse der Nieder-
länder zu danken, welche als die wahren Erben der
alten deutschen Kunst erscheinen. Ihr Einfluß aber ist
weit geringer als jener der Franzosen, die mit dem
Ende des 17. Jahrhunderts in Sache des Geschmackes
allein maßgebend wurden. Aber allen diesen Einflüssen
hätte wohl die deutsche Kunst widerstanden, ihnen zum
Trotz würde sie sich wohl doch zur Selbständigkeit
hindurchgerungeu haben, hätte nicht der dreißigjährige Krieg auf viele Jahrzehnte hinaus alle Kräfte lahmgelegt.
Als der Kampf ausgetobt hatte, und bessere Zeiten wiedergekehrt waren, da zeigte sichs, daß jede Fühlung mit der
großen Vergangenheit verloren gegangen, jede Tradition abgebrochen war. Das sich seit Beginn des 18. Jahr-
hunderts von neuem regende Kunstgefühl flatterte nnstät hin und her, ohne ein bestimmtes Ziel zu verfolgen,
ohne eine bestimmte Richtung einzuhalten. Man fühlte zwar, daß das hohle Virtuosentum, das sich in der
Kunst breit machte, keine wahre und echte Kunst sei, man bekam auch bald die akademische Manier satt, die
sich eingebürgert hatte, seitdem man geglaubt, durch Gründung von Kunstakademien, als deren erste Nürnberg
erscheint, die Kunst zu einem neuen Leben zu erwecken, aber wie man es zu machen habe, um aus diesem
seichten Fahrwasser wieder in den frisch fließenden Strom der Kunst zu kommen, das wußte man nicht. Da
erstanden Plötzlich dem deutschen Volke Männer, die mit energischem Fingerzeige die Wege wiesen, die man
einzuschlagen hatte. Diese, den antiken Heroen vergleichbaren Männer, die den verwilderten Boden wieder urbar
machten, waren Winckelmann und Lessing, und das Mittel, in dem sie das Heil der Kunst erblickten, war die
Antike. In ihrer reinen, ungewollten und ungeschminkten Schönheit, die im schroffsten Gegensatz zu dem staud,
was die Mehrzahl der Zeitgenossen unter Kunst verstand, erkannten sie die lautere Quelle der Kunst, und,
getragen von hoher und hehrer Begeisterung, mahnten sie die Künstler, zu ihr zurückzukehreu, aus ihr zu schöpfen
und ihre Werke zum Muster und Vorbild zu nehmen. Und ihre Stimmen verhallten nicht ungehört. Wie
mit Lessing das klassische Zeitalter unsrer Dichtung anhebt, wie ohne ihn ein Goethe und Schiller undenkbar
sind, da er erst kommen mußte, um diesen den Boden zu bereiten, so wurde durch Winckelmann der Grund
gelegt zu der neuen Blüteperiode deutscher Kunst, die durch die Namen Carstens, Schinkel und Cornelius
gekennzeichnet ist.

Junger Vrekone. von 0. A. I. Dagnan-Bouveret
 
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